Gleich im ersten Semester aber musste er in die Jugendarrestanstalt Zeithain. Der Leipziger hatte eine kleinkriminelle Jugend abzusitzen. Von den Autoknackern erzählt er auch in seinem ersten Roman: „Als wir träumten“. Seine Figuren schwimmen gegen den Strom, sind keine Rechten, keine Linken, keine Hooligans, keine Punks, nur eins: Individualisten. Sie träumen vom Aufstieg ihrer Fußballmannschaft, von einer richtigen Liebe und davon, dass irgendwo ein besseres Leben wartet. Rico, Mark, Paul und Daniel wachsen auf im Leipzig der Nachwendejahre, in einem Viertel, dessen Mittelpunkt die Brauerei ist.
Jede Nacht ziehen sie durch die Straßen. Sie feiern, sie randalieren, sie fliehen vor den Glatzen, ihren Eltern und der Zukunft. Sie kämpfen mit Fäusten um Anerkennung und schlagen die Zeit tot. Sie saufen, sie klauen, sind cool und fertig und träumen vom eigenen Leben. Alle ihre Fluchtversuche enden auf den Fluren des Polizeireviers Südost.
“Soviel beschädigtes Leben war lange nicht mehr in der deutschen Gegenwartsliteratur”, meinen die Kritiker dazu und bescheinigen dem 1977 geborenen Leipziger nicht nur eine packende Geschichte, sondern auch erzählerische und sprachliche Präzision. Gewalt und Tragik durchziehe die Beschreibung dieser jugendlichen Lebensläufe ebenso, wie Orientierungslosigkeit und Leere. Es gehe aber auch um das Versagen der Elterngeneration, die im “trüben Alltag der dahinsiechenden DDR” resignierte.
Diesen Zonenkindern, allesamt Mitte der Siebziger geboren, war die verflossene DDR ebenso wenig Heimat wie das vereinte Deutschland in der Nachwendezeit, und weil ein drittes nicht zu finden war, so scheint es, blieb ihnen nur die kleine, zunehmend ausgedünnte Gruppe derer, mit denen man zusammen im gleichen Viertel aufgewachsen war.
Wir haben in Gödelitz oft über Erziehung und Wertevermittlung gesprochen, auch darüber, dass Jugendliche so oft abdriften, sie niemand anhalten kann auf ihrem selbstzerstörerischen Weg ins Erwachsenenalter, nicht die Schule, nicht das Elternhaus. Das mehrfach preisgekrönte Debüt von Clemens Meyer erzählt vom Gleichmaß des „kleinen gemeinen Lebenskampfes“ – größer und ewiger dargestellt, als alle historischen Umbrüche. Das macht es auch für spannende Diskussionen in Gödelitz interessant. Clemens Meyers Blickwinkel auf die Biografien der Zonenkinder könnte uns Antworten geben, wieviel Individualismus kann und muss sich eine Gesellschaft leisten, wie füllen Jugendliche geistiges Vakuum aus, was erwarten sie von uns Älteren, was benötigen sie am dringendsten?
Zur Person:
Clemens Meyer, geb. 1977 in Halle/Saale, lebt in Leipzig. Nach dem Abitur arbeitete er als Bauhelfer, Möbelträger und Wachmann. Von 1998 bis 2003 studierte er am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
Clemens Meyer gewann 2001 den MDR-Literaturwettbewerb und wurde für seinen ersten Roman »Als wir träumten« mit dem Rheingau-Literatur-Preis, dem Märkischen Stipendium für Literatur, dem Förderpreis zum Lessing-Preis sowie dem Mara-Cassens-Preis ausgezeichnet.
Literaturpreise und Auszeichnungen:
Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg 2007
Märkisches Stipendium für Literatur 2007
Förderpreis zum Lessing-Preis des Freistaates Sachsen 2007
2006 Mara-Cassens-Preis
2006 Rheingau Literatur Preis 2006
2006 Einladung zum Ingeborg Bachmann-Wettbewerb
2006 Nominierung zum Preis der Leipziger Buchmesse
2003 2. platz MDR-Literaturwettbewerb
2002 Literatur-Stipendium des sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst
2001 1. Platz MDR-Literaturwettbewerb