Veranstaltung am 5. Juli 2008
Vortrag und Gespräch mit dem Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei Konrad Freiberg
Die Gewährleistung der Sicherheit ist Staatsaufgabe: „Der Staat soll das Wirtschaftsleben vor Angriffen anderer Staaten schützen, er soll die Sicherheit zwischen den Bürgern gewährleisten und jene Einrichtungen schaffen, die nicht durch die Initiative des Einzelnen entstehen oder entstehen können.“
Aus diesen Worten klingt nicht frommes Wunschdenken der GdP – es handelt sich vielmehr um eine Formulierung von Adam Smith, der heute, sicher nicht zu unrecht, als Vordenker des liberalen Marktes gilt. Auch wenn ich – wie Sie sich denken können – nicht zu den Anhängern des derzeit so modernen Neoliberalismus gehöre: In diesem Punkt will ich dem Mann ausdrücklich zustimmen.
Und ich würde mir wünschen, manch neoliberaler Rhetoriker, der heute in Deutschland und in Europa alles und jedes privatisieren und deregulieren will, würde auch diese Passage aus dem großen Werk des englischen Wirtschaftsphilosophen kennen. Denn Adam Smith hat Recht: Sicherheit zu gewährleisten, ist eine Aufgabe des Staates. Denn es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, in Sicherheit zu leben. Der Staat ist verpflichtet, diesem Grundbedürfnis zu entsprechen und die öffentliche Sicherheit sowie den Schutz der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.
Daher ist es verfassungsrechtlich geboten, dass der Staat durch die Polizei die eigene Fähigkeit und Bereitschaft sowohl zum Schutz und als auch zur Durchsetzung der Rechtsordnung nicht nur aufrechterhält, sondern deutlich sichtbar macht. Das ist meine feste Überzeugung!
Zur Definition von Sicherheit
Doch was macht Sicherheit aus? Wann leben wir sicher?
Nach meiner Auffassung gibt es mindestens drei Dimensionen:
1. die Abwesenheit von Gefahren und der Schutz davor, dazu gehört natürlich auch die Strafverfolgung
2. eine institutionalisierte Vereinbarung über Abwehr innerer und äußerer Bedrohung in einer politischen Ordnung,
3. die Rechtssicherheit.
Aber: Sicherheit ist eine Wertidee. Es kann keine auf ewig angelegte verbindliche und allgemein akzeptierte Übereinkunft darüber geben, was dieser Begriff beinhaltet. Sie bedarf angesichts veränderter Umstände und neuer Entwicklungen einer steten Neujustierung.
Sicherheit als Grundrecht
Sicherheitsgewährleistung im Sinne des Grundgesetzes meint den Schutz privater und öffentlicher Güter vor Angriffen und Eingriffen Dritter. Denn in modernen Gesellschaften ist die Sicherheit des Einzelnen unter Umständen durch Private in einem viel größeren Maße gefährdet als durch den demokratischen Staat.
Der Staat hat eine Schutzverpflichtung und der Einzelne ein Recht auf Schutz durch die staatliche Ordnung, wenn die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gefährdet ist und wenn es um Fragen des menschlichen Lebens und der körperlichen Unversehrtheit geht.
Da der Einzelne und auch soziale Gruppen zu schwach sind, ihre Rechte wirksam zu schützen, muss der Staat in bestimmten Fällen als Garant und Beschützer der Grundrechte Einzelner gegenüber anderen auftreten.
Freiheit und Sicherheit bedingen einander
Freiheit und Sicherheit bilden also keine unversöhnlichen Gegensätze. In unserem demokratischen Rechtsstaat bedingen sie einander vielmehr – aber sie stehen auch in einem Spannungsfeld zueinander: Wir geben ein erhebliches Maß an individueller Freiheit auf und unterwerfen uns allen möglichen Regeln, Vorschriften und Einschränkungen in der Erwartung, dafür Sicherheit zu gewinnen.
Balanceakt zwischen Freiheit und Sicherheit
Es handelt sich um einen Balanceakt zwischen der Freiheit auf der einen und der Sicherheit auf der anderen Seite. Diese Balance zu halten, ist Aufgabe politischer Institutionen.
Dabei müssen sie dem unterschiedlich ausgeprägten Bedürfnis einzelner Bevölkerungsgruppen nach Freiheit und nach Sicherheit gerecht werden. Diese Balance muss ständig neu austariert werden, wenn sich die Gewichte ändern. Vor allem, wenn sich für gesellschaftliches und staatliches Handeln völlig neue Rahmenbedingungen ergeben haben, wie sie in den letzten Jahrzehnten entstanden sind durch
– die Globalisierung der Wirtschaft,
– die Informationsrevolution,
– die Ablösung ausgeprägter Sozialstrukturen und sozialer Milieus,
– die demographische Entwicklung,
– internationale Wanderungsbewegungen und
– außenpolitische Bedrohungen, z. B. durch den islamistischen Terrorismus.
Das zentrale verfassungsrechtliche Instrument, um Sicherheits¬interessen und Freiheitsverlangen auszubalancieren, ist das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Dieses erfordert eine ständige Abwägung zwischen den geänderten Sicherheitsgefahren und den erforderlichen Eingriffen in die Bürgerrechte.
Gefahren für Freiheit und Sicherheit
Welches sind nun die Gefahren gegen die der Staat seine Bürgerinnen und Bürger mittels Ausübung des Gewaltmonopols im Innern zu schützen hat?
Betrachtet man die Statistiken zur Kriminalitätsentwicklung in Deutschland, fällt eine Zahl besonders ins Auge: Die Zahl der jährlich in Deutschland erfassten Straftaten ist in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gesunken. Politische Entscheidungsträger interpretieren diesen Rückgang gern als Indiz dafür, dass die Strategien und Konzepte zur Kriminalitätsbekämpfung gegriffen haben. Wenn man ein wenig Sachkenntnis und ein gewissen Maß an Aufrichtigkeit zugrunde legt, gibt es für diese Entwicklung u. a. folgende Ursachen:
– In den Bereichen der Eigentumskriminalität ( z. B. Diebstahl von und aus Kfz, Wohnungseinbruch pp. ) hat die Prävention, insbesondere der technischen Diebstahlsschutz, für Rückgänge gesorgt.
– Die demografische Entwicklung sorgt für den zahlenmäßigen Rückgang von jungen Menschen, die erfahrungsgemäß „kriminalitätsbelasteter“ sind.
– Natürlich hat auch die Polizei gute Arbeit geleistet und neue kriminalistische Methoden bringen Erfolge ( z. B. DNA-Datei )
Selbstverständlich gibt es auch Zusammenhänge mit den personellen Kürzungen bei der Polizei. Die Polizei ist personell soweit geschwächt worden, dass viele Straftaten einfach nicht mehr erfasst und deswegen auch nicht mehr verfolgt werden. Bundesweit sind heute nämlich über 10.000 Polizistinnen und Polizisten weniger auf der Straße als noch Ende der neunziger Jahre und 7.000 Stellen wurden im Tarifbereich gestrichen. Niemand kann ernsthaft meinen, dieser Personalabbau hätte keinen Einfluss auf die Erfassung und Bekämpfung der Kriminalität! Wer solche Behauptungen in die Welt setzt, der weiß nicht, wovon er spricht.
Wer sich ernsthaft für diese Fragen interessiert, muss wissen:
– Insgesamt registrieren wir über eine halbe Million Körperverletzungen pro Jahr und das sind nur die Fälle, die der Polizei bekannt werden.
– Die Fallzahlen bei einigen klassischen Kriminalitätsformen gehen zwar zurück, aber es gibt eine Verlagerung der Kriminalität in den Betrugsbereich bzw. in den Bereich der Internet- und Computerkriminalität.
Und damit wären wir bei den Folgen von Globalisierung und Internationalisierung, die nachhaltige Auswirkungen auch auf Form und Art der Verbrechen haben:
– Der Terrorismus hat durch den Einsatz religiös motivierter Täter eine neue Dimension der Gefährlichkeit erreicht, die wir uns bis zu den Anschlägen des 11. September nicht einmal vorstellen konnten.
– Der ernorme Fortschritt in der Informationstechnologie hat völlig neue Bedrohungsformen in der Internet- und Kommunikationskriminalität befördert.
– Weltweit operierende Wirtschafts- und Finanzkriminalität verändert Wettbewerbsstrukturen und beeinflusst auch das soziale und politische Gefüge.
Diese neuen Phänomene der Kriminalität haben Vieles gemeinsam:
– Sie bergen ein enormes Bedrohungs- und Schadenspotenzial;
– sie sind international und netzwerkartig verflochten und
– zwischen dem Vorbreitungs- bzw. Entstehungsort solcher Verbrechen und ihren Auswirkungen können tausende von Kilometern liegen.
Daraus ergeben sich völlig neue Herauforderungen für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger selbst und ihres wirtschaftlichen Handels vor Kriminalität.
Repression und Prävention
Wir kommen um die Frage nicht umhin: Wie weit darf der Staat bei der Gewährung der Sicherheit gehen und welcher Mittel dürfen sich staatliche Behörden und Einrichtungen bedienen, um dieses Ziel zu erreichen?
Angesichts der Gefahren, die von den neuen Kriminalitätsformen ausgehen, reicht die Fähigkeit des Staates, angemessen zu reagieren, nicht mehr aus. Er muss in wachsendem Umfang präventiv tätig werden!
Heute wird erfolgreiche Sicherheitspolitik nicht nur daran gemessen, ob sie Störungen der öffentlichen Sicherheit erfolgreich ahndet, nachdem sie eingetreten sind. Entscheidend ist vielmehr die Fähigkeit, Unsicherheit und Störungen im Vorfeld zu verhindern.
Das erfordert einen grundlegenden Wandel: In der aktuellen Sicherheitspolitik geht es um die rechtzeitige Erkennung potenzieller Risiken und Gefahren und um die Entwicklung präventiver Maßnahmen und Verfahren zu ihrer Vermeidung.
Daraus ergeben sich zwangsläufig neue Schwierigkeiten, die Freiheitsgarantie einer demokratischen Ordnung und die Gewährleistung von Sicherheit in Übereinstimmung zu bringen. Prävention erfordert andere Mittel und Techniken als traditionelle Strafverfolgung und Repression: vielfältige, auch verdeckte Formen der Informationsbeschaffung und systematische Auswertung von Informationen, bevor Gesetzesverstöße begangen werden. Prävention setzt voraus, dass die sicherheitsrelevanten Informationen von der Polizei erhoben werden können, ihr auch von anderen Stellen vollständig und rechtzeitig zufließen und dass die Polizei personell und technisch so ausgestattet ist, dass sie für die Abwehr der gravierenden Gefahren gerüstet ist ( z. B. Anti-Terror-Datei).
Mit anderen Worten: Freiheit und Sicherheit in Balance zu halten, wird immer schwieriger. Und die politischen Entscheidungsträger scheinen mit dieser Aufgabenstellung hoffnungslos überfordert. Immer häufiger musste in den letzten Jahren das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden. Was zum Teil auch heftige Kritik zur Folge hatte. Darunter fielen die Regelungen zur Hausdurchsuchung, zur akustischen Wohnraumüberwachung, zur polizeilichen Online-Durchsuchung, zur automatischen Kennzeichenerfassung, zur Vorratsdatenspeicherung sowie das Luftsicherheitsgesetz.
Handwerklich schlecht gemachte Gesetze erzeugen Ängste und Misstrauen in der Bevölkerung. Die Polizei ist aber auf ein gutes Vertrauensverhältnis angewiesen, um erfolgreich arbeiten zu können. Daher bedauern wir es außerordentlich, wenn neu geschaffene Ermittlungsinstrumente mit dem Makel mangelnder Verfassungskonformität behaftet sind.
Eine besonders schwache Leistung war allerdings die Ankündigung der Bundesminister Schäuble und Zypries, den elektronischen Fingerabdruck in die neuen Personalausweise nur dann aufzunehmen, wenn deren Inhaber sich ausdrücklich dazu bereit erklären. Entweder man einigt sich, weil man es für notwendig erachtet oder man lässt es sein. Eine solche Entscheidung vermittelt in der Bevölkerung nur den Eindruck, dass es sich um ein verzichtbares Ermittlungsinstrument handelt – oder dass die Regierung nicht in der Lage ist, ausreichende und überzeugende Aufklärungsarbeit zu leisten, Kritik zu begegnen und Ängste auszuräumen.
Gesetzes- und Vollzugsdefizite
Natürlich gibt es aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei immer noch Gesetze, die geändert werden sollten aber ich möchte hervorheben, dass wir grundsätzlich keine Gesetzes- sondern Vollzugsdefizite haben. Uns fehlt schlicht das Personal. Gerade deshalb hat mich die verantwortungslose Debatte, die Bundesinnenminister Schäuble im vergangenen Sommer mit seinen Äußerungen auf einer Sicherheitspolitischen Konferenz und in einem Spiegel-Interview losgetreten hat, so empört.
Eine öffentliche Diskussion über
– die gezielte Tötung von Terroristen,
– die langfristige Inhaftierung von sog. Gefährdern (also ohne Tatverdacht)
– die Relativierung des sog. Folterverbotes,
– der Einsatz der Bundeswehr im Inneren für Polizeiaufgaben
ist nicht nachvollziehbar. Es ist verantwortungslos, wenn man mit der Terrorangst der Menschen parteipolitische Ziele verfolgt.
Für die GdP gibt es eine Reihe von Grundsätzen: Danach ist für die Polizei das Vertrauen der Bürger die entscheidende Grundlage für ihre Arbeit. Dieses Vertrauen darf unter keinen Umständen gefährdet werden. Bei Vorschlägen zur Verbesserung der Inneren Sicherheit muss die Akzeptanz in der Bevölkerung vorhanden sein bzw. hergestellt werden. Dieser Dialog, dieser Überzeugungsprozess ist eine zentrale Aufgabe der Politik. Diesem Dialog weicht die aktuelle Politik immer häufiger aus. Forderungen nach Gesetzesveränderungen müssen in Hinblick auf ihre Notwendigkeit begründet werden. Forderungen nach Gesetzesverschärfungen dienen häufig der Ablenkung von den eigentlichen Problemen. Oftmals soll politische Handlungsfähigkeit damit dokumentiert werden.
Die Möglichkeiten der heutigen Technik sind für niemanden mehr in letzter Konsequenz durchschaubar. Deshalb muss bei jeder Diskussion um die Einführung neuer Techniken sehr sensibel vorgegangen werden. Aufklärung und Akzeptanz sind die Grundlage für Veränderungen.
Einsatz der Bundeswehr im Inneren
Die immer wiederkehrende Diskussion zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren erbrachte keine neuen Argumente für die Haltung von Bundesinnenminister Schäuble. Aus gutem Grund widersetzen wir uns als GdP seit Jahren allen Vorschlägen, den Einsatz der Bundeswehr auf dem Feld der inneren Sicherheit auszuweiten – und wir wissen uns dabei mit dem Bundeswehrverband einig.
Die Aufgaben der Polizei und der Bundeswehr sind in der Verfassung klar und eindeutig geregelt: Abgesehen von der Amtshilfe und den Aufgaben im Rahmen der Katastrophenhilfe und des Notstandes gilt die Regel, wonach die Polizei die Sicherheit im Innern gewährleistet und die Bundeswehr nach außen schützt.
Einige politische Entscheidungsträger wollen jedoch aus der Bundeswehr eine „Polizeireserve“ für den Einsatz im Inneren machen. Wir dagegen sind überzeugt: Gerade die strikte Trennung der Aufgaben von Polizei und Bundeswehr stellt sicher, dass es keine Diskussion über Zuständigkeiten und Kompetenzen geben kann. So hat sich eine gute Zusammenarbeit eingespielt: Die Bundeswehr unterstützt die Polizei mit Gerät und Personal, über das diese selbst nicht verfügt, sei es bei Katastrophen oder z. B durch Aufklärungsflüge bei der Suche nach Vermissten.
Neue Formen der Zusammenarbeit sind durch die terroristische Bedrohung notwendig geworden im Hinblick auf die Abwehr von Terror-Angriffen aus der Luft oder von See her. Mit seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht allerdings klare Grenzen festgeschrieben – und damit einem Einsatz der Bundeswehr im Innern zur Wahrnehmung von Polizeiaufgaben über die derzeitigen Grenzen der Verfassung hinaus eine klare Absage erteilt.
Wir sehen uns in unsere Auffassung bestätigt: Politiker können nicht über Jahre hinweg bei der Polizei Stellen kürzen und Personal einsparen, um schließlich aufgrund der Personalnot den Einsatz der Bundeswehr im Innern zu fordern.
Neue Sicherheitsarchitektur
Die bürgerlichen Freiheitsrechte können aber auch durch einen Rückzug des Staates beeinträchtigt werden. Verfechter einer so genannten „neuen Sicherheitsarchitektur“, wie Herr Prof. Dr. Pitschas von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, leiten daraus die Forderung nach einer kompletten Umkehr in der Politik der inneren Sicherheit ab: „Die personellen und materiellen Ressourcen der Polizei sind mehr und mehr begrenzt, sie schwächelt. Daher muss sie von Aufgaben entlastet werden, die natürlich bereitwillig von privaten Sicherheitsunternehmen übernommen werden.“
Im Rahmen einer „Verantwortungsgemeinschaft“ für die Innere Sicherheit sollen, so Prof. Pitschas, private Anbieter derart in die Erfüllung staatlicher Aufgaben einbezogen werden, dass eine „duale Handlungsverantwortung von Staat und Privaten“ entsteht.
Das führt zu einer Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols. Das ist der falsche Weg!
1. Nach meiner festen Überzeugung ist es unverzichtbar, auf einer klaren Trennung zu bestehen: Private Dienstleister können und sollen private Rechtsgüter oder ihre Träger dort schützen, wo sie sich aufhalten. Die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit im öffentlichen Raum ist allein die Aufgabe des Staates und damit Sache der Polizei. Denn: Der öffentliche Raum mit seinen Straßen, Plätzen, Parks und Wäldern ist eine grundlegende Voraussetzung für vielfältige Formen der Grundrechtsausübung. Er ist ein Raum individueller, kommunikativer und sozialer Freiheit und auch für die Ausübung wirtschaftlich relevanter Grundrechte von zentraler Bedeutung. Und alle Menschen haben das gleiche Recht, den öffentlichen Raum zu nutzen. Treten hier Konflikte auf, sind insbesondere Rechtsverletzungen abzuwehren oder Rechte einzuschränken, bedarf dies einer neutralen Instanz mit einer hohen Legitimation. Diese Funktion kann nur die Polizei als ausführendes Organ des staatlichen Gewaltmonopols erfüllen!
2. Wir können die Gewährleistung der inneren Sicherheit nicht wie jede Handelsware oder Dienstleistung ausschließlich betriebswirtschaftlichen Prinzipien unterwerfen. Der Verfassungsgrundsatz, wonach der Staat das menschliche Grundbedürfnis nach Sicherheit zu erfüllen hat, würde hinter fiskalischen Erwägungen zurücktreten. Wer dieser Idee folgt, teilt die öffentliche Sicherheit und trennt sie – in einen profitablen und einen kostspieligen Teil.
Private Sicherheitsdienste
Schon jetzt profitieren die privaten Sicherheitsdienste von der Entwicklung der Inneren Sicherheit: Allein in Deutschland hat sich die Zahl der Unternehmen seit Beginn der neunziger Jahre verdoppelt, die Umsätze sind im Verlauf der letzten fünf Jahren um rund ein Drittel gewachsen. Derzeit erwirtschaften die bundesweit rund 3500 Unternehmen der Branche mit 173.000 Mitarbeitern rund 4,5 Milliarden Euro Umsatz. Und für das Jahr 2008 erwartet der Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) erneut ein deutliches Wachstum von zwei bis drei Prozent.
Ich verkenne nicht den Beitrag, den (seriöse) private Anbieter zur inneren Sicherheit leisten. Und auf der Straße, im öffentlichen Raum, kommen sich Polizei und private Sicherheitsdienste weniger ins Gehege, als es die öffentliche Diskussion und vielleicht auch die öffentliche Wahrnehmung vermuten lassen: Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS) entfallen bundesweit vier Fünftel aller kommerziellen Dienstleistungen im Sicherheitsbereich auf den privaten Raum. Im Öffentlichen Personennahverkehr sind nur rund 2 % der Beschäftigten des privaten Sicherheitsgewerbes tätig, zum Schutz militärischer Einrichtungen werden etwa 5% einsetzt und weitere 6 % arbeiten in der Flughafensicherung, so der BDWS. Alle anderen Betätigungsfelder in der öffentlichen Sicherheit bilden demnach eine zu vernachlässigende Größe.
Problematisch wird die Tätigkeit des privaten Sicherheitsgewerbes im so genannten halb-öffentlichen Raum, wie in Geschäften, Ladenpassagen oder auch Bahnhöfe. Hier stützen sich die Mitarbeiter ausschließlich auf private Befugnisse. Gerade deshalb ist es kritisch, wenn sich private Sicherheitsunternehmen durch ihr Auftreten und Aussehen den Anschein hoheitlicher Tätigkeit geben. Gelegentlich werden die Autos der Sicherheitsfirmen auch noch grün-weiß lackiert, so dass selbst Polizisten auf den ersten Blick an einen Streifenwagen der Polizei denken. In Süddeutschland wurden sogar Fahrzeuge mit einem Anhaltesignalgeber ausgestattet, dessen Blaulicht allerdings nicht angeschlossen war.
Fazit: Private Sicherheitsunternehmen können am Markt ihre Dienstleistungen anbieten und in geeigneter Weise mit der Polizei kooperieren. Die Arbeit der Polizei als Hoheitsträger können sie jedoch in keiner Weise ersetzen – schon gar nicht zum Zweck der Kostenreduzierung in den Polizeietats der Länder. Privatisierungen führen grundsätzlich nicht zum Wegfall von Kosten, bestenfalls zu deren Verlagerung, nämlich vom Personal- in den Sachhaushalt. Die niedrigen Arbeitskosten privater Anbieter im Vergleich mit dem öffentlichen Dienst beruhen häufig auf Lohndumping und der Aufteilung von Vollzeitarbeitsplätzen auf Minijobs. Wo die Beschäftigten besser qualifiziert sind, steigen auch die Lohnkosten. Daher kann die öffentliche Hand bei der Vergabe von Aufträgen nicht ausschließlich auf Kostengünstigkeit prüfen, sondern muss einzuhaltende Qualitätsstandards festlegen.
Ein besonderer Bereich der zunehmenden Privatisierung der Inneren Sicherheit sind auch die Sicherheitsabteilungen der Konzerne. Und wieder ist es so: Nur wenn etwas passiert, nehmen wir etwas wahr, wie das Beispiel Telekom zeigt. Ein Fall der symptomatisch ist und dessen Dimensionen noch gar nicht abschließend erkennbar sind. Dasselbe gilt für die Zunahme von privaten Ermittlungsdiensten und für die Verbreitung von Abhörtechnik. Hier lauern neue Gefahren für unseren Rechtsstaat.
Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols
Aus den bisherigen Überlegungen wird deutlich: Das staatliche Gewaltmonopol in Deutschland ist durch eine schleichende Aushöhlung bedroht, die in erster Linie aus dem Kostendruck der öffentlichen Haushalte und einem fehlgeleiteten betriebwirtschaftlich orientierten Effizienzdenken resultiert. Wenn politische Entscheidungsträger weiterhin die Reduzierung der Polizeikräfte als Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen durchsetzen, werden sich bereits bestehende Missstände weiter verschärfen und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den demokratischen Rechtstaat schwächen:
Der steigende Umsatz in der Branche der privaten Ermittler zeigt, dass hier die Nachfrage größer geworden ist. Auch weil die Ermittlungsbehörden aus Gründen mangelnder Kapazität nur eingeschränkt tätig werden können. Dieses Defizit stellte Ende letzten Jahres auch der Bundesgerichtshof fest und formulierte im Urteil zum „Kölner Müllskandal“ eine Anmerkung:
„Nach der Erfahrung des Senats kommt es bei einer Vielzahl von großen Wirtschaftsstrafverfahren dazu, dass eine dem Unrechtsgehalt (…) adäquate Bestrafung allein deswegen nicht erfolgen kann, weil für die gebotene Aufklärung derart komplexer Sachverhalte keine ausreichenden justiziellen Ressourcen zur Verfügung stehen.“
Das Gericht geht weiter davon aus, das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts werde durch unangemessen milde Sanktionen erschüttert, falls im Bereich des besonders schwierigen Wirtschafts- und Steuerstrafrechts keine spürbare Stärkung der Justiz erfolge. Allein durch Gesetzesverschärfungen sei dem drohenden Ungleichgewicht zwischen der Strafpraxis bei der allgemeinen Kriminalität und der Strafpraxis in Steuer- und Wirtschaftsstrafverfahren nicht entgegenzutreten.
Die Einschätzung des BGH ist umso besorgniserregender, als die Zahl der Unternehmen, die Opfer von Wirtschaftkriminalität werden, europaweit steigt. Eine gemeinsame Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price-Waterhouse-Coopers und der Universität Halle-Wittenberg belegt: In den letzten beiden Jahren wurde jedes zweite deutsche Unternehmen Opfer eines Wirtschaftdeliktes, von den Unternehmen mit über 5000 Mitarbeitern waren sogar fast zwei Drittel betroffen. Wer es sich leisten kann, engagiert private Ermittler, die Interessen ihrer Auftraggeber auch dort wahrnehmen, wo den Ermittlungsbehörden aus strafprozessualen Gründen „die Hände gebunden sind“. Wenn es hingegen Detektiven oder Kunden nützlich scheint, wird mit der Polizei zusammengearbeitet – ein rechtlicher Graubereich entsteht.
Polizeiliche Dienstleistung nicht in Finanzkennzahlen messbar
Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten – das wissen wir schon lange. Für alle anderen übernimmt er wichtige Aufgaben und Leistungen, die sie allein nicht bewältigen und erbringen können. Der Staat darf sich seiner Verantwortung für die Innere Sicherheit nicht entziehen. Sicherheit ist keine Ware. Sicherheit ist ein hohes Gut! Die Kosten, die der Staat in seiner Verantwortung dafür zu übernehmen hat, müssen sich in erster Linie an der Aufgabenstellung orientieren und können erst in zweiter Linie betriebswirtschaftlichen Regeln folgen.
Aus dem polizeilichen Alltag wissen wir nur zu genau, wie wenig sich unsere Arbeit an betriebwirtschaftlichen Effizienzkriterien messen lässt: Der gesamte präventive Bereich entzieht sich einer konkreten Bemessung im Sinne klassischer Kosten-Nutzen-Rechnung. Wenn in einer deutschen Großstadt über mehrere Tage eine besonders unfallträchtige Kreuzung überwacht wird und während dieser Zeit kommt es zu keinem Unglück – ist die Tätigkeit der Kolleginnen und Kollegen an dieser Stelle dann sinnvoll oder nicht? Nach welchen Kriterien sollte eine polizeiliche Dienstleistung in eine Kostengröße umgesetzt werden? Wo ist das Ende einer solchen Betrachtung? Ich will mir nicht vorstellen, dass ein Hundertschaftsführer der Mutter eines vermissten Kindes am zweiten Tag der Suche erklären muss, ein weiterer Einsatz der Hundertschaft sei betriebswirtschaftlich nicht zu rechtfertigen! Und sicher können Sie alle sich vorstellen, mit welchen Problemen ein Großeinsatz behaftet sein kann. Welcher polizeiliche Einsatzleiter kann und will dem politischen Druck standhalten, wenn er nach einem solchen Einsatz auf die ökonomischen Grundsätze seiner Planung verweist?
Nehmen wir nur den G8-Einsatz im letzten Jahr. Soll die Polizei wirklich entlastet werden, müssen wir die Innenpolitiker von Bund und Ländern in die Verantwortung nehmen:
– Wir reden von der Harmonisierung des Rechts in Europa und sind nicht einmal in der Lage in Deutschland ein einheitliches Gefahrenrecht (Polizeirecht) zu schaffen
– Wir reden von Entbürokratisierung und verlagern durch die Föderalismusreform das Besoldungs-, Laufbahn- und Versorgungsrecht in die Länder. Alles mal Sechzehn und alles anders.
– Wir haben die einheitliche Uniform der Polizei in Deutschland aufgegeben. Jedes Land kleidet seine Polizei mit einer unterschiedlichen Uniform ein.
Und wenn wir die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik durchforsten, werden wir viele Gebiete finden, auf denen unnötige Aufgaben erledigt oder Arbeiten doppelt und dreifach ausgeführt werden. Hier sehe ich ebenfalls ein enormes Sparpotential.
Schlussbemerkung
Wenn weite Teile der Bevölkerung den Staat nicht als Garanten für ihre Sicherheit ansehen – dann steht die Akzeptanz unseres politischen Systems auf dem Spiel, dann ist es schlecht bestellt um den sozialen Frieden und die innere Sicherheit in unserem Land. Wir müssen immer wieder deutlich machen: Der soziale Friede und die innere Sicherheit sind im globalen Wettbewerb wichtige Standortfaktoren – ohne sie gibt es keine prosperierende Wirtschaft und erst recht kein stabiles Gemeinwesen.
Darum ist es die zentrale Aufgabe des Staates für beides zu sorgen. Nur der Staat als Träger des Gewaltmonopols kann Freiheit sichern und Sicherheit gewährleisten! Das erfordert jedoch verantwortliche Politiker, die mit Augenmaß Sicherheitspolitik betreiben.
Je größer die Gefährdungslage, desto umsichtiger und verantwortungsbewusster müssen die verantwortlichen Politiker handeln. Je größer die Gefährdungslage, desto notwendiger ist das gemeinsame Handeln der verantwortlichen Politiker.
Und ich möchte mit einem Zitat von unserem Papst Benedikt XVI. enden: „Ein Staat, der sich nicht durch Gerechtigkeit definiert, ist nichts anderes als eine Räuberbande.“ Ich glaube, da können wir ihm nur Recht geben.
zur Person:
Konrad Freiberg wurde am 23. Juli 1951 in Schwarzenbek geboren. Nach dem Schulbesuch trat er 1968 seinen Polizeidienst an. Im darauffolgenden Jahr ist Konrad Freiberg der Gewerkschaft für öffentliche Dienste (ÖTV, heute ver.di) beigetreten. 1979 Eintritt in die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und dort Vorsitzender der Landesarbeitsgruppe Kriminalpolizei in Hamburg. 1986 übernimmt er den GdP-Vorsitz des Bundesfachausschusses Kriminalpolizei und den Fachbeisitz Kriminalpolizei im GdP-Bundesvorstand. 1990 wird er Mitglied des geschäftsführenden Bundesvorstandes der GdP, 1994 stellvertretender Bundesvorsitzender und am 29. November 2000 zum Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei gewählt.