Christoph Hein: Chronist im eigenen Land

21.6.2003 – Lesung und Diskussion

Christoph Hein: Chronist im eigenen Land

Jedes Jahr im Juni reist eine Frauen-Literaturgruppe aus Darmstadt nach Gut Gödelitz, um einen Schriftsteller aus Ostdeutschland zu hören und mit ihm zu diskutieren. Dieses Mal kommt Christoph Hein und liest aus seinen neuesten, noch unveröffentlichten Werken.

 

Christoph Hein ist einer der prominentesten Schriftsteller der deutschen Gegenwartsliteratur. In der DDR – als Sohn einer Pfarrerfamilie – geboren, wuchs er in eine politische Ordnung hinein, die seine Herkunft als Makel begriff und ihn in seiner Ausbildung behinderte. Dies hatte zahlreiche Lebensbrüche zur Folge, schärfte aber sein kritisches Bewusstsein für politische Gesellschaftskonstrukte generell und für das Verhältnis von Staat und Individuum im Besonderen.
In der DDR hat er – wie Christoph Dieckmann in der ZEIT einmal schrieb – unter der Zensur gelitten, unter Selbstzensur nie. Er hat sich immer als Chronist begriffen, der in einer nüchternen, fast lakonischen Sprache materialreich und präzise Alltagsgeschichten beschreibt, unaufdringlich Privates und Öffentliches miteinander verknüpft, und dem es trotzdem gelingt, den Leser in Spannung zu halten. Die Distanz zum Gegenstand seiner Beschreibung und der Verzicht auf ideologische und moralische Fingerzeige bedeutet selbstverständlich nicht, dass Hein ohne Menschenbild und einem diesem Menschenbild entsprechenden Gesellschaftsbild ist. Seine Kritik an der DDR wie an den immer stärker hervortretenden Verwerfungen des entfesselten Kapitalismus ist nur eingebunden in Alltagsgeschichten. Die Schlüsse, die daraus zu ziehen sind, überlässt er seinen Lesern.
In seiner Laudatio zur Verleihung des Erich-Fried-Preises 1990 an Christoph Hein sagte Hans Mayer, Heins Thema sei eine moribunde (todgeweihte) Welt. Das mag stimmen – allerdings mit Heinschem Humor.

Zur Person:

Christoph Hein wurde am 8. April 1944 als Sohn einer Pfarrerfamilie in Heinzendorf/ Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo er aufwuchs. Da Kindern aus Pfarrhäusern der Zugang zu einem Gymnasium in der DDR fast immer verwehrt wurde, zog er 1958 nach West-Berlin und besuchte dort als Internatsschüler ein humanistisches Gymnasium. Der Mauerbau verschlug ihn wieder in die DDR.
Von 1961 bis 1967 arbeitete er in unterschiedlichen Berufen: als Montagearbeiter, Buchhändler, Kellner, Journalist, Schauspieler kleinerer Rollen und Regieassistent. 1964 Abitur an einer Abendschule. 1967 Studium der Philosophie und der Logik an der Universität Leipzig, das er 1971 an der Humboldt Universität zu Berlin abschloss.
Danach Arbeit als Dramaturg an der Volksbühne Berlin unter der Leitung von Benno Besson. 1974 erhielt er eine Festanstellung als Hausautor, und noch im selben Jahr wurde sein Stück „Schlötel oder Was solls“ uraufgeführt. Mit Benno Besson verließ auch Hein 1979 die Volksbühne und ist seither freier Schriftsteller.
Zunächst beschäftigte er sich mit Übersetzungen, schrieb Features für den Rundfunk und Theaterstücke. 1980 gelang ihm mit seinem Prosadebüt „Einladung zum Lever Bourgeois“ der Durchbruch sowohl in Ost- wie auch in Westdeutschland. 1989 erhielt Christoph Hein eine Dozentur für den Poetik-Lehrstuhl an der Essener Folkwang-Schule. Seit 1992 ist er Mitherausgeber der Wochenzeitung ”Freitag” sowie Mitglied der Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt.
1996 stellte er einen Antrag auf die Übernahme in den West – PEN. Am 30. Oktober 1998 wurde er zum Präsidenten des vereinigten PEN gewählt.