Veranstaltung am 12.12.2009
Vortrag und anschließendes Gespräch mit Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung
Die Weimarer Republik war eine Demokratie ohne Demokraten. Sie wurde von antidemokratischem Denken und Handeln weggefegt. Daraus hat die junge Bundesrepublik gelernt. Mit den Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung, den parteinahen Stiftungen und den vielen freien Trägern einer immer bunter werdenden Zivilgesellschaft hat sich die politische Bildung im Westen Deutschlands einen breiten Raum erobert. Jede Generation sollte erneut an die Demokratie als Staats-, Gesellschafts- und Lebensform herangeführt und davon überzeugt werden. Das Angebot sollte vielfältig, kontrovers und auf keinen Fall einseitig sein.
In der DDR war das anders, hier diente die politische Bildung einer einzigen Ideologie, grundsätzlich kontroverse Diskussionen waren kaum möglich. Die Menschen nannten das oft „Rotlichtbestrahlung“.
Nach 1990 erlebte die politische Bildung im wiedervereinigten Deutschland eine Blütezeit, die neuen Bürger aus der DDR mussten mit dem politischen System der Bundesrepublik vertraut gemacht werden – dass sie es mit Überzeugung annehmen würden, davon ging man selbstverständlich aus. Hatten sie doch gerade das alte System abgeschüttelt und mit großer Mehrheit für das neue gestimmt. Mit dem Einzug des Marktradikalismus und der damit verbundenen zunehmenden Verschuldung von Bund, Länder und Kommunen geriet auch die politische Bildung in das Blickfeld der Sparkommissare. Da sich jetzt alles „rechnen“ musste, die politische Bildung aber beim Messen von Input und Output kaum statistisch unwiderlegbare Ergebnisse vermelden konnte, begann die Politik auch hier den Rotstift anzusetzen. Am dreistesten handelte die niedersächsische Landesregierung unter ihrem CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff: Mit dem 31. 12. 2004 wurde die Landeszentrale für politische Bildung einfach aufgelöst. Begründung: Die politische Kultur sei im Lande mittlerweile so tief verwurzelt, dass angesichts der finanziellen Notlage weitere Anstrengungen nicht mehr nötig seien.
Was geschichtsvergessene Provinzpolitiker als gefestigte Demokratie bezeichnen, hält einer näheren Untersuchung kaum stand. Nur 50% der Bevölkerung Deutschlands sind der Meinung, dass sich die Probleme Deutschlands mit der Demokratie lösen lassen – so eine Untersuchung des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner Patzelt. Ein wachsender Teil der Bevölkerung beurteilt unser Wirtschaftssystem als geradezu menschenverachtend. Die politischen und wirtschaftlichen Eliten trifft ein ähnlich vernichtendes Urteil. Sich in Parteien abzumühen, um politisch mit zu gestalten, gilt mittlerweile als naiv: Man glaubt zu wissen, dass „ die da oben“ ohnehin machen, was sie wollen und entscheidende Weichenstellungen durch die Wirtschaft und das „Große Geld“ vorgenommen werden.
Vermögen die Bundeszentrale für politische Bildung, die Landeszentralen, die politischen Stiftungen oder all die vielen Freien Träger gegen diesen verheerenden Trend anzukämpfen? Haben sie eine Chance gegen die inflationären, teilweise niveaulosen Talkrunden, die Politik als Unterhaltung anbieten? Können sie sich gegen stärker werdende parteipolitische Einflüsse wehren, ohne von den Sparkommissaren finanziell abgestraft zu werden? Gibt es in dieser marktradikalen Wirtschaft noch Menschen, die sich von ihren Arbeitgebern Bildungsurlaub ertrotzen? Hat die politische Bildung vor diesem Hintergrund heute noch Chancen?