Vortrag und Gespräch mit Dr.h.c. Edgar Most: Fünfzig Jahre im Auftrag des Kapitals – Gibt es einen dritten Weg?

Veranstaltung am 4. Juli 2009

Als Dr. Edgar Most am 1. September 2004 als Direktor der Deutschen Bank in Berlin in Anwesenheit der zahlreich vertretenen Prominenz aus Wirtschaft, Politik und Kultur in den Ruhestand verabschiedet wurde, galt die Ehrung auch einem ehemaligen Spitzenfunktionär der DDR. Edgar Most war 1989 stellvertretender Präsident der Staatsbank der DDR, SED-Mitglied und er hatte auch eine Stasi-Akte samt Verpflichtungserklärung (was er öffentlich ausplauderte). Dass er dennoch so geschätzt und geehrt wurde und wird, ist seinen großen Leistungen und seiner außergewöhnlichen Persönlichkeit geschuldet.

1940 im thüringischen Tiefenort geboren, wuchs er auf dem kleinen Bauernhof seiner Großeltern auf. Er machte eine Banklehre, trat der SED bei, schuftete auf der Großbaustelle Schwedt und war mit 26 Jahren der jüngste Bankdirektor der DDR. In Nacht – und Wochenendarbeit und einem Familienleben, das sich zu viert in zwei Zimmern abspielte, absolviert er zusätzlich ein Fernstudium, das er als Jahrgangsbester abschloss. Zehn Jahre später wurde er – wiederum das jüngste – Mitglied des Leitungskollegiums der Staatsbank der DDR, zuständig für Planung und Analyse der DDR-Industrie. Über den Geldfluss lernte er alle Schwächen der DDR-Wirtschaft kennen, schrieb sogar in seiner mit Bestnote versehenen Abschlussarbeit auf der Parteischule alles auf, riet seinem Professor jedoch davon ab, dies nach oben weiter zu leiten. Das Politbüro vertrug keine Kritik.

„Abends beim Bier“, so schrieb Edgar Most in seinem gerade veröffentlichten Lebensbericht, „lösten wir so manche Nacht Partei und Regierung ab. Morgens knallten wir die Hacken zusammen, um weiterzumachen wie bisher“. In seinem jeweiligen Arbeitsbereich leistete Most immer das Bestmögliche. Er war überzeugter Sozialist und kämpfte für seinen Staat.
Als die Wende kam, hoffte er, wie viele andere auch, die DDR in einen demokratischen, sozialistischen Staat mit einer am Markt orientierten Wirtschaft umwandeln zu können. Aber da wirkten bereits andere, stärkere Kräfte. Noch aus der Staatsbank heraus gründete er im März 1990 mit der Deutschen Kreditbank AG die erste Privatbank in der Noch-DDR. Wenig später verschmolz er sie mit der  Deutschen Bank – 80% seiner 13 000 Mitarbeiter stimmten der Entscheidung in einer von Most initiierten Abstimmung zu. Sie vertrauten ihm.
Als mit der Einführung der D-Markt am 1. Juli 1990 der neue Umtauschkurs bekannt gegeben wurde, jubelten zwar viele Ostdeutsche – ohne zu ahnen, dass Bundeskanzler Kohl und sein Wirtschaftsminister Waigel damit aus rein wahltaktischen Gründen den Zusammenbruch der DDR-Industrie in Kauf genommen hatten. Kohl wusste genau was er tat – sowohl der Chef der Bundesbank als auch Most hatten Kohl dringend davon abgeraten.

Most fühlte sich an das Politbüro erinnert und schwor sich, nie wieder die Hacken zusammen zu schlagen. Er opponierte laut gegen diesen „Wahnsinn“, legte sich mit der neuen Regierung auch in Sachen Altschulden an und konnte sich dem von Kohl gewünschten Rausschmiss erfolgreich widersetzten. Most kämpfte weiter: Gegen die neue Treuhandpolitik, mit der in nur drei Jahren das gesamte DDR-Vermögen verscherbelt werden sollte. Gegen die in seinen Augen ungerechte Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit durch die „Stasi-Behörde“, für deren Schließung er plädierte. Seinen ostdeutschen Mitarbeitern händigte er ihre Kaderakten aus und forderte sie auf, diese von allem zu reinigen, was in einer westdeutschen Personalakte nichts zu suchen hat. Die Vorstände der Deutschen Bank, die in ihm das Tor zu einer erfolgreichen Eroberung des ostdeutschen Marktes sahen, hielten ihm den Rücken frei.
Er war denn auch enorm erfolgreich, erschloss für die Bank neue Marktbereiche und bewahrte mit seinem Innovationsteam Hunderte von Firmen vor dem Zusammenbruch. Spät – aber in seinen Augen nicht zu spät – schloss er sich auf Vorschlag von Bundeskanzler Schröder im Jahr 2005 mit anderen Fachleuten zum Gesprächskreis Ost zusammen. Aber deren 59 Vorschläge zur konkreten Verbesserung der Lage in Ostdeutschland stießen bei der neuen Regierung unter Angela Merkel auf völliges Desinteresse.
Entmutigen ließ sich Edgar Most dennoch nicht. Seine ostdeutsche Sozialisation und die Mahnung seiner Eltern, nie zu vergessen, wo er herkommt, treibt ihn immer wieder zu neuen Überlegungen und Auftritten in der Öffentlichkeit. Es gibt einen dritten Weg!


 

Zur Person:

edgar_mostEdgar Most wurde am 21. März 1940 in Thüringen geboren. Bei der Deutschen Notenbank in Bad Salzungen absolvierte er ab 1954 seine Lehre und verbrachte dort seine ersten Arbeitsjahre als Ökonom. 1962 wechselte Edgar Most zur Deutschen Investitionsbank nach Schwedt/Oder und stieg dort zum Abteilungsleiter auf. Nebenbei absolvierte er ein Fernstudium zum Finanzwirtschaftler, welches er 1964 abschloss. Von 1967 bis 1974 leitete er als Direktor eine Filiale der Industrie- und Handelsbank in Schwedt. In dieser Zeit schloss Edgar Most ein weiteres Fernstudium zum Diplomwirtschaftler an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst ab.

Von 1974 bis 1990 war er als Sektoren- und Abteilungsleiter in der Zentrale der Staatsbank der DDR in Berlin tätig. In der Wendezeit stand er der Staatsbank der DDR kurzzeitig als Vizepräsident vor. 1990 und 1991 war Edgar Most in Doppelfunktion Vorstandsmitglied der Deutschen Bank AG und Mitglied der Geschäftsleitung einer Deutsche Bank-Filiale in Berlin sowie Vorstandsvorsitzender der Deutschen Kreditbank AG. Von Juni 1999 bis Mai 2004 hatte er den Vorstandsvorsitz des ostdeutschen Bankenverbandes inne. 2004 schied Edgar Most aus dem aktiven Dienst bei der Deutschen Bank aus. Von 2003 bis 2005 beriet er die Bundesregierung in Fragen „Aufbau Ost“ als Mitglied des „Gesprächskreises Ost“ unter der Leitung von Klaus von Dohnanyi.

Im Dezember 1998 wurde er zum Ehrensenator der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder ernannt; 2004 erhielt er von der Russischen Ökonomischen Akademie G. V. Plechanow in Moskau die Ehrendoktorwürde. Edgar Most war in zahlreichen Aufsichtsräten, Verbänden und Vereinen in führenden Positionen tätig.

Edgar Most ist verheiratet und hat zwei Kinder.