Döbelner Allgemeine – Einfache, kleine Leute in großen Geschichten

“Die Frau auf der Treppe”: Bernhard Schlink in Gödelitz, von  Natasha G. Allner, 16. 3. 2015


Gödelitz. “Der Vorleser”-Autor und Jurist Bernhard Schlink las im überfüllten Veranstaltungsraum des Ost-West-Forums aus seinem neuen Buch “Die Frau auf der Treppe”: Ein berühmtes Bild (in Anlehnung an das Gerhard Richter Gemälde “Ema – Akt auf einer Treppe” von 1966), Jahrzehnte verschollen, taucht plötzlich wieder auf. Überraschend für die Kunstwelt, verwirrend für drei Männer, die im engen Zusammenhang zu eben jener Frau stehen. Die Schauplätze sind Frankfurt am Main, Sydney und eine unwegsame Bucht an der australischen Küste. Schlinks Roman handelt vom Recht-Haben, Mitleid, Besitz und Verlust, echter und falscher Nähe. Vom Glück und der Liebe. Am Sonnabend las der Schriftsteller auf Gut Gödelitz Passagen, welche die Liebesgeschichte untermauerten. Doch das Buch bietet viel mehr: Die Protagonistin Irene war nicht nur Ehefrau, Muse und Geliebte, sondern auch steckbrieflich gesuchte Terroristen, die lange Jahre untertaucht.
Man muss ein wenig aufpassen, dass Schlinks literarische Größe nicht einfach überhört oder überlesen wird: Der Autor verpackt – ganz unaufgeregt – die wichtigsten Dinge des Lebens in wenige Worte: “Ersetzbar war ich, bei dem, was vor mir lag. Nicht ersetzbar war ich, bei dem was hinter mir lag”, lässt er seinen Ich-Erzähler erklären. Oder: “Zum Jungsein gehört das Gefühl, alles könne gut werden.” “Vielleicht lernt man das mit der Liebe besser, wenn man eine Mutter und eine Schwester hat.” Lebensweisheiten, die in ihrer Zurückhaltung tief bewegen. Schlink ist ein guter und detailreicher Beobachter, charakterisiert Figuren treffsicher und plastisch. Die Hauptfigur sagt über sich: “… holte eine Flasche Wein, die ich nicht austrinken wollte und doch austrank” sowie “Ich legte mich ins Gras, in meinem Anzug und es erschreckte mich nicht.”
Schlinks Helden sind nicht perfekt, sie haben Brüche in der Biografie, Knitter und irgendwann auch Falten im Gesicht. Es sind einfache, kleine Leute, die große Geschichten schreiben.