Veranstaltung zur Schulpolitik

Vortrag und Gespräch mit Karin Berndt, Bürgermeisterin von Seifhenneersdorf, 6.12.1014

In einem hinteren Zipfel des Freistaates Sachsen, ganz nahe der Grenze zu Tschechien, liegt die kleine Stadt Seifhennerdorf. Dort amtiert eine Bürgermeisterin namens Karin Berndt, die sich seit fünf Jahren gegen die von der Obrigkeit verfügte Schließung ihrer Mittelschule wehrt. Wegen sinkender Einwohnerzahlen wurden in Sachsen seit Mitte der 90er Jahre rund 1000 Schulen geschlossen. Um das durchzusetzen, schreibt das Schulgesetz u.a. vor, dass zweizügige 5. Klassen einer Mittelschule mindestens 40 Anmeldungen vorzuweisen haben. In Seifhennersdorf waren es nur 38. Das genügte, um die Schließung perfekt zu machen. Spätere Anmeldungen wurden nicht mehr anerkannt. Eine Gemeinde ohne Mittelschule zieht jedoch kaum noch junge Paare mit Kindern an – im Gegenteil: Sie ziehen weg.

In den Augen der Staatsregierung ist diese Frau ein Ärgernis, ein Mensch ohne Einsichtsfähigkeit – verbunden mit einer geradezu gemeingefährlichen Sturheit. Die Eltern des Ortes soll sie aufgewiegelt haben, sich gegen Gesetz und Ordnung zu stellen. Tatsächlich empfanden diese die Zwangseinweisung ihrer Kinder in die Schulen der Nachbarorte, verbunden mit langen Schulwegen, als eine Zumutung. Sie organisierten den Unterricht mit bereits pensionierten Lehrern, später zogen sie mit ihrer Bürgermeisterin vor das Staatsministerium für Bildung nach Dresden, um dort, im Rahmen einer friedlichen Demonstration, ihrer Besorgnis und ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Leider fand sich in dem hohen Haus niemand bereit, mit den Eltern ein Gespräch zu führen. Dafür wurden Wachschutzleute geschickt.Wer sich einmal unvoreingenommen in die Akten dieses Falles vertieft, kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Das liest sich wie ein Politkrimi. Kaum eine Institution, die nicht direkt oder indirekt in diesen Streitfall verwickelt war und ist: Alle Schulbehörden von oben nach unten. Dann: Landrat, Kreisrat, Landtag. Selbst Staatsanwaltschaft, Polizei und Staatsschutz tauchten in den Akten auf. Die um Schüler konkurrierenden

Schulorte der Nachbarschaft gingen aufeinander los. Und schließlich zog die Bürgermeisterin vor das Verwaltungsgericht. Weil dort festgestellt wurde, dass Schulschließungen, die gegen den ausdrücklichen Willen der Gemeinden durchgesetzt werden, verfassungswidrig sind, muss nunmehr das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Da ruht der Fall bis auf weiteres – wegen Überlastung des Gerichts.

Der Wirbel um Seifhennersdorf dürfte zu einem Umdenken bei den politischen Entscheidungsträgern beigetragen haben. In einem Brief der FDP-Landtagsfraktion vom 16. Oktober 2013 an die Oberschule Seifhennersdorf wurde der endgültige Stopp von Schulschließungen im ländlichen Raum angekündigt. „Wohnortnahe Schulen sind ein wichtiger Standortfaktor, gerade für Gemeinden im ländlichen Raum. Auch wer nicht in der Stadt wohnt, muss faire Bildungschancen…und zumutbare Schulwege haben“. Am 15. Dezember wurde das im Landtag von CDU und FDP beschlossen – bis zur Änderung des Schulgesetzes im Jahre 2015. Die Mindestzahl von 40 Schülern entfällt.

Aber:„Dies gilt nicht für Schulen, deren Aufhebung bereits in den Schulnetzplänen beschlossen ist“. Dazu gehört Seifhennersdorf. Der CDU-Abgeordnete Patrick Schreiber formulierte das im Landtag – bezogen auf Seifhennersdorf – so: „Die Messe ist gelesen und dort werden wir auch nichts verändern“.

Das alles klingt nach Vergeltung – an einer mutigen Bürgermeisterin, aber auch an den rebellischen Eltern und Kindern. Will man öffentlich abstrafen, um potentiellen Nachahmern den Schneid abzukaufen? Mag sein, dass hier keine Diplomaten am Werk waren. Aber es ist an der Zeit, Brücken zu bauen und Wunden zu heilen. Es muss doch eine Möglichkeit geben, die Mittelschule Seifhennersdorf bei genügenden Schülerzahlen neu zu eröffnen und damit den Rechtsfrieden wieder herzustellen. Nach einer gewonnenen Wahl sollte in der neuen Regierungsmannschaft eine solche, von Großzügigkeit geprägte Haltung, konsensfähig sein. Es wäre ein gutes Signal.

 


 

zur Person Karin Berndt:

Geboren 1957
1963 –1971 Polytechnische Oberschule Seifhennersdorf
1971 – 1973 Erweiterte Oberschule Neugersdorf
1973 – 1976 Berufsausbildung in Zittau. Facharbeiterabschluss Malerhandwerk
1976 – 1980 Kindererziehungszeiten für ihre drei ersten Kinder
1980 Beginn der Tätigkeit in der Kinderkrippe in Seifhennersdorf
1982 – 1984 Sonderfernstudium Krippenpädagogik an der Medizinischen
Fachschule in Görlitz, Fachschulabschluss Krippenerzieherin
1989 Mitglied im Neuen Forum. Gründungsmitglied der Unabhängigen
Bürgerinitiative Seifhennersdorf
1992 Schließung der Kinderkrippe und damit Verlust des Arbeitsplatzes.
Arbeitsbeginn in der Stadtverwaltung Seifhennersdorf / Einwohnermeldeamt:
1996 – 1998 Ausbildung zur Verwaltungsfachanstellten  (Öffentlicher Dienst)
2002 – Wahl zur Bürgermeisterin der Stadt Seifhennersdorf
2009 – Wiederwahl. Amtsperiode bis 2016.
Langjähriges Mitglied der Kreistage Zittau, Löbau-Zittau und Görlitz.
Freiwillige Mandatsniederlegung im Juli 2014

Frau Berndt ist geschieden und Mutter von sechs Kindern.