Rückblick: Wandel durch Abwendung – Was Deutschland und Europa in ihren Beziehungen zu Russland nicht sehen wollen

Vortrag und Gespräch mit S. E. Wladimir M. Grinin, Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter  der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland. Freitag 18.11.16 um 19:00 Uhr auf Gut Gödelitz


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© ost-west-forum Gut Gödelitz e.V.

Die Rede, die S. E. Wladimir M. Grinin auf Gut Gödelitz hielt, ist auf der Internetpräsentation der Botschaft der russischen Förderation in Deutschland veröffentlicht. Lesen Sie hier

Einführung aus der Einladung von Axel Schmidt-Gödelitz:

Als der britisch-australische Historiker Christopher Clark 2014 mit seinem Buch „Die Schlafwandler -Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog“ – Deutschland von der alleinigen Kriegsschuld freisprach, war dies das am meisten beachtete und kontrovers diskutierte Buch, das zum 100. Jahrestages des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges auf den Markt kam.

Seine wichtigste These: Alle Kriegsteilnehmer waren davon überzeugt, dass nur sie angegriffen wurden, dass nur sie Opfer waren, die sich wehren mussten. Keine Nation und deren politische Führung hat sich der Mühe unterzogen, sich einmal in die Position des Anderen hinein zu versetzen und dessen Interessen und emotionale Lage zur Kenntnis zu nehmen und politisch umzusetzen. Und so nahm die erste große Katastrophe des 20. Jahrhunderts seinen Lauf.

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Haben wir aus der Geschichte gelernt? Ja, kurze Zeit – die Kennedy-Administration nach der Cuba-Krise und die deutsche Regierung Brandt/Scheel nach 1969. Mit der von Egon Bahr Mitte der 60er Jahre unter der Überschrift „Wandel durch Annäherung“ konzipierten und danach in mühevollen Verhandlungen umgesetzten Entspannungspolitik gab es einen Interessenausgleich von Ost und West, der bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion anhielt. Nach der friedlichen Revolution, in die die in der DDR stationierten sowjetischen Truppen nicht eingriffen, hofften viele Menschen in Deutschland und Russland auf eine neue Zeit, Gorbatschow sprach von einem gemeinsamen Europäischen Haus.

Sowohl der damalige US-Präsident Bush, als auch zahlreiche westliche Politiker erteilten einer NATO-Osterweiterung eine klare Absage. Leider nur mündlich. Was dann erfolgte, waren Handlungen des Siegers verbunden mit einer Serie von Demütigungen: Präsident Jelzin ließ dem westlichen Neoliberalismus freien Lauf, das Imperium zerfiel, eine kleine Clique bediente sich aus dem Volksvermögen. Die NATO rückte nach Osten vor und weckte die alten Einkreisungsängste der Russen. Wegen der möglichen nuklearen Bedrohung durch den Iran wurden in Rumänien Raketenstellungen installiert. Nachdem diese Gefahr, an die kein vernünftiger Mensch glaubte, gebannt war, wird nun 2018 eine weitere Raketenstellung in Polen installiert.

Immer mehr mitteleuropäische Länder traten der Europäischen Union bei, ohne dass Russland ebenfalls dazu eingeladen worden wäre. Als auch die Ukraine – aus Sicht der Russen durch einen Putsch – Teil der westlichen Interessensphäre zu werden drohte, reagierte der russische Präsident mit harten Gegenmaßnahmen. Die Krim wurde per Volksabstimmung Russland angegliedert und Teile der Ukraine mit russischer militärischer Unterstützung in ein Kriegsgebiet verwandelt. Und deutsche Soldaten sind mittlerweile in Litauen an der Grenze zu Russland eingesetzt.

All dies trug dazu bei, dass es im Verhältnis zu Russland und seinem Präsidenten in Politik und Medien des Westen – mit massiver Unterstützung der USA – nur noch Gut und Böse gibt. Wir sind die Guten?

Wer einmal die Rede Putins nachliest, die er 2001 vor dem Bundestag in deutscher Sprache gehalten hat, wer einmal das Interview zur Kenntnis nimmt, das Putin 2016 der BILD-Zeitung gab, der muss begreifen, dass diese einseitige Sicht auf Russland und seinen Präsidenten auch etwas mit unserer Unfähigkeit zu tun hat, die Ursachen der Abkühlung unseres Verhältnisse zu Russland zu bedenken.

 

© Botschaft der Russischen Förderation in Deutschland

© Botschaft der Russischen Förderation in Deutschland

Zur Person: Wladimir Michailowitsch Grinin

Geboren am 15. November 1947 in Moskau, seit 2010 Botschafter der  Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland.
Grinin absolvierte 1971 das Staatliche Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) und trat danach in den diplomatischen Dienst ein. Sein erster Posten führte ihn an die Botschaft der UdSSR in Bonn. Von 1980 bis 1982 besuchte er die Diplomatische Akademie des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR.
Er war bis 1986 Mitglied der sowjetischen Delegation bei den Verhandlungen zwischen der UdSSR und den USA über die Abrüstung und Rüstungskontrolle in Genf. Es folgte eine Verwendung als Botschaftsrat und später Abteilungsleiter der Botschaft der UdSSR in der DDR und ab 1990 in der Bundesrepublik Deutschland. Von 1994 bis 1996 war Grinin Direktor der 4.Europäischen Abteilung des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der Russischen Föderation und in dieser Funktion zuständig für die Beziehungen zu Deutschland. Sein erster Botschafterposten führte ihn von 1996 bis 2000 nach Österreich. Von 2000 bis 2003 bekleidete Grinin den Posten des Generalsekretärs des Außenministeriums. Die nächsten Verwendungen als Botschafter führten ihn nach Finnland (2003–2006) und Polen (2006–2010).
Im Juni 2010 wurde er zum „Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafter“ der seit 1992 bestehenden Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland ernannt und wirkt in der Russischen Botschaft in Berlin Unter den Linden.
Botschafter Grinin ist verheiratet und hat eine Tochter. Er spricht neben russisch auch deutsch, englisch und französisch.