Irina Scherbakowa: 30 Jahre nach der Perestroika. Neostalinismus im heutigen Russland

Lesung und Diskussion mit Irina Scherbakowas (Historikerin und Publizistin) am Sonnabend, 1. Juni 2019 um 18:00 Uhr auf Gut Gödelitz in der Alten Schäferei.

Das ost-west-forum beschäftigt sich seit Jahren mit dem Verhältnis des Westens zu Russland. Immer wieder greifen wir das Thema vertreten durch unterschiedliche Referent/-innen und Positionen auf. Dabei ist uns der Begriff des Perspektiv-Wechsels wichtig: Beide Seiten zu sehen – Ost und West –, die jeweiligen Interessen, ihre emotionale Lage und – was für das Verständnis ebenfalls sehr wichtig ist – die Vorgeschichte.

Zur Vorgeschichte des heutigen Russland gehört auch der Stalinismus. Daher ist es uns ein Anliegen, diesem Thema die nächste Veranstaltung zu widmen. Als Referentin konnten wir hierzu die russische Germanistin und Literaturwissenschaftlern Irina Scherbakowa aus Moskau gewinnen. Dr. Irina Scherbakowas Forschungsgebiete umfassen Oral History, Totalitarismus, Stalinismus, Gulag und sowjetische Speziallager auf deutschem Boden nach 1945, vor alle aber Fragen des kulturellen Gedächtnisses in Russland und der Erinnerungspolitik.

In dem Buch „Die Hände meines Vaters“ (2017) erzählt die Historikerin und Publizistin die Geschichte ihrer jüdisch-russischen Familie – von Pogromen über die Oktoberrevolution bis in die Jahre nach der Sowjetunion. Das Buch ist eine epische russische Familiengeschichte des vergangenen Jahrhunderts, einer Familie, die alle Schrecknisse des 20. Jahrhunderts miterlebt hat.

Die Autorin gehört zu den Gründern der Menschenrechtsorganisation Memorial, die Stalin-Opfer und deren Angehörige ermutigt, Zeugnis abzulegen, sie kritisiert, dass es in Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion keine Aufarbeitung der Vergangenheit gegeben hat und dass Russland seine Geschichte seit 2000 propagandistisch umschreibt.

Irina Scherbakowas Buch und ihre Forschung werfen eine Reihe interessanter Fragen auf:

Welche Ermutigungen erfuhr Irina Scherbakowa aus Ihrer Familiengeschichte? Was veranlasst die Historikerin von „Neostalinismus“ zu sprechen? Wer schreibt die russische Geschichte propagandistisch um? Was wurde in Russland aus den verheißungsvollen Begriffen Perestroika und Glasnost? Auf welchem Weg ist Russland, in einer Zeit, da der Nationalismus in Europa Konjunktur hat? Gibt es in Russland eine nennenswerte Opposition? Seit Jahren verhängt der Westen verschiedenste Sanktionen gegen Russland – welche Wirkungen haben die, zu welchen Reaktionen führen sie? In Westeuropa ist das Wort „Putin-Versteher“ ein gängiger Begriff – was hält man in Moskau davon?

Im Gespräch mit Irina Scherbakowa wird Alfred Eichhorn diesen Fragen auf den Grund gehen. „30 Jahre nach der Perestroika. Neostalinismus im heutigen Russland“, Lesung und Gespräch mit Dr. Irina Scherbakowa, moderiert von Alfred Eichhorn.

Weiterhin freuen wir uns, dass im Vorfeld des Vortrags eine weitere Kunstausstellung durch Prof. Dr. Szalai eröffnet wird. Dieses Mal erwarten Sie dabei Werke der iranischen Künstlerinnen Tahared Pirabi (Malerei) und Mahnaz Pirabi (Reliefs).

Um Anmeldung wird gebeten: Tel.: 034325/20434, Fax.: 034325/20421, E-Mail: info@ost-west-forum.de. Die Kosten für die Veranstaltung und den Empfang belaufen sich auf 10 Euro pro Person für Mitglieder des ost-west-forums Gut Gödelitz e.V., für Nichtmitglieder 15,00 Euro.

Zur Person:
  • Irina Scherbakowa, geb. 1949 in Moskau
  • Irina Scherbakowa wurde als Tochter jüdischer Eltern geboren.
  • Sie studierte Geschichte und Germanistik und wurde 1972 in Germanistik promoviert.
  • In den folgenden Jahren arbeitete sie hauptsächlich als Übersetzerin deutscher Belletristik und als freie Journalistin. Darüber hinaus war sie als Redakteurin für die Literaturzeitschriften „Sowjetliteratur“ und „Literaturnaja gaseta“ und die Tageszeitung „Nesawissimaja Gaseta“ tätig.
  • Mit ihrem Arbeitsvorhaben „Menschliche Schicksale unter dem Totalitarismus – Rußland und Deutschland 1925–1955“ war Irina Scherbakowa 1994/1995 als Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin tätig.
  • Von 1996 bis 2006 war sie Dozentin am Zentrum für Erzählte Geschichte und visuelle Anthropologie der Russischen Staatlichen Universität für Geisteswissenschaften in Moskau (RGGU).
  • Seit 1999 gehört sie dem Kuratorium der Gedenkstätte Buchenwald in Weimar an. Sie ist Mitglied des internationalen Beirats der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin, der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und Vorstandsmitglied der Marion-Dönhoff-Stiftung. 2004 war sie zum Internationalen Literaturfestival Berlin eingeladen. Sie war auch Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen Wien, Gastprofessorin an der Universität Salzburg sowie am Jena Center Geschichte des 20. Jahrhunderts.
  • Seit 2010 ist Scherbakowa Ehrenmitglied des Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung Berlin (ZfL) und seit 2012 im internationalen Wissenschaftlichen Beirat des Wiener Wiesenthal Instituts für Holocaust-Studien (VWI) vertreten.
  • 1994 wurde Irina Scherbakowa mit dem Deutschen Katholischen Journalistenpreis, 2005 mit dem Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und 2014 mit dem Carl von Ossietzky-Preis für Zeitgeschichte und Politik ausgezeichnet.
Vorankündigungen:

Am Sonntag, den 2. Juni um 17.00 Uhr findet das 6. Kammerkonzert statt.

Am Montag, den 8. Juli um 19 Uhr präsentieren Friedrich Wilhelm Junge und Michael Fuchs vom Theaterkahn Dresden im Rahmen einer Benefizveranstaltung zu Gunsten des ost-west-forums ein Programm mit dem Titel „Erich Kästner – Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“.