Veranstaltung am 3. September 2011
Seit Jahren kommen wir bei den Diskussionen im Ost-West-Forum wieder und wieder zu dem Schluss, dass die Demokratie in unserem Lande gefährdet ist. Rechtsextreme Einstellungen, populistischer
Nationalismus, politische Resignation und Gleichgültigkeit machen sich breit.
Sprachen wir noch vor Jahren von den gefährdeten Rändern, ist mittlerweile die Mitte der Gesellschaft betroffen. Eine Entsolidarisierung in der Mittelschicht und Entdemokratisierung politischer Insitutuíonen treten deutlich hervor.
Es kann kein Trost sein, dass das offensichtlich in anderen EU- Ländern vergleichbar ist. Denken wir etwa an Entwicklungen in Österreich, Ungarn und den Niederlanden. Eine jüngste bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (Zick, Küpper & Hövermann, 2010) veröffentlichte europäische Studie in acht europäischen Ländern kam zu erschreckenden Befunden: Rund die Hälfte der Befragten ist der Ansicht, es gäbe zuviel Zuwanderung in ihre Länder. Zwischen 17% (Niederlande) und 70% (Polen) sind der Überzeugung, Juden versuchen Vorteile aus ihrer Opfersituation während der Nazi-Zeit zu ziehen. Ein Drittel ist von einer natürlichen Hierarchie zwischen Menschen unterschiedlicher Ethnien überzeugt. Die Autoren machen drei ideologische Orientierungen deutlich: eine Law & Order-Überzeugung, Befürwortung sozialer Hierarchien und die Ablehnung von Diversität.
Wir wollen jedoch nicht in zorniger Hilflosigkeit verharren angesichts der bedrückenden Erfahrungen dieses Jahres, wie der juristisch verordneten Sprachlosigkeit des demokratischen Protestes gegen den rechten Aufmarsch am 13. Februar in Dresden oder der furchtbaren Tragödie von Oslo.
Notwendige Grundlage demokratischen Widerstandes gegen soziale Vereisung und Verunsicherung der Mitte (Heitmeyer) sind empirische Studien zur realistischen Einschätzung der Situation. Seit 2002 werden im Arbeitskreis um Prof. Elmar Brähler an der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig hierzu repräsentative Untersuchungen durchgeführt. Ende 2010 wurde die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführte Studie „Die Mitte in der Krise – rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ der Öffentlichkeit vorgestellt. Erschreckend wird deutlich, dass mittlerweile das Problem „Rechtsextremismus“ alle Bevölkerungsschichten, Generationen und Regionen betrifft und nicht mehr als Problem sich benachteiligt fühlender Randgruppen angesehen werden kann. Vielmehr haben sich diese Einstellungen zu einer demokratiegefährdenden Bedrohung ausgewachsen.
Jeder Vierte wünscht sich eine „starke Partei“, die die „Volksgemeinschaft“ verkörpert. Jeder zehnte Befragte hält die Diktatur für „die bessere Staatsform“, um den gegenwärtigen Krisen zu trotzen. Über 90% der Befragten sehen keinen Sinn darin, sich politisch zu engagieren und haben das Gefühl, keinerlei Einfluss auf die Regierenden nehmen zu können.
Die Autoren lassen es aber nicht bei der Darstellung solcher bedrohlicher Alarmzeichen bewenden, sondern ziehen politische Konsequenzen aus derartigen Einstellungen in der Bevölkerung. Diese zielen auf eine Weiterentwicklung der Demokratie, Ausbau des „Schutzfaktors“ Bildung, Reformierung der Arbeitsgesellschaft und Förderung zivilgesellschaftlicher Projekte.
Zur Person Professor Dr. Elmar Brähler:
Geboren 1946 in Fulda, Studium der Mathematik und Physik in Gießen, 1970 Dipl. Mathematiker, Promotion in Ulm, zum Dr. rer. biol. hum., Habilitation 1980 in Gießen, Tätigkeit von 1969 – 1994 am renommierten Zentrum für Psychosomatische Medizin in Gießen (Direktor: Prof. Dr. H. E. Richter).
Seit 1994 Professor und Leiter der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig. Medizinisch-Wissenschaftlicher Leiter des Departments für Psychische Gesundheit des Universitätsklinikums Leipzig AöR.
Vielfältige Wissenschaftsfunktionen:
u.a.:
seit 2009 Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Sigmund-Freud-Institutes.
seit 2010 Mitglied des Hochschulrates der Universität Leipzig.
Mitglied des Willy- Brandt- Kreises.
2002 – 2005 sowie 2008 – 2010 Prodekan der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig.
Umfangreiche und sehr erfolgreiche Forschungstätigkeit: Verarbeitung chronischer Erkrankungen, geschlechtsspezifische Aspekte von Gesundheit und Krankheit, medizinische und ethische Fragen der Reproduktionsmedizin, Arbeitslosigkeit und Gesundheit, rechtsextreme Einstellungen in Deutschland.
Umfangreiche Publikationstätigkeit, u. a. mehr als 70 Bücher. Davon allein 11 seit 2007.