„Wegmarken“ – Arbeiten von Anne-Francoise Cart

35. Kunstausstellung des ost-west-forum Gut Gödelitz e.V. Eröffnung am 5. Dezember 2015, 18:00 Uhr.

Laudatio: Prof. Dr. Wendelin Szalai.

Videodokumentation zur Ausstellungseröffnung

Liebe Mitglieder und liebe Freunde des ost-west-forum Gut Gödelitz,
sehr geehrter Herr Professor Esser,
meine Damen und Herren,

im  Namen des Vorstandes begrüße ich Sie alle zu einer neuen Veranstaltung unserer monatlichen Samstagabendreihe.
Auf Gut Gödelitz gibt es wieder neue Bilder zu sehen.
Mit einem kleinen Vorprogramm eröffnet unser Bürgerverein seine 35. Kunstausstellung.
In dieser werden Arbeiten von Frau Anne-Francoise Cart gezeigt.
Ich habe die Freude, Ihnen diese vielseitige Künstlerin und ihre Bilder kurz vorzustellen.

Frau Cart ist 1967 im ostafrikanischen Burundi geboren.
Aufgewachsen ist sie in der Schweiz und in Indien.
Sie ist Schweizer Staatsbürgerin.
Durch die berufliche Arbeit ihres Vaters ist sie frühzeitig viel in der Welt herumgekommen.
An der Kunsthochschule in Luzern hat sie ein fünfjähriges Studium für Textildesign absolviert.
Dem folgte ein Studien- und Arbeitsaufenthalt im westafrikanischen Ghana.
Danach war sie rund 10 Jahre lang mit unterschiedlichen Projekten auf verschiedenen künstlerischen Gebieten kreativ.

Dazu zählten Fassadengestaltungen im afrikanischen Stil, großflächige Mosaike, Lehmbaukurse, Kunstkurse in Lanzarote, verschiedene Kinder-Kunst-Projekte, darunter ein dreimonatiges im Kosovo.

Seit 2006 ist Anne-Francoise Cart in Deutschland  künstlerisch tätig.

In Bad Belzig hat sie sich eine eigene Atelier-Werkstatt eingerichtet.

Gemeinsam mit deutschen und polnischen Künstlern hat sie in Polen an Projekten der Freilichtmalerei mitgewirkt.

Studienreisen und Arbeitsaufenthalte haben die Künstlerin auch nach Marokko, in das mittelamerikanische Guatemala und nach China geführt.

2013 ist Anne Cart nach Berlin umgezogen.

Sie ist Mitglied des Bundesverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler e. V.

Arbeiten von ihr waren bereits auf zahlreichen Ausstellungen zu sehen.
Die programmatischen, poesievollen, naturverbundenen Titel dieser Ausstellungen hießen: Spurensicherung, Ostsee, Novemberlandschaft, Verspielte Natur, Afrikanische Klänge, Loblied auf die Ruhe.

Zur Eröffnung ihrer Gödelitzer Ausstellung ist die Künstlerin aus Berlin zu uns gekommen. Wir freuen uns darüber sehr und begrüßen Sie, liebe Frau Cart, ganz herzlich in unserer Mitte.

Nach diesen knappen Angaben zum bisherigen Lebensweg der Künstlerin will ich mich ihren Bildern zuwenden. Meine Anmerkungen dazu sind Ausdruck meiner ganz persönlichen und sehr subjektiven Sicht.

Krach um die Gemütlichkeit

© A. Cart: Krach um die Gemütlichkeit

Wir haben bei unseren bisherigen Ausstellungen festgestellt, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem, was man auf einem Bild sieht und dem, was man in einem Bild sieht.

Ich fange mit der Frage an: Was sehen wir auf den Bildern von Anne Cart?

Wir sehen einen Reichtum an Farben, an feinen Farbnuancen und an harmonischen Formen.

Gegenständliches kann man nur gelegentlich erkennen oder erahnen – Blüten, Blätter oder Grashalme zum Beispiel.

In unserer neuen Ausstellung haben wir es überwiegend mit abstrakter Kunst zu tun.

Bei genauerer Betrachtung kann man erkennen, dass in manchen Bildern Fundmaterialien aus der Natur oder dem Alltag sowie aus Zeitungen ausgeschnittene Wörter eingearbeitet sind. In solchen Fällen spricht man von Collagen.

Wir haben bei unseren bisherigen Ausstellungen bemerkt, dass die Rezeption abstrakter Kunst einerseits viel Fantasie erfordert, dass diese Kunst andererseits unserer Fantasie große Freiräume öffnet.

Damit sich unsere Fantasie entfalten kann, sollten wir uns zumindest für ausgewählte Bilder genügend Zeit nehmen.

Um deren Schönheit entdecken und genießen zu können, sollte man die Bilder sowohl mit Abstand als auch ganz aus der Nähe anschauen.

Eine derartige Betrachtungsweise kann uns den Blick schärfen für die alltäglichen, für die übersehenen, für die unentdeckten Schönheiten unterwegs auf allen unseren Wegen.

 

Nimm mich an die Hand

A. Cart: Nimm mich an die Hand

Die Malereien und Collagen von Anne-Francoise Cart erinnern mich an Natur, an Weite, an Landschaften, an Horizonte, an Wasser, an Sonne, an Felder und Wiesen, an Sand und Steine

Damit bin ich bereits bei der Frage, was ich in diesen Bildern sehe.

Von unseren bisherigen Ausstellungen wissen wir, dass wir auf einem Bild alle das Gleiche, in einem Bild aber sehr Unterschiedliches sehen können.

Abhängig ist dies von unseren ganz individuellen Lebenserfahrungen , von unseren Einstellungen und Interessen. Abhängig ist es auch von unseren aktuellen Erlebnissen, von unserer aktuellen Befindlichkeit . Selbst durch unsere aktuelle Stimmungslage wird die Begegnung mit einem Bild beeinflusst.

Meine Frage muss also lauten:

Was sehe ich hier und heute in diesen Bildern? Was geht mir bei ihnen im Dezember 2015 in Sachsen, in Dresden (ich bin Dresdener.), durch den Sinn?

Einen Zugang zur Beantwortung dieser Frage können neben Farben und Formen auch Texte bilden, einzelne Wörter oder ganze Sätze.

Dabei kann es sich um den Titel einer Ausstellung handeln,

aber auch um die Titel der Bilder dieser Ausstellung

oder um Texte auf diesen Bildern.

Ich möchte das an einigen Beispielen verdeutlichen und fange mit Bildtiteln an:

Das englische Wort „between“ taucht mehrfach auf, auch die deutsche Übersetzung „dazwischen“. Dann finde ich das – je nach Aussprache – lateinische, englische oder französische Wort „Transition“, was auf deutsch „Übergang“ bedeutet.

in between

© A. Cart: in between

Ich sehe in der Verwendung der Worte „Dazwischen“ und „Übergang“ die Bekräftigung für eine Such- und Differezierungshaltung in unserem Denken und Tun, eine Warnung vor Stagnation und Starrheit, eine Warnung vor vorschnellen und undifferenzierten Urteilen und Aktionen.

Das alles aber ist für mich ganz aktuell!

Wir befinden uns ja derzeit in einer sehr bewegten, sich rasch ändernden, schwer überschaubaren, äußerst schwierigen und manchmal beängstigenden Situation.

Da ist der Wunsch nach schnellen und klaren Bewertungen, nach schnellen und einfachen Lösungen doch verständlich – aber leider wirklichkeitsfremd und darum wenig hilfreich.

Den Bildtitel „Nimm mich an die Hand“ lese ich als Aufforderung zu Schutz und Fürsorge für die Heranwachsenden, als Aufforderung zu ihrer verantwortungsvollen Bildung und Erziehung. Dieser Text ist für mich aber auch generell Appell und Ermutigung zur Hilfe für Schwache, Benachteiligte, Bedrohte, Verfolgte.

Ganz ähnlich gegenwärtig sprechen mich Textpassagen an, die in Bilder eingefügt sind:

In einem Bild kann man zum Beispiel lesen: „Über das Ende einer Illusion.

Ich deute diese Formulierung als eine Beschreibung unserer aktuellen Lage:

Ein abgeschottetes Deutschland als stabile Insel der Seligen in einer sich dramatisch verändernden Welt – das ist ein verständlicher Wunsch, es ist aber leider eine welt- und lebensfremde Illusion.

Schauen wir jetzt auf die Überschrift unserer 35. Ausstellung.

Anne Cart hat ihre Gödelitzer Ausstellung mit dem Wort WEGMARKEN betitelt.

Und als erklärenden Untertitel hat sie folgenden Satz hinzugefügt:

„Spuren des Alltäglichen, des Empfundenen, Gedachten, Erlebten und Gehörten verdichten sich zu Wegmarken, zu Markierungen individueller Lebenswege.“

Von individuellen Lebenswegen also ist die Rede, das heißt von Biografien.

In diesem Zusammenhang kommen mir die Biografie-Gespräche unseres Bürgervereins in den Sinn. In ihnen geht es um den erzählenden Austausch von Geschichten über Lebenswege. Das „Gödelitzer Modell“ dieses Austausches erweist sich als ein erfolgreicher Weg zum Abbau von Vorurteilen gegenüber wenig gekannten Mitmenschen und zur Förderung von Mitmenschlichkeit und Solidarität.

Wenn ich über Wege nachdenke, komme ich zwangsläufig zu der Frage nach dem WOHIN. Zu welchen Zielen bin ich, sind wir, ist unsere Gesellschaft unterwegs?

Sind diese Ziele richtig, sind sie wichtig, sind sie realistisch?

Oder ist vielleicht der Weg das Ziel?

Kommt es vielleicht auf das Unterwegssein an?

Ein deutsches Sprichwort lautet:

„Man muss das Glück unterwegs suchen, nicht am Ziel, da ist die Reise zu Ende.“

Stillstand und Beharren auf dem Bisherigen wären demnach unrealistisch, hemmend und gefährlich.

Wir erleben gerade, wie schnell sich unsere Welt verändert.

Wir werden das nicht aufhalten können.

Rufe nach dem Beharren auf der „guten alten Zeit“ sind vielleicht verständlich, helfen aber nicht weiter, schon gar nicht, wenn diese Rufe aufhetzend geschrien werden.

Meine Damen und Herren, liebe Freunde,

sind wir nicht oft auch unterwegs zu uns selbst, zu unserem tiefsten Inneren, zum Kern unseres Menschseins, zum Sinn unseres Lebens?

Eine verantwortbare Sinnfindung fällt in unserer pluralistischen Gesellschaft, unserer Konsumgesellschaft, unserer Mediengesellschaft schwer, weil wir mit einer Überfülle an meist oberflächlichen, lauten, ablenkenden, manipulierenden Sinnangeboten konfrontiert sind.

Orientierung und Sinnfindung sind für Kinder und Jugendliche besonders wichtig, gegenwärtig aber auch besonders schwierig.

Von solchen Orientierungen jedoch hängt die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ab.

Was vermag in unserer unübersichtlichen und sich rasch verändernden Zeit die Schule für Orientierung und Sinnfindung zu leisten?“

Welche Verantwortung haben dabei die Medien?

Wie steht es dabei um unsere eigene Vorbildwirkung?

In den Veranstaltungen unseres ost-west-forum suchen wir gemeinsam nach friedensfähigen und damit zukunftsfähigen Antworten auf die Frage nach dem, worauf es vor allem ankommt in unserem Leben, in unserem Zusammenleben, in unserer Gesellschaft.

Kommen wir vom Weg zu den WEGMARKEN. Was könnten solche Markierungen auf unseren Lebenswegen – den äußeren wie den inneren – sein?

Zweifellos gibt es von außen gesetzte, gewissermaßen aufgezwungene Markierungen, denen wir nicht ausweichen können, denen wir uns stellen müssen.

Die derzeit anschwellenden Flüchtlingsströme dürften zu solchen Markierungen unserer Lebenswege werden.

Aber auf unseren individuellen Lebenswegen gibt es auch innere und selbstgesetzte Markierungen. Für diese sind wir selbst verantwortlich.

Anne-Francoise Cart spricht im Untertitel zu dieser Ausstellung davon, dass im Alltäglichen Erlebtes, Gehörtes, Empfundenes und Gedachtes zu solchen Markierungen werden kann.

Ob es das wird, hängt von uns selbst ab.

Für unser inneres Wohlbefinden sind positive, sind schöne Markierungen bedeutsam.

Gerade sie sollten wir in unserem Alltag suchen, finden und bewusst setzen.

Ich denke da beispielsweise an das Erleben von Ruhe und Schönheit in der Natur, an beeindruckende Erlebnisse mit Künsten, an erfüllende Begegnungen mit anderen Menschen.

Starke positive Wirkungen liegen im Schenken und im Helfen.

Im Grunde genommen sind wir doch alle auf unseren unterschiedlichen Lebenswegen auf der Suche nach Glück. Wir sind unterwegs zum Glücklichsein.

Über das Glücklichsein steckt viel Wahrheit im folgenden früher oft in Poesiealben zitierten Spruch:

„Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu anderer Glück, denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück.

Das ist das Gegenteil von Egoismus, das Gegenteil von Gier, und Geiz.

Gerade gegenwärtig können wir durch mitmenschliches Verhalten, durch Barmherzigkeit oder Solidarität viel zum Glück anderer Menschen – und damit zu unserem eigenen Glück -beitragen.

 

Liebe Freunde, meine Damen und Herren,

die meisten von uns haben wahrscheinlich schon die schmerzhafte und zugleich heilsame Erfahrung gemacht, dass es auf unseren Wegen oft auch schwierige Stellen gibt – STOLPERSTEINE, im direkten und im übertragenen Sinne.

Stolpersteine gehören zur Normalität des Lebens. Sie können eine Gefahr sein, aber auch eine Chance. Wichtig ist es, wie wir mit ihnen umgehen.

Von Napoleon Bonaparte stammt der folgende Rat: „Achte auf die Steine unterwegs, gerade zum Stolpern brauchst du Umsicht und Erfahrung.“

Wenn gegenwärtig das aufgezwungene plötzliche Begegnen mit vielen Fremden von vielen Leuten als Stolperstein empfunden wird, dann ist Umsicht gefragt – Umsicht bei der Politik, Umsicht bei den Medien – und Umsicht auch in unserem eigenen Denken und Verhalten.

Um Vorurteile abzubauen sollten vor allem die Beispiele gelungener Begegnungen erinnert werden. Für Gerüchte dürfte es überhaupt keinen Platz geben.

Meine Damen und Herren, liebe Freunde,

soviel an Fragen und Gedanken, die bei mir ganz aktuell durch die Bilder von

Anne-Francoise Cart ausgelöst oder verstärkt werden.

Vielleicht geht es manchen unter Ihnen so wie mir, oder so ähnlich.

Im Namen unseres Vorstandes wünsche ich unserer neuen Ausstellung viele interessierte Betrachter. Den Betrachtern der Bilder von Anne-Francoise Cart wünsche ich ästhetischen Genuss und anregendes Nachdenken.

Damit ist die 35. Kunstausstellung des ost-west-forum Gut Gödelitz eröffnet und das Vorprogramm beendet.

Zum Hauptprogramm übergebe ich an meine Vorstandskollegin Frau Astrid von Friesen.

Porträt Anne-Francoise Cart

© Anne-Francoise Cart

 

1967 geboren in Bujumbura/Burundi (Ostafrika), aufgewachsen in der Schweiz und in Indien.
1986 –1991 Textildesign-Studium an der Kunsthochschule Luzern, Schweiz
1992 3-monatiger Studien- und Arbeitsaufenthalt in Ghana
1994 – 2004 Fassadengestaltungen im afrikanischen Stil,  sowie grossflächige Mosaike, Aufbau eines Gemeinschafts-Ateliers, Lehmbaukurse, Kunstkurse, Kinder-Kunst-Projekte und Kunstaktionen durchgeführt und geleitet.
1994 – 1998 jährliche selbstorganisierte Kunststudienaufenthalte in Lanzarote
2000 3 Monate im Kosovo, sozialer Wiederaufbau nach dem Krieg mit Jugendlichen und Kindern im malerischen Bereich
2006 Mitaufbau einer Produzentengalerie “Galerie am Schloss” in Wiesenburg
2006 eigene Atelier-Werkstatt in Bad Belzig
2008 Weiterbildung bei Meera Hashimoto
2012 Mitglied bei der GEDOK Brandenburg
2012 Plenair Malarski, Künstlerbegegnung Deutschland-Polen
2013 Umzug nach Berlin
2014 Mitglied im BBK Berlin (Berufsverband bildender Künstler Berlin e.V.)
2015 Landschaftspleinair Schwedt/Oder zum Thema “Spiegelungen”

Diverse Studienaufenthalte und Arbeitsaufenthalte in Lanzarote, Kosovo, Ghana, Guatemala, China, Marocco und Polen.


Das Zeigen der Schönheit, die im Verborgenen liegt,

Vielschichtigkeit, welche entblättert

und die Suche nach Ursprünglickeit und Tiefe


Anne-Francoise Cart, Atelier Kreativfabrik Babelsbergerstrasse 40/41, 10715 Berlin

030-68078233, 0178-285 16 19, anne.cart@gmx.de, www.anne-cart.de