Rückblick – Veranstaltung auf Gut Gödelitz am 30.05.2015

Zwischen Grundvertrauen und Krise – Die Vereinigten Staaten und wir

Vortrag und Gespräch mit Professor Doktor Mark Anderson von der Columbia University New York

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Professor Mark Anderson Privatfoto

Sind die Deutschen anti-amerikanisch? Die wechselnden Regierungen in der Bundesrepublik waren das aus realpolitischen Gründen nie, immer haben sie ein eher positives USA-Bild vorgegeben. Die Stimmungslage in der breiten Bevölkerung hingegen war immer von einem Auf und Ab gekennzeichnet.

Als im Januar diesen Jahres der neue Leiter der American Academy in Berlin, Gerhard Casper, sein erstes Interview gab, sorgte er sich um das Bild der USA in Deutschland. In der Tat: Es ist ziemlich negativ.

Das war nicht immer so: Als die USA nach dem Krieg der jungen Bundesrepublik mit der Marshall-Plan-Hilfe wirtschaftlich wieder auf die Beine half, Millionen von Menschen mit Care-Paketen versorgt und West-Berlin durch die Luftbrücke vor der Übernahme durch die Sowjetunion gerettet wurde, da entwickelte sich eine Art Grundvertrauen gegenüber dem einstigen Feind.

Im Westen veränderte sich das Bild der USA erst mit der Studentenrevolte der 68er Generation. Deren Ablehnung des Vietnam-Krieges wurde zwar von der älteren Generation vielfach nicht geteilt, sie war sich aber einig mit einem Teil der jungen Generation in den USA, die ebenfalls gegen den Krieg auf die Straße ging. Mit dem 1973 von den USA unterstützten Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung Chiles erreichte die Kritik an den USA einen erneuten Höhepunkt. Auch die von großen Friedensdemonstrationen begleitete Nachrüstungsdebatte der 80er Jahre führte eher zu einer Bestätigung der kritischen Sicht auf den Verbündeten.

Die Stimmung verbesserte sich in Deutschland, als die USA die Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 ohne Wenn und Aber unterstützten. Uneingeschränkte Solidarität durch die

Deutschen erfuhr die amerikanische Bevölkerung nach dem schrecklichen Anschlag islamistischer Terroristen am 09. September 2001.Inzwischen scheint die Stimmungslage in der deutschen Bevölkerung – quer durch alle Generationen – auf einem Tiefpunkt angelangt zu sein: Die blutigen und erfolglosen Kriege im Irak (an deren Teilnahme die deutsche Regierung sich verweigerte), und in Afghanistan, die von den USA ausgehende Finanzkrise, Drohnen-Einsätze und die Folterpraktiken der CIA, schließlich die Abhörpraktiken der NSA in Deutschland. Auch die Ukraine-Krise wird von der deutschen Bevölkerung differenzierter bewertet als von den offiziellen Stellen der USA. Dies gilt besonders für den ostdeutschen Teil der Bevölkerung.

Sind die Deutschen anti-amerikanisch? Von welchem Teil des tief gespaltenen Amerika reden wir? Von der oligarchisch geprägten Führungsschicht oder der breiten Bevölkerung? Sind wir bereit, die Interessen- und Stimmungslage der anderen Seite einzubeziehen? Was verbindet uns? Sind es gemeinsame westliche Werte? Oder die gemeinsame Angst vor Anschlägen der weltweit agierenden Terrorgruppen?

Wir wollen diesen Fragen einmal nachgehen – in verschiedenen Veranstaltungen, in denen in lockerer Folge Kenner der transatlantischen Beziehungen nach Gut Gödelitz eingeladen werden.

 

Presse: Döbelner Allgemeine: Die Welt kann nur verstehen, wer sie kennt

 

Professor Mark Anderson Privatfoto

Professor Mark Anderson Privatfoto

Zur Person: Mark Mansfield Anderson:
Geboren 1955 in New York. Sein Vater ist Professor für Medizin, die Mutter Krankenschwester. Aufgewachsen in den „suburbs“ von New Jersey und seit 1967 in Wisconsin. Nach dem Abitur Studium der Philosophie, Geschichte und Literatur an der
Wesleyan University in Connecticut. Dort erwirbt er erste französische und deutsche Sprachkenntnisse.
Nach einem Studien-Aufenthalt an der Université de Vincennes in Paris (1976) wechselt er als Fulbright-Stipendiat an die Universität des Saarlandes, wo er 1978-79 sein Studium der deutschen Sprache weiterverfolgt. Sein Studium beendet er an der John Hopkins Universität in Baltimore mit dem Master und danach mit der Promotion (1979-85).
Seit 1985 lehrt und forscht Professor Anderson an der Columbia Universität in New York deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft. Bücher zu Kafka, zum deutschen Exil in der Nazi-Zeit, zur Geschichte der modernen deutschen und europäischen Literatur, zur deutsch-jüdischen Kultur und zur Gegenwartsliteratur sind seine Forschungsschwerpunkte.
Unter der deutschen Gegenwartsliteratur sind besonders zu nennen: Thomas Mann, Musil, Hofmannsthal, Thomas Bernhard, Ingeborg Bachmann, W.G. Sebald und Daniel Kehlmann.
Als Übersetzer hat sich Professor Anderson besonders auf Texte von Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard und Gerhard Falkner konzentriert.
Neben seiner akademischen Tätigkeit war Professor Anderson Direktor des Deutschen Hauses an der Columbia Universität, sowie Leiter der Abteilung für deutsche Sprache. 1995 gründete er das Berlin Consortium für deutsche Studien, ein Austauschprogramm zwischen der Freien Universität Berlin und einer Gruppe amerikanischer Forschungsuniversitäten: Columbia, Princton,Cornell, John Hopkins, Chicago und Pennsylvania.
Mark Anderson lebt abwechselnd in New York, Berlin und Florenz.