Döbelner Anzeiger – Manipulation und Machenschaften

Gödelitz Montag, 16.09.2013

Der Sozialdemokrat und Volkswirt Albrecht Müller spricht im Ost-West-Forum Gut Gödelitz über die Euro-Krise.

Von Dagmar Doms-Berger

Europa steckt in der Krise. Die Idee eines sozialen Europas konnte sich nicht durchsetzen. Stattdessen dominieren marktradikale Auffassungen. Löhne und Renten werden gekürzt, Europa hat 26 Millionen Arbeitslose. Der Sozialstaat wird abgebaut. Neoliberalistische Ansichten gewinnen Oberhand. Welche Lösung gibt es für die Euro-Krise?
„Der Weg aus der Euro-Krise kann nur über den Ausgleich der Leistungsbilanzen innerhalb der Europäischen Union führen“, sagte Albrecht Müller am Sonnabendabend im Ost-West-Forum Gut Gödelitz vor über 200 Zuhörern. Sozialdemokrat Albrecht Müller ist Volkswirt und war Leiter des Planungsstabs unter den Kanzlern Willi Brandt und Helmut Schmidt. Er ist Herausgeber der NachDenkSeiten (www.nachdenkseiten.de). Die tatsächliche Ursache der Krise liege in den Unterschieden der relativen Wettbewerbsfähigkeit der Euroländer, die von Beginn der Währungsunion an vorhanden waren, so Müller. Im Verlauf der Jahre haben sie sich vergrößert und zu immensen Leistungsbilanzungleichgewichten im Euroraum geführt. Wichtig sei, dass eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und damit der Leistungsbilanz aller anderen Krisenländer nicht durch eine allgemeine Lohnsenkung erfolgen darf. Darüber hinaus entstünde bei einer flächendeckenden Lohnsenkung die Gefahr einer Deflation, die zu einer Erhöhung der Realzinsen und der realen Schuldenlast führten.

Die Lohnstückkostenpfade müssten im Euroraum in einem Prozess der EU-weit koordinierten Lohnpolitik umgekehrt werden, das heißt, die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten der Defizitländer relativ zu denen der Überschussländer so lange langsamer wachsen, bis sich die Lohnstückkostenniveaus wieder angeglichen haben. Deutschland müsste vom Inflationsziel der Europäischen Zentralbank EZB nach oben abweichen, die Krisenländer nach unten. Die Wettbewerbsfähigkeit der Länder mit Auslandsschulden könnte so allmählich wiederhergestellt werden, so dass die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte beseitigt würden.

Verfälscht und beeinflusst
Die Entscheidungen der Politiker hält Müller oftmals für zweifelhaft und falsch. Bei den Diskussionen ginge es nicht um die Sache, sondern ums politische Überleben“, so Müller. So wird dann mit Hilfe gezielter Informationstaktiken die Meinung der Volksmassen manipuliert. Ein Beispiel ist der Sparkurs. Dies sei der falsche Weg, so Müller. Sparen ohne zusätzliche Investitionen führe zweifelsfrei zu Problemen. Die maßgeblichen Entscheider hätten das Basiswissen der Ökonomie nicht verstanden. Doch das „Sparen“ wird als etwas Positives verkauft und den Krisenländern aufgezwungen.
Ein weiteres Beispiel: Aktionen wie die Rettung maroder Banken, die über 100 Milliarden Euro gekostet hat, seien Haare sträubend. Der Sturm der Entrüstung im Volk fiel aber aus. Wie war das möglich? Die Politik startete eine perfekte Informationskampagne mit der Behauptung, dass jede Bank „systemrelevant“ sei. Ein Weg, Fakten zu hinterfragen und Hintergründe zu erfahren sind die NachDenkSeiten, deren Herausgeber Albrecht Müller ist. Die Website beleuchtet die interessengebundenen Kampagnen der öffentlichen Meinungsbeeinflussung und deckt systematisch betriebene Manipulationen auf.