Sächsische Zeitung – “Es ist wie in der DDR”

4. Juli 2009

 

Edgar Most kennt sozialistische Planwirtschaft und kapitalistische Marktwirtschaft wie kaum ein anderer – eine schillernde Figur der Finanzwelt.

 

Von Nora Miethke

Edgar Most hat sein Büro mitten im Herzen der Hauptstadt, in der Berliner Zentrale der Deutschen Bank Unter den Linden. Das Vorzimmer ist so groß wie ein Tanzsaal. An den Wänden hängt großformatige deutsche Kunst.

Edgar Most ist ein Gewinner der Wende. Als einziger ostdeutscher Banker hat er es vom Vizepräsidenten der Staatsbank der DDR in die Führungsetage der Deutschen Bank Berlin geschafft. Als „Wendehals“ und „Chef-Ausverkäufer der DDR“ vor 15 Jahren beschimpft, gilt der Mann mit dem thüringischen Akzent heute als einer der besten Kenner der ostdeutschen Wirtschaft. Vor vier Jahren wurde der 68-Jährige in den Ruhestand verabschiedet. Doch davon kann keine Rede sein. Sein Terminkalender ist so voll wie zu seinen aktiven Zeiten. Gestern Abend noch hat er Unternehmern in Löbau die Finanzkrise erklärt. Heute Früh ist er um fünf Uhr aufgestanden, um rechtzeitig auf einer deutsch-russischen Konferenz im Berliner Nobelhotel Adlon über die Folgen der Einheit zu sprechen.

Bei Krenz, Kohl und Kopper

Bei beiden Themen gerät er schnell in Rage. „Ist doch eine Sauerei, dass Deutschland in der Landesbankenrettung 400 Milliarden Euro Steuergelder einsetzt, aber wenn Geld für Kindergärten, Schulen und Universitäten gebraucht wird, ist nie Geld da, da geht man nicht in die Schuldenfalle“, empört sich Most. Er hat das Gefühl, alles noch einmal zu erleben. „Es ist wie in der DDR. Da haben wir auch die Beschlüsse entgegengenommen, abends beim Glas Bier die Regierung abgelöst und früh die Hacken zusammengeschlagen und weitergearbeitet“, sagt er.

1990 hat er sich geschworen, nie wieder den Mund zu halten. Zuhörern knallt er auch manch deftigen Vergleich um die Ohren wie etwa „Banker werden heute behandelt wie früher Nutten“. Er sagt deutlich seine Meinung – am Rednerpult, vor der Fernsehkamera oder in seiner jüngst erschienenen Biografie. Sie wurde in Ostdeutschland zum Bestseller. Kaum einer kennt Schwächen und Stärken der kapitalistischen Marktwirtschaft wie der sozialistischen Planwirtschaft so gut wie er. Er beriet Egon Krenz, verhandelte mit Bundeskanzler Helmut Kohl und arbeitete für Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper. Er ist eine Legende in der deutschen Finanzwelt.

 

Unzuverlässiger Kader

Der 1940 in Tiefenort geborene Sohn eines Bergmanns und einer Waldarbeiterin begann mit 14 Jahren ein Banklehre. Mit 22 Jahren kam er nach Schwedt, um dort zuerst als Filialleiter, später als jüngster Bankdirektor „der Republik“, den Aufbau des Petrochemischen Kombinats, der damals größten Industriebaustelle in Osteuropa, voranzutreiben. 1973 wechselte der Vater von zwei Töchtern nach Berlin in die Zentrale der Staatsbank.

Most zählte 1989 nicht zu den Bürgerrechtlern; die ersten Montagsdemos in Leipzig verfolgte er lieber aus dem Hotelzimmer. „Die Demonstrationen waren überwältigend, aber ich hatte auch Angst“, erinnert er sich fast zwanzig Jahre später. Denn da musste „nur ein Idiot drunter sein, und man weiß ja, was dann passiert in solchen Massendemos“.

Christlich erzogen, war Most SED-Mitglied bis zum Schluss. Von der Partei wurde er als „unzuverlässiger Kader“ geführt und überwacht. 1996 enttarnte ihn „Die Welt“ als Stasi-Spitzel. Doch die Akten, die ihn belasteten, rehabilitieren ihn auch: Die Stasi trennte sich von ihrem IM „Heinrich“, weil dieser aus seinen geheimen Verpflichtungen gegenüber Kollegen und Freunden keinen Hehl machte.

Der Banker, der auch früher nie mit Kritik hinterm Berg hielt und deshalb bei Beförderungen übergangen wurde, kannte den wahren Zustand der DDR-Wirtschaft: „Die DDR war nicht pleite, aber sie war moralisch bankrott.“ Es sei falsch, wie immer behauptet wird, dass die DDR an ihren Schulden kaputtgegangen sei. Niemand habe gefragt, was eigentlich nach der Wiedervereinigung aus diesen Schulden geworden ist. Nach drei Jahren waren alle zurückgezahlt aus dem eigenen Vermögen der DDR, betont der Banker. Honecker habe mit zwei Milliarden US-Dollar Auslandsschulden angefangen und mit 22 Milliarden US-Dollar aufgehört. Die Höhe war nicht das Problem, aber die Tilgung wurde schwieriger, weil die inneren Disproportionen zunahmen und es viele Konsumgüter nur noch in Intershops und Delikat-Läden gab. „Da haben die Menschen gespürt, dass was nicht stimmt. Insofern war die Gesellschaft am Ende“, zieht Most sein Fazit.

Die DDR-Wirtschaft auf gesunde Beine zu stellen, hätte bedeutet, den Gürtel enger zu schnallen: weniger Konsum, weniger Wohnungsbau. Davor habe die Parteispitze Angst gehabt, sie wollte keinen zweiten 17. Juni 1953. „Deshalb sind wir nicht weitergekommen.“ Dann kam die Wiedervereinigung.

Dass der wirtschaftliche Aufholprozess seit mehr als einem Jahrzehnt stockt, dafür müssten die Ostdeutschen die Schuld bei sich suchen. „Wir haben keine Vereinigung beschlossen, sondern einen Beitritt“, sagt Most. Die Wirtschaft im Westen hätte den Osten nur als Absatzmarkt gebraucht, nicht als Produktionsstätte.

Plötzlich hält der Finanzexperte, der beim Reden immer schneller wurde, inne, wird nachdenklich: „Ich bin ja nun wirklich ein Gewinner der Einheit. Deshalb belastet es mich seelisch und moralisch, dass die Einheit nicht gelungen ist.“ Vor dem Mauerbau seien drei Millionen Menschen aus dem Osten abgehauen und nach dem Mauerfall noch einmal drei Millionen. „Der Osten verarmt, vergreist und verdummt“, so die bittere Bilanz.

Kritik an der Treuhandchefin

Er war enttäuscht, als seine Landsleute bei Kohls Versprechen von blühenden Landschaften „Hurra“ schrien. Die schnelle Einführung der D-Mark war unvermeidlich, denn das Volk wollte dieses Geld. Doch von den ersten Ideen wie unterschiedlichen Steuersystemen und einer Sonderwirtschaftszone Ost wollte bald niemand mehr etwas wissen. Aber das Fatalste, sagt Most, war der Beschluss der neuen Treuhand-Chefin Birgit Breuel, die DDR-Wirtschaft in nur drei Jahren abzuwickeln. Die Ermordung von Breuels Vorgänger Carsten Rohwedder, dessen Motto war: „Erst sanieren, dann privatisieren“, sieht Most als Wendepunkt. Ab da konnte der Kapitalismus, in dem es nur um die höchste Rendite geht, ungehindert losmarschieren. Er selbst habe sich bemüht, den neuen Bundesländern wirtschaftlich auf die Beine zu helfen. Seine Chefs bei der Deutschen Bank, von Hilmar Kopper bis Josef Ackermann, hörten ihm zu, wenn er seine alternativen Ideen für den Osten vortrug. Getreu dem Grundsatz, Grund und Boden lässt sich nicht wegtragen, baute er das Kreditgeschäft für die Landwirtschaft auf und führte die bis dahin bei der Deutschen Bank unbekannte Kommunalfinanzierung ein.

„Onkel Edgar, bist ja schon wieder oben“, bekam er von den Kindern seiner alten Freunde zu hören. Die meisten von ihnen wurden nach der Wende arbeitslos. Doch seine Karriere und ihre Misere konnte sie nicht trennen. „Ich lade meine Kumpels in meinen Mercedes und fahre mit ihnen auf Herrenpartie oder zum Biathlon nach Oberhof.“ Dass die Kontakte über all die Jahre gehalten haben, hat er seiner Frau Charlotte zu verdanken, die die Geburtstage nicht vergaß und die Treffen organisierte.

„Ich habe in der DDR mit der Partei getanzt und im vereinigten Deutschland mit dem Kapital.“ Das klingt nach Wendehals. Doch man nimmt es Most nicht übel. Vielleicht deshalb, weil er dazu steht, dass er in beiden Systemen gut klarkommt. Er ist schwer zu fassen. Immer mit dabei, betont er zugleich die Distanz, nimmt für sich in Anspruch, trotz der Systemnähe den kritischen Blick bewahrt zu haben. „Ich versuche immer, das Geld zu nutzen für soziale Themen.“ Er setzt sich vehement für den „Dritten Weg“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus ein. „Der Staatssozialismus hat versagt, weil er die Freiheit des Denkens einschränkte und überregulierte. Die Marktwirtschaft versagt, weil sie nicht sozial ist und gar nicht reguliert.“

Das Kapital müsse wieder eingefangen werden. Wie, das erklärt der Fachmann am Verkauf der Woba-Wohnungen in Dresden. „Ihr habt eure Wohnungsbestände verscherbelt.“ Gegen die Privatisierung hat er nichts einzuwenden. Sie wurde ja von seinem alten Arbeitgeber betreut. Aber niemand hätte auch Sozialstandards mit verkauft. Im Fall von Dresden bedeute dies, die Mieten dürften nur erhöht werden, wenn der Durchschnittsverdienst in der Stadt steige.

Ob Edgar Most auch mit diesen Ideen gehört wird, wird sich zeigen. Eines ist sicher, er wird nicht schweigen.

Edgar Most stellt heute, 18 Uhr, auf dem Ost-West-Forum Gut Gödelitz seine Biografie vor: „Fünfzig Jahre im Auftrag des Kapitals. Gibt es einen dritten Weg?“, Das Neue Berlin, 19,90 €