Döbelner Anzeiger – Rudolph Speth fordert: Wir brauchen Regeln

20. Februar 2006

Wieder einmal mussten zusätzlich Stühle in den Vortragssaal von Gut Gödelitz getragen werden, weil mehr Interessierte angereist waren als gedacht. Rudolph Speth, Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, ist Kenner der “Einflüsterer”-Szene in Berlin. Bereits in zahlreichen Publikationen analysierte der gebürtige Bayer die spannungsreichen Beziehungen von Interessenvertretern und Politik. Locker an das Rednerpult gelehnt und freisprechend, gab er eine aufschlussreiche Einführung in das brandaktuelle Thema. Ihm gelang es, völlig „Unbeleckten“ auf diesem Gebiet einen Einstieg zu ermöglichen und gleichzeitig „alten Politik-Hasen“ genug Diskussionsstoff für die Fragestunde danach zu liefern.

Als Einstieg stellte er Fragen, ob es korrekt sei, dass scheidende Politiker in den zuvor von ihnen politisch betreuten Wirtschaftsbereichen – wie jüngst im Fall Schröder geschehen – arbeiten? Ob es richtig sei, dass Gesetzentwürfe zunehmend von Außen, von besagten Interessengruppen, den Ministerien als Vorlagen dienen, wie beispielsweise Steuergesetze, die durch die Stiftung Marktwirtschaft und nicht vom zuständigen Ministerium erarbeitet werden? Um eine schlüssige Antwort geben zu können, erläuterte er erst einmal, wer diese Lobbyisten sind, wie dieses System von Information und Einflussnahme funktioniert: Es sind Verbände aus Wirtschaft oder starker Berufsgruppen, Gewerkschaften und Kirchen. „In Berlin agieren etwa 4000 Lobbyisten. In Brüssel sind es zwischen 10.000 und 25.000“, berichtet Rudolf Speth. Es sind Konzernrepräsentanzen, Agenturen, Anwaltskanzleien oder Ein-Mann-Unternehmen, die als Dolmetscher zwischen Politik und ihren Auftraggebern fungieren. Sie stricken emsig Netzwerke, sammeln relevante Informationen, müssen den Politikern das Interesse ihrer Auftraggeber erklären oder beschäftigen sich mit Fragen wie etwa: Wie bekomme ich meinen Chef ins Kanzlerflugzeug? „Sie sorgen dafür, dass Gesetzesentwürfe bereits vorliegen, bevor ein Ministerialbeamter den Bleistift gespitzt hat”, so Speth.

Doch dieses Terrain könne schnell zu einer Rutschbahn werden, denn nur selten sei Transparenz gegeben und das Parlament sei am Ende nicht mehr als ein Vollzugsorgan, gibt der Referent zu bedenken. Stinkt das nicht nach Vorteilsnahme oder gar Korruption? Es gäbe immer schwarze Schafe.

„Wir brauchen Regeln!“ fordert Speth. Erste Schritte seien schon getan, denn alle Abgeordneten müssen seit 1. Januar alle Nebentätigkeiten anzeigen, die 10.000 Euro im Jahr und 1000 Euro im Monat überschreiten. Wichtig seien auch Regeln, wie etwa eine Selbstverpflichtung von Politikern, erst nach einer gewissen Karenzzeit in die Wirtschaft zu gehen. Nötig seien aber auch Selbstverpflichtungen der Lobbyisten, die ihre Karten offen auf den Tisch legen müssen.

Doch auch wenn dies alles klar geregelt sein würde, es bleibt stets ein bitterer Beigeschmack, dass zeigte auch die Diskussion im Anschluss. Je mehr der Staat regelt, desto größer ist das Interesse der Lobbyisten einzugreifen. Je mehr Gesetze, umso größer wird der Einfluss der Interessenverbände. Für Lobbyarbeit braucht es nicht nur Zeit, sondern in erster Linie jede Menge Geld. Klar dass Randgruppen keine Lobby haben. Was in weiten Bevölkerungskreisen registriert wird, sind Spendenskandale, Wirtschaftsbetriebe, die der Politik mit Standortverlegung drohen oder Politiker, die käuflich sind. Dies birgt eine große Gefahr, so der Gastgeber Axel Schmidt-Gödelitz. Mit den Worten „Eine Gesellschaft wird nur zusammengehalten, wenn deren Elite Vorbild ist“, schließt er mahnend den Vortragsabend.

Gabriele Gelbrich