Lesung und Gespräch mit Friedrich Schorlemmer: Klar sehen und doch hoffen – mein politisches Leben

Wer sich mit den deutsch-deutschen Beziehungen vor und nach der Vereinigung beider deutschen Staaten ernsthaft beschäftigt, sollte das neue Buch von Friedrich Schorlemmer Klar sehen und doch hoffen. Mein politisches Leben lesen. Hier wird das Leben eines DDR-Oppositionellen geschildert, der in einem Pfarrhaus mit christlichen Werten aufwuchs, schon von Kindheit an angefeindet wurde, oft isoliert war und seine ganz eigene Persönlichkeit entwickelte. Er stand als Pfarrer mitten im Leben, war widerständig und suchte immer nach dem Machbaren. Dennoch schaut er nicht rachsüchtig zurück.

Er provozierte, geriet aber nie in eine Fundamentalopposition gegen Staat und Gesellschaft. Er war sich des Schutzes der Kirche bewusst, akzeptierte die von der Kirchenleitung mit dem Staat ausgehandelte Formel „Kirche im Sozialismus”, sah sich aber immer wieder auch der Kritik seiner Oberen ausgesetzt, wenn er deren selbst gesetzte Rote Linien wieder mal überschritt.

Schorlemmer gehört zu dem Teil der DDR-Opposition, deren langjähriger Friedensarbeit unter dem Dach der evangelischen Kirche es mit zu verdanken war, dass die Revolution friedlich verlief. Es waren vor allem die Kirchenleute, die an der Spitze der Demonstrationen marschierten und mit dem Ruf, „Keine Gewalt” dafür sorgten, dass auch die Staatsmacht nicht durch provokatives Verhalten der Demonstranten zur Gewaltanwendung herausgefordert wurde.

Diese kirchlichen Kreise waren es auch, die später an den Runden Tischen für den Brückenbau und den Dialog mit den noch Herrschenden sorgten. Ohne deren Erfahrungen, so damals auch Schorlemmer, wird die Opposition nicht regieren können, eine, zumindest partielle, Zusammenarbeit wird vonnöten sein. Zu Schorlemmers Glaubwürdigkeit gehört, dass er in jedem Gesellschaftssystem wachsam bleibt, sich die Sensibilität für Warnsignale bewahrt hat und schonungslose Kritik auch an den gegenwärtigen Verhältnissen übt.

Wenn beispielsweise Freiheit beschworen, die Gerechtigkeit aber vernachlässigt wird, weil sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter öffnet. Diejenigen der damaligen DDR-Opposition, denen sich Schorlemmer verbunden fühlt, wollen die Vergangenheit wach halten, Lehren aus ihr ziehen und nichts unter den Teppich kehren. Die einfache Formel „Stasi-Diktatur und Unrechtsstaat” lehnen sie als zu undifferenziert ab. Sie wehren sich – nicht zuletzt aus rechtsstaatlichen Gründen – dagegen, die Stasi – und IM-Jagd nach 22 Jahren noch weiter fortzuführen.

Es lohnt, dieses Buch zu lesen – auch für die eigene Positionsbestimmung: Dass man nicht wegsehen darf, dass es immer auch Hoffnung gibt und dass wir am Ende auch handeln müssen.

Quelle des Fotos:
http://www.friedrich-schorlemmer.de

Zur Person: Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer

Geboren 1944 als Sohn eines Pfarrers in Wittenberge (Priegnitz). Aufgrund seiner Herkunft wurde ihm der Besuch der erweiterten Oberschule verwehrt, stattdessen holte er das Abitur auf einer Volkshochschule nach und schloss dieses 1962 ab.

Von 1962 – 67 studierte er an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Theologie. Von 1971 – 78 war er Studentenpfarrer in Merseburg, von 1978 – 92 lehrte er als Dozent am Evangelischen Predigerseminar und war Prediger an der Schlosskirche in Wittenberg.

Von 1992 bis 2007 war Friedrich Schorlemmer Studienleiter an der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt. Bereits 1968 beteiligte sich Schorlemmer an Aktionen gegen die damals neue Verfassung der DDR und den militärischen Einmarsch in die CSSR.

Seit den siebziger Jahren war er Mitglied der Friedens-, Menschenrechts – und Umweltbewegung. Auf dem Kirchentag 1983 in Wittenberg fand auf dem Lutherhof unter seiner Verantwortung die symbolische Umschmiedung eines Schwertes zu einer Pflugschar statt, obwohl die DDR-Behörden bereits vorher die öffentliche Benützung des Slogans Schwerter zu Pflugscharen für illegal erklärt hatten. Diese Aktion wurde als Symbol zu einem Hoffnungszeichen für die Friedensbewegung in der DDR, die sich für atomare und konventionelle Abrüstung in Ost und West und für eine konsequente Entspannungspolitik einsetzte.
1989 unterzeichnete er den Aufruf Für unser Land und war Mitbegründer des Demokratischen Aufbruch, wechselte dann aber wegen der Politik des Vorsitzenden Wolfgang Schnur zur SDP. Er gehört zu den engagierten Gegnern der sog. Antiterror-Kriege in Afghanistan und im Irak sowie zu den Sympathisanten des globalisierungskritischen Netzwerkes attac, dessen Mitglied es seit März 2009 ist.

Die Aufarbeitung der Vergangenheit heißt für ihn Versöhnung, nicht Rache. Seine politischen Prioritäten liegen in den Gefahren, die von der Globalisierung und dem Neoliberalismus ausgehen. 1997 unterzeichnete er die Erfurter Erklärung, die auf der Umsetzung des Artikel 14, Absatz 2 des Grundgesetzes besteht, wonach Eigentum zugleich dem Gemeinwohl zu dienen hat.

Friedrich Schorlemmer ist Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission, Mitglied des PEN-Zentrums, Vorsitzender des Willy-Brandt-Kreises, sowie Mitherausgeber der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik und der Wochenzeitschrift Freitag.
1989 erhielt er die Carl-von-Ossietzky-Medaille der Internationalen Liga für Menschenrechte, 1993 den renommierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2002 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Concordia-Universität in Austin (Texas) verliehen.

Friedrich Schorlemmer ist Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse.

Seine zahlreichen Veröffentlichungen sind im Internet unter www. wikepedia.de aufgelistet.