Döbelner Anzeiger, Montag 6. September 2010
(Dagmar Doms-Berger)
Die Autorin und einstige Mitbegründerin Der Bürgerrechtsbewegung “Demokratischer Aufbruch” Daniela Dahn (61) zieht eine negative Bilanz der deutschen Vereinigung. Sie analysiert sachlich und differenziert die Ursachen und Folgen der verfehlten Politik und sucht nach Alternativen für eine bessere Gesellschaft. Im Ost-West-Forum auf Gut Gödelitz hat sie vor rund 200 Zuhörern aus ihrem Buch “Wehe dem Sieger! Ohne Osten kein Westen” gelesen und mit ihnen diskutiert.
Mehr noch als der frühere Osten ist der Westen zum Verlierer der Einheit geworden, lautet der Befund von Daniela Dahn. Ohne Systemkonkurrenz habe er seinen Halt verloren. Der Osten hatte dem Westen eine soziale Legitimation abgefordert, die es jetzt nicht mehr gibt. Somit konnte sich seit der Wende eine neoliberale Politik der Deregulierung durchsetzen.
Die Autorin verklärt nicht die DDR. Sie fordert Demokratie ein und kritisiert eine Haltung, die glaubt, die DDR mit Begriffen wie “Unrechtsstaat” oder totalitäre Diktatur” hinlänglich zu beschreiben. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass die SED abgewirtschaftet hatte und ihre autoritäre Sozialismusvariante gescheitert war, dennoch hätte eine Übernahme der in der DDR realisierten Mietpreisbindung, der Abschaffung des Berufsbeamtentums, des Vorrangs der Schiene vor der Straße, der einheitlichen Sozialversicherung oder ganzer Passagen des Familienrechts die ökologische, ökonomische, emanzipatorische und soziale Qualität der vereinigten Republik erhöhen können. Nichts davon wurde bei der Vereinigung aufgegriffen. Wenn heute im vereinten Deutschland etwas an die DDR erinnert, dann der Eifer mit dem Sicherheitsgesetze verschärft und die Überwachung perfektioniert werden. “Wenn wir nicht die Gesellschaft ändern, wer dann?”, fragt die Autorin in die Runde. Wer nie versucht habe sich einzumischen, solle nicht sagen, es ginge nicht. “Es mangelt nicht an neuen gesellschaftlichen Entwürfen, sondern an den Menschen, die sich für ihre eigenen Interessen einsetzen”, so Dahn. Die Menschen seien resignierter und entpolitisierter geworden. Aber es gebe noch Inseln, das Ost-West-Forum sei eine davon.