Döbelner Anzeiger – Der Westen lernt langsam

4. September 2007
 

Ministerpräsident Georg Mildbradt hält 4. Gödelitzer Rede

Wer sich am Sonntagabend auch nur einen Nebensatz des Sächsischen Ministerpräsidenten Georg Milbradt zur Bankaffäre erhofft hatte, sah sich vielleicht enttäuscht. Milbradt widmete sich in seiner vierten Gödelitzer Rede ausschließlich dem ureigensten Anliegen des Forums, die Menschen in Ost und West näher zu bringen. Zum bevorstehenden 17. Jahrestag der deutschen Einheit sprach er über westdeutsche Denkfehler und Fehlentscheidungen, über ostdeutsche Stärken und Denkweisen. Sein Thema: Was der Westen vom Osten lernen kann.


Für Milbradt steht fest: Die Einheit ist eine Erfolgsgeschichte. Aber was wirkte dem Einheitsprozess entgegen? Aus seiner Sicht erschwerte die aus der Wirtschaftslage der DDR resultierende Überheblichkeit des Westens die Einheit massiv. Die dort herrschende Ansicht der Unfehlbarkeit der eigenen Ordnung habe dazu geführt, dass im Westen alles für gut, im Osten dagegen für schlecht befunden wurde. Erhaltenswerte Dinge seien ignoriert worden. Der kardinale Denkfehler des Westens habe darin bestanden, dass sich der Osten dem Westen komplett anpassen und ein Abziehbild werden sollte. „Dass sich auf die institutionellen Veränderungen auch der Wirtschaftserfolg einstellt, war ein Irrglaube“, so Milbradt. Es war wirtschaftspolitisch falsch, dem Osten ein festes System überzustülpen. So blieb das Wirtschaftswunder aus und das Wohlstandsversprechen habe nicht eingelöst werden können. Vielen Menschen kostete dies den Arbeitsplatz und brachte Verbitterung. „Man hätte größere Lohnunterschiede akzeptieren müssen“, sagt Milbradt.

 

Alles beim Alten im Westen

Während auf die Ostdeutschen eine Vielzahl an Veränderungen zukam, die nach Milbradts Ansicht nicht hoch genug zu würdigen sind, blieb bei den Menschen im Westen alles beim Alten. Ärmel hochkrempeln im Osten, Besitzstanddenken im Westen. Nach 17 Jahren Einheit zieht Milbradt das Fazit: „Der Westen lernt nur langsam vom Osten, aber er lernt.“ Ein paar Beispiele gebe es, so das Abitur nach zwölf Jahren oder die Kindertagesstätten. Die Menschen sollten trotz mancher Verbitterung nicht resignieren.
Von Dagmar Doms-Berger