Vortrag von Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg: Der Deutsch-Deutsche Bilderstreit

Veranstaltung am 17.8.2013

Nach der durch den Fall der Mauer ausgelösten Euphorie des „glücklichsten Volkes der Welt“ (Walter Momper) konnte man vielfach erleben, dass der „äußere“, institutionelle Prozess der deutschen Wiedervereinigung sich schneller und unkomplizierter vollzog als der „innere“ der Lebensformen und Situationsdeutungen.

Dabei weist der Vereinigungs- und in den ‚neuen Bundesländern‘ tiefgreifende Transformationsprozess für bestimmte Berufs- und  Bevölkerungsgruppen große Unterschiede auf. Die Überführung der Nationalen Volksarmee der DDR in die deutsche Bundeswehr ging scheinbar unspektakulär und problemarm vor sich. Obwohl beide Armeen voneinander abgeschottet gewesen sind und die NVA auf ein Feindbild orientiert war, hat man von lang andauernden und großen Annäherungs- und Akzeptanzproblemen kaum etwas gehört.

Ganz anders verlief das Zusammenwachsen im Bereich der Kultur, etwa die Integration der Literaten in einen gemeinsamen deutschen Schriftstellerverband oder das PEN-Zentrum. Obwohl Literatur aus der DDR oft auch im Westen rezipiert worden war, kam es unmittelbar nach der „Wende“ zum „Literaturstreit“.

Zahlreiche prominente DDR-Schriftsteller wurden nun wegen ihrer Staatsnähe angegriffen, wobei mit ihrer politischen Verurteilung oft auch künstlerische Abwertung einherging. Meist waren die aus der DDR in den Westen gegangenen Schriftsteller am rigorosesten.

Wir konnten einiges von solchen Schwierigkeiten hören, als Christa und Gerhard Wolf hier bei uns in Gödelitz gelesen und mit uns diskutiert haben.

Viel radikaler jedoch als im Falle der Literatur vollzog sich die Konfrontation innerhalb der Bildenden Künste.  Diese Konfrontation wird als „deutsch-deutscher Bilderstreit“ bezeichnet. Gemeint ist damit die Auseinandersetzung um die Anerkennung von DDR-Malerei als Kunst und von DDR-Malerinnen und -Malern als Künstler. Das betraf auch den Streit um die Präsenz ihrer Werke in ostdeutschen Museen, denn ab 1990 hatte sich in diesen eine „Wende an den Wänden“ (André Meier) vollzogen, waren die meisten Bilder einst renommierter DDR-Maler in die Depots geräumt worden.

Umstritten waren vor allem Formen der Präsentation von DDR-Kunst in Ausstellungen.

Auch im Bereich der Bildenden Künste waren es vor allem die aus der DDR in den Westen ausgewanderten Maler, die ihre ostdeutschen „Kollegen“ wegen Auftragsarbeiten und „Staatsnähe“ verurteilten und ihnen jedes künstlerische Vermögen absprachen. Dies fand einen verbalen Ausbruch in der Behauptung von Georg Baselitz (1938 in Sachsen geboren, 1958 nach Westberlin verzogen, international bekannt, vielfach ausgezeichnet), dass es in der DDR keine Künstler gegeben habe und dass Maler wie Werner Tübke (1929-2004), Bernhard Heisig (1925-2011) oder Wolfgang Mattheuer (1927-2004, Mitglied des Kuratoriums unseres Bürgervereins) „ganz einfach Arschlöcher“ seien.

1999 rückte die Ausstellung „Aufstieg und Fall der Moderne“ in der Europäischen Kulturhauptstadt Weimar die DDR-Kunst in eine räumliche, aber auch ästhetische Nähe zur NS-Kunst. Auswahl und Kombination der Bilder wurden von Werner Tübke (dem Schöpfer des monumentalen Bauernkriegspanoramas in Bad Frankenhausen) als „schikanös, bösartig, scheußlich“ bezeichnet.

Doch in der internationalen Kunstszene und auf dem Kunstmarkt haben die DDR-Maler, besonders der „Leipziger Schule“, vor und nach der Wende einen guten Stand. Und auch in renommierten westdeutschen Sammlungen waren und blieben sie vertreten.

Führende Politiker waren weniger rigoros und pauschal abwertend gegenüber DDR-Kunst als westdeutsche Künstler, Galeristen und Ausstellungs-Kuratoren. So hatte Helmut Schmidt sich 1986 für die offizielle Galerie der Porträts der Bundeskanzler von Bernhard Heisig porträtieren lassen. Und die Ausstellung zum 80. Geburtstag von Bernhard Heisig wurde durch Bundeskanzler Gerhard Schröder eröffnet.

Als Willi Sitte (1921-2013), der als langjähriger Präsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR politisch und künstlerisch besonders heftig angegriffen worden war, am 8. Juni 2013 starb, haben ARD und ZDF in ihren Nachrichtensendungen sehr ausgewogene Nachrufe gebracht.

Der deutsch-deutsche Bilderstreit, der gewissermaßen in der Kulturstadt Weimar 1999 begonnen hatte, fand nach fast 15 Jahren in ebendieser Stadt mit der Ausstellung „Abschied von Ikarus“ einen gewissen Abschluss. Der Untertitel dieser Ausstellung lautete „Bilderwelten in der DDR – neu gesehen“ und war eines der Ergebnisse eines langjährigen Forschungsprojektes über Malerei in der DDR. Unter der wissenschaftlichen Leitung und Koordination von Prof. Dr. Karl-Siegbert Rehberg, einem europaweit renommierten Kultursoziologen, sind rund 20.000 Werke in 160 Galerien, Museen und Sammlungen erfasst und dokumentiert worden. Dabei ging es auch um den Nachweis der nach 1990 in den Depots verschwundenen Bildwerke sowie die von den einstigen DDR-Großbetrieben initiierten und finanzierten künstlerischen Arbeiten und Sammlungen. Ausgewogen, sachorientiert und ohne Klischees ist so ein „Bildatlas Kunst der DDR“ entstanden.

Das ost-west-forum Gut Gödelitz freut sich sehr, dass heute Herr Professor Dr. Rehberg über den deutsch-deutschen Bilderstreit und seine Überwindung sprechen wird.

Das Thema ist unserem „ost-west-forum wichtig“, weil dieser Bilderstreit wichtige Aspekte der inneren Wiedervereinigung unseres Landes verdeutlicht. In ihm wurden vor allem subjektive Seiten dieses Prozesses, also persönliche Kränkungen, Karrierehoffnungen und Enttäuschungen, berufliche Konkurrenzen, Unterlegenheitsgefühle usw. sichtbar.

Dabei kamen auch Tiefenprägungen, Vorurteile und Stereotypisierungen an die Oberfläche, die alle während der vierzig  Jahre der deutschen Teilung entstanden waren und die Zeit für Ihre Überwindung benötigen. In den Gödelitzer deutsch-deutschen Biografiegesprächen kommen häufig ähnliche subjektive Seiten zur Sprache. Teilnehmer reden im kleinen Kreis eines „geschützten Raumes“ über ähnliche Probleme wie sie im Bilderstreit medienwirksam öffentlich gemacht worden waren.

Vielleicht hat der Bilderstreit inzwischen doch zu einem ausgewogenen Urteil über DDR-Kunst beigetragen, zu der Einsicht also, dass auch in einer geschlossenen und autoritären Ideologiegesellschaft wirkliche Kunst möglich ist. Jedenfalls gab und gibt es Auftragskunst seit Jahrhunderten, und unsere Museen und Galerien sind voll mit kirchlich oder herrschaftlich gewollten Bildwerken.

Ganz gewiss war in der DDR die Freiheit der Kunst durch die Macht der Politik, also von Einheitspartei und Staat, begrenzt. Auftraggebundene Kunst war zuerst gedacht als ein Mittel der Erziehung, der Propaganda, der Manipulierung. Allerdings waren die Freiräume für Kunst und Künstler in der DDR zu unterschiedlichen Zeiten  unterschiedlich groß, unter Erich Honecker größer als unter Walter Ulbricht.

Künstler haben diese relativen Freiheitschancen immer wieder ausgetestet und auszuweiten gesucht. Sie haben die äußere Zensur oft unterlaufen, so im Schutzraum der Kirchen, durch Historisierung, Mythologisierung, Überspitzungen und Verzerrungen in ihren Bildern. Neben der äußeren Zensur hat bei manchen Künstlern gewiss auch eine innere Zensur bewirkt, dass man in den Systemgrenzen eines sozialistischen Gesellschaftsmodells blieb. Und gerade in der Kunst wurde das Spannungsverhältnis zwischen einem utopisch-sozialistischen Anspruch und der realsozialistischen Wirklichkeit sichtbar gemacht, kritisch, oft versteckt, humorvoll, bissig, sarkastisch, verzweifelt, mobilisierend.

Auch  in freien, demokratischen, pluralistischen Gesellschaften ist Kunst, sind Künstler nicht immer frei von allen Zwängen. In einer Marktwirtschaft ist Kunst stets auch Ware und unterliegt der Macht des Marktes, des Kunstmarktes, der Galerien und Museen und ihrer Kuratoren.

Der langjährige und bekannte Kunstkritiker und Publizist der FAZ Eduard Beaucamp sieht im deutsch-deutschen Bilderstreit einen sehr komplexen Prozess, wenn er formuliert: „Bei dem Bilderstreit handelt es sich um eine Art ästhetischen Bürgerkrieg, einen erbitterten, unversöhnlichen Streit um  Ideologien, Mentalitäten, Stile, Verfassungen von Kunst in Deutschland.“

Zu den Langzeiterfolgen des deutschen Vereinigungsgeschehens gehört auch die weitgehende Überwindung dieses „ästhetischen Bürgerkrieges“, der sich nach Ansicht unseres Referenten als „stellvertretender Diskurs über die deutsche Wiedervereinigung“ erwiesen hat.

Text von Professor Wendelin Szalai


 

Biografisches

Karl-Siegbert Rehberg, geb. 1943 in Aachen; nach dem Besuch der Volksschule, Buchhändler und Lokaljournalist, Mitarbeiter in der Wissenschaftlichen Abteilung des Deutschen Bundestages und Abgeordnetenassistent; seit 1969 Studium der Soziologie und Politischen Wissenschaft in Köln und Aachen. Promotion 1973 (Betreuer: Arnold Gehlen), Hochschullehrer seit 1986; Privatdozent 1992.

Seit 1992 Gründungsprofessor und Inhaber des Lehrstuhls für Soziologische Theorie, Theoriegeschichte und Kultursoziologie an der Technischen Universität Dresden, seit 2009 als Seniorprofessor.

Seit 1976 Herausgeber der Arnold-Gehlen-Gesamtausgabe; 2003-2007 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie; Gastprofessuren in Basel, Lausanne, Leiden, Neapel, Paris, Rom und Trento, seit 2009 Korrespondierendes Mitglied des Collegio San Carlo in Modena; Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Beiräte; Wissenschaftlicher Leiter der Dresden School of Culture in der Dresden International University und seit 2010 Direktor des Dresdner Instituts für Kulturstudien e.V.; Wissenschaftlicher Koordinator des BMBF-Verbundprojektes „Bildatlas: Kunst in der DDR“; Mitkurator der Ausstellungen „60/40/20. Kunst in Leipzig seit 1945“ im Museum der bildenden Künste in Leipzig v. Oktober 2009 bis Januar 2010 sowie „Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen“ im neuen Museum in Weimar von Oktober 2012 bis Februar 2013.

2011 Wissenschaftspreis der Aby-Warburg-Stiftung Hamburg und Ernennung zum „Chevalier dans l’Ordre des Palmes académiques“.

Lehr- und Forschungsschwerpunkte: Soziologische Theorien (bes. institutionelle Analyse), Geschichte der Soziologie, Philosophische Anthropologie und Soziologie, Kultursoziologie (bes. Kunstsoziologie, z.B. Kunst in der DDR , Romkünstler im 19. Jahrhundert und Museumsforschung), Sozialstrukturanalyse (bes. Klassenstrukturen), Transformationsforschung.

Ausgewählte Publikationen zur Kunst in der DDR:

Hg. mit Paul Kaiser) Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR – Analysen und Meinungen. Hamburg/Berlin/Dresden: Junius 1999

Hg. mit Paul Kaiser) Abstraktion im Staatssozialismus. Feindsetzungen und Freiräume im Kunstsystem der DDR. Weimar: VDG 2003

Mitarbeit an einem Weltbild“: Die Leipziger Schule. In: Kunst in der DDR. Eine Retrospektive der Nationalgalerie [Ausstellungskatalog]. Hg. v. Eugen Blume / Roland März. Berlin: 2003, S. 44-59

„Formalist”, Verbandspräsident, „Sündenbock”. Willi Sitte als „Staatskünstler“ in der „Konsensdiktatur. In: G. Ulrich Großmann (Hg.): Politik und Kunst in der DDR. Der Fonds Willi Sitte im Germanischen Nationalmuseum. Nürnberg: Verlag des GNM 2003, S. 76-93 [Diskussion S. 93ff., Abbildungen S. 188-198]

(Hg. mit Lutz Hieber und Stephan Moebius) Kunst im Kulturkampf. Zur Kritik der deutschen Museumskultur. Berlin: transcript 2005

(Hg. mit Hans-Werner Schmidt): 60/40/20. Kunst in Leipzig seit 1949 [Ausst.-Katalog Museum der bildenden Künste Leipzig 2009/2010]. Leipzig: Seemann 2009

(Hg. mit Wolfgang Holler und Paul Kaiser): Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen [Ausst.-Katalog Neues Museum Weimar 19.10.2012-3.2.2013], Köln: König 2012