Veranstaltung am 9.5.2009
Lobbyismus und die Ungerechtigkeit des Steuersystems. Vortrag und Diskussion mit dem investigativen Journalisten und Filmemacher Sascha Adamek.
Ein Gesellschaftssystem, in dem Gesetze von einem gewählten Parlament verabschiedet, von der Regierung implementiert und vom Rechtsstaat überwacht werden, nennt man gemeinhin eine Demokratie. Ein System allerdings, in dem sich Industriekonzerne, Wirtschaftsverbände und andere Lobbyorganisationen mit freundlicher Einladung der Politik ihre Gesetze selbst schreiben, bezeichnet man als Klientelismus! Aus Sicht des ARD-Fernsehjournalisten Sascha Adamek wird die Demokratie in Deutschland auf diese Weise unterminiert und unglaubwürdig gemacht.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte er gemeinsam mit dem Journalisten Kim Otto sein Enthüllungsbuch „Der gekaufte Staat“. Darin decken die Autoren die zwielichtigen Tätigkeiten von Lobbyisten an der Grenze demokratischer Legitimität in Deutschland und den EU-Institutionen auf. Seinen Ausgang nahm die systematische Durchdringung der Politik durch den Lobbyismus in dem Personalaustauschprogramm „Seitenwechsel“, das die rot-grüne Bundesregierung im Oktober 2004 auf Initiative von Innenminister Otto Schily ins Leben rief. Vertreter aus der freien Wirtschaft, Verbänden und anderen Interessengruppen sollten als sog. Leihbeamte zeitlich befristet in Ministerien arbeiten und dort ihr Fachwissen einbringen. Das Delikate an diesem Leihbeamtentum ist die Lohnfortzahlung durch die entsendenden Organe. Ein Konzernvertreter bezieht sein Gehalt also weiterhin von seinem entsendenden Arbeitgeber.
Die Lobbyisten erhalten so unter dem Deckmantel des Informationsaustauschs Einblicke in ministeriumsinterne Belange, schreiben an Gesetzentwürfen mit und treiben politische Reformen im Konzerninteresse voran. Verschlossene Informationen können sie offiziell an ihre Konzerne weiterreichen, die gut präpariert auf unangenehme politische Initiativen und Gesetzentwürfe reagieren und diese bereits im Vorfeld unterlaufen können.
Diese Art von Lobbyismus geht weit über das hinaus, was in unserem System gemeinhin als legitim gilt. Statt den Versuch zu unternehmen, im Rahmen von öffentlichen Anhörungen den Gesetzgeber zu Korrekturen zu bewegen, übernehmen Lobbyisten die Gesetzgebung in Einzelfällen gleich selbst. Der neoliberale, „schlanke Staat“ lässt sich seine Experten sponsern. Egal ob Energie- oder Finanzpolitik, Verkehrs- oder Gesundheitspolitik, Verbraucherschutz oder öffentlicher Dienst – Adamek und Otto decken in ihrem Buch dutzende solcher Lobbyattacken auf.
Die Verfilzung von Staat, Wirtschaft und Interessenverbänden haben sich beide Autoren noch in einem weiteren Buch vorgenommen, das im Juni 2009 erscheinen wird – thematisiert wird die massive Ungerechtigkeit des deutschen Steuerrechts. Aus Sicht der Autoren werden in Deutschland die Steuern hauptsächlich von den Arbeitnehmern gezahlt, denen jeder Cent sofort von Lohn und Gehalt abgezogen werden, während der finanziellen Oberklasse zahlreiche Schlupflöcher geboten werden.
Die Finanzämter sind völlig überfordert und können schon längst nicht mehr gründlich prüfen, wer Steuern zahlt und wer nicht. Nach Angaben der Deutschen Steuergewerkschaft gehen dem Staat jährlich schätzungsweise 70 Milliarden Euro verloren, weil die Finanzämter personell unterbesetzt seien. Häufig sei das sogar politisch gewollt, denn mit einer großzügigen Steuerverwaltung glauben Bundesländer, potentielle Investoren und vermögende Unternehmer bei der Stange halten zu können.
In ihrem neuen Buch halten Sascha Adamek und Kim Otto den Politikern vor, sie selbst hätten die milliardenschwere Steuerflucht der Reichen organisiert. Anhand von internen Unterlagen und Gesprächen mit Finanzbeamten, Zollfahndern und Staatsanwälten decken die Journalisten den desolaten Zustand der Steuer- und Kontrollbehörden auf. Zugleich porträtieren sie schillernde Figuren aus der ansonsten verschwiegenen Welt der Wohlhabenden. Sie schildern, wie sich ein großer Teil von ihnen mittels legaler Steuersparmethoden und getrieben von Raffgier der Finanzierung unseres Gemeinwesens entzieht. So entsteht das Sittengemälde einer Elite, die sich schon längst vom Grundkonsens einer sozialen Marktwirtschaft verabschiedet hat.
zur Person:
Sascha Adamek wurde 1968 im westfälischen Winterberg geboren. Nach dem Besuch einer katholischen Grundschule machte er sein Abitur am städtischen Gymnasium in Winterberg. Direkt im Anschluss absolvierte er seinen Zivildienst und von 1990 bis 1995 studierte er an der Universität Dortmund Journalistik, Politikwissenschaften und Volkswirtschaft. Noch während seines Studiums ging er als Volontär zur Berliner Zeitung.
Bereits seit 1994 arbeitet er für den Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg (jetzt RBB), ab 1999 dann auch für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) und die ARD. Seit inzwischen mehr als zwölf Jahren ist Sascha Adamek als investigativer Journalist und Filmemacher für den RBB und den WDR tätig. Seine Beiträge laufen vorrangig in den ARD-Politikmagazinen MONITOR und KONTRASTE sowie dem RBB-Magazin KLARTEXT.
Während seiner journalistischen Karriere hat er immer wieder Fernsehdokumentationen zu brisanten Themen produziert, beispielsweise über den NATO-Einsatz gegen Serbien, über die Chipfabrik in Frankfurt Oder als zweifelhaftes Kapitel des Aufbau Ost oder über die Querelen zwischen den polnischen Milchbauern und der EU. Gemeinsam mit dem Journalisten Kim Otto produzierte er ein Buch sowie eine Fernsehreportage über den Einfluss von Konzernlobbyisten in der Politik ( Leseprobe zum Download). In diesem Jahr wird ihre Reportage „Schön reich. Steuern zahlen die anderen“ im WDR laufen. Das gleichnamige Buch erscheint im Juni im Heyne-Verlag.