Döbelner Anzeiger – Finnland schöpft aus Krise neue Kraft

5. März 2007
 


Wenn es am Sonnabendabend im Ost-West-Forum auf Gut Gödelitz darum ging, dem deutschen Publikum Finnland sympathisch zu machen, dann hat es der finnische Botschafter René Nyberg in den zwei Stunden geschafft.

Im Vortrag als auch in der Diskussion ging es aber vor allem darum, die Frage zu klären, wie es Finnland möglich war, die starke Rezession Anfang der 90er Jahre in einem relativ kurzen Zeitraum erfolgreich zu überwinden. Und wie es gelang, sich von einem rohstoffbasierten Forst- und Agrarland zu einem führenden Hochtechnologieland zu entwickeln. Die Krise war unter anderen von einer Arbeitslosenquote von 18 Prozent, einem steigenden Realzins sowie Exportrückgängen gekennzeichnet.

 

Die Stärken von Finnland


Wie lautete nun das Erfolgskonzept der Finnen? Der Botschafter hatte darauf eine klare Antwort. „Wir steckten in einer tiefen Krise, die nicht schlimmer sein konnte”, sagte Rene Nyberg. Die Tiefe der Krise sei ein entscheidender Fakt gewesen. Die völlige Ratlosigkeit brachte die Chance mit sich, dass die einzelnen Sozialpartner zusammenfanden. Letzteres sei jedoch auch etwas typisch Finnisches und die Stärke der finnischen Gesellschaft. Wirtschaft, Regierung und die Gewerkschaften arbeiteten zusammen und fanden gemeinsam ein Zukunftskonzept.

Grundlage war die Liberalisierung der Märkte. „Das ist eine entscheidende Voraussetzung überhaupt, dass es vorwärts geht”, sagte Nyberg. Die Reformen waren nicht schmerzfrei, die Sparmaßnahmen drastisch.

Schulsystem verändert


Und da die Fähigkeiten der Wirtschaft stets auf die Bildung zurückzuführen sind, ist auch am Schulsystem gearbeitet worden. In diesem Zusammenhang räumte Nyberg mit einem alten Mythos auf und sorgte für staunende Gesichter. „Finnland hat niemals vom DDR-Schulsystem abgeguckt”, sagte Nyberg. Das finnische Schulsystem gilt weltweit als führend. Der große Wurf sei aber schon vor 40 Jahren mit der Abschaffung der Hauptschule gelungen. Das wichtigste dabei war die Reformierung der Lehrerausbildung, bei der sämtliche Pädagogen, angefangen von der Erzieherin im Kindergarten bis zum Studienrat an der Hochschule, einbezogen wurden. Ihre Ausbildung ist seitdem akademischer geworden. Ergebnis sei, dass in Finnland fast alle Jugendlichen die Schule mit einem Schulabschluss verlassen. Außerdem habe sich die Zahl der Promotionen in den vergangenen 13 Jahren verdreifacht. In Finnland ist das letzte Jahr im Kindergarten die Vorschule. Alle Kinder werden erst mit sieben Jahren eingeschult. Daraus entsteht allerdings ein Problem: Die finnischen Studenten starten dadurch relativ spät in die Arbeitswelt.

Rentenreform weckt Interesse

Interesse weckte bei den Zuhörern auch die Schilderung des Rentensystems in Finnland. Dort gibt es die Rente mit 63/68. Das bedeutet, wer mit 63 Jahren in Rente gehen will, kann dies tun. Wer weiter arbeiten möchte, stockt damit seine Rente auf. Es ist ein freiwilliges System. „Unsere Rentenreform wurde den Menschen nicht übergestülpt. Es war mit einer freien Entscheidung verbunden”, kommentiert Nyberg. Das System sei schon heute ein Erfolg.

Von Dagmar Doms-Berger