Klangzeichnungen – Arbeiten von Klaus Fiess

32. Kunstausstellung, Eröffnung am 9. Mai 2015

Laudatio: Prof. Dr. Wendelin Szalai

Liebe Mitglieder und liebe Freunde des ost-west-forum Gut Gödelitz,

sehr geehrter Herr Professor Anderson,

meine Damen und Herren,

im Namen des Vorstandes begrüße ich Sie zu einer neuen Veranstaltung unserer monatlichen Samstagabendreihe.

Zunächst eröffnet unser Bürgerverein mit einem kurzenVorprogrammeine neue Kunstausstellung. Es ist unsere 32.

Unter dem Titel „Klangzeichnungen“ werden Arbeiten des Grafikers Klaus Fiess aus Baden-Württemberg gezeigt.

© Zeichnung von Klaus Fiess

© Zeichnung von Klaus Fiess

Bei dem Wort „Klang“ im Ausstellungsnamen erinnern sich wahrscheinlich manche unserer Stammbesucher an zwei frühere Ausstellungen unseres Vereins, bei denen im Titel das Wort „Klang“auch enthalten war.

„Farben von Licht und Klang“ hieß die Ausstellung mit Arbeiten der russischen Malerin Natalja Simonenko. Die Künstlerin kennzeichnete ihre Arbeitsweise mit dem Satz: „Ich male die Farben des Klanges.“

Die inzwischen verstorbene Malerin Christiane Just und ihr Partner Andreas Hegewald hatten ihre Doppelausstellung „Klangfarben“ genannt. Ihre Bilder waren zu Orgelmusik in der Dresdener Dreikönigskirche gemalt worden.

Den Malern ging und geht es um Beziehungen zwischen Farbharmonien und Klangharmonien.

Der Grafiker Klaus Fiess arbeitet mit schwarzen Linien auf weißem Papier. Farbharmonien kommen da nicht vor.

Warum aber nennt er seine Ausstellung „Klangzeichnungen?“

Bevor ich auf die Erklärung dafür zu sprechen komme, möchte ich Ihnen den Künstler kurz vorstellen:

© Klaus Fiess

© Klaus Fiess

Klaus Fiess ist 1953 in Mühlacker (Baden-Württemberg) geboren.

Er hat eine Ausbildung als Technischer Zeichner absolviert.

Dann folgte ein Studium an der Fachhochschule für Gestaltung in Pforzheim.

Bereits nach eineinhalb Jahren ist er in die Wirtschaft gewechselt, und seitdemverdient er seinen Lebensunterhalt in der Konstruktion. Diese berufliche Arbeit verschafft ihm die notwendige Freiheit und Unabhängigkeit für seine bildkünstlerische Arbeit.

Für diese hat er sich in Mühlacker ein Atelier eingerichtet.

Klaus Fiess ist in seinem künstlerischen Schaffen durch zahlreiche Begegnungen und Gespräche mit Willi Sittebestärkt worden.

Manchen Älteren unter Ihnen dürfte dieser Name gut bekannt sein.

Der 2013 verstorbene Willi Sitte gehörte zu den bekanntesten und einflussreichsten Malern und Grafikern der DDR. Viele Jahre war er Präsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR.

Wie ist es zu seinen Gesprächen mit Klaus Fiess gekommen?

Sitte wurde 1921 in Kratzau, heute Chrastava in Tschechien, geboren. Aus dem gleichen Ort stammte die Mutter von Klaus Fiess. Und beide Familien waren in ihrer Kratzauer Zeit eng befreundet. In den 1980er Jahren hat dann Willi Sitte am Rande von zahlreichen Ausstellungen und Ausstellungsbesuchen in der alten Bundesrepublik seine jetzt in Mühlacker lebenden Freunde aus der alten Heimat regelmäßig besucht. Und so kam es zu den für Klaus Fiess prägenden Begegnungen.

Künstlerisch ist Klaus Fiees heute vor allem als Grafiker tätig, aber früher hat er sich auch in anderen künstlerischen Techniken ausprobiert, so in der Acrylmalerei und in verschiedenen Mischtechniken.

Seit 2003 gehört er der Künstlergruppe Mühlacker an.

Arbeiten von ihm waren bereits in verschiedenen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen. Und parallel zur Präsentation seiner Klangzeichnungen in Gödelitz ist er in seiner Heimatstadt an einer Gemeinschaftsausstellung beteiligt.

Soviel an Biografischem zum Künstler unserer neuen Ausstellung.

Zu deren Eröffnung ist Klaus Fiess zusammen mit seiner Partnerin nach Gödelitz gekommen.

Wir freuen uns darüber und heißen beide in unserer Mitte ganz herzlich willkommen.

Und nun möchte ich Ihnen die Bilder dieser Ausstellung kurz vorstellen, wie immer aus meiner ganz subjektiven Sicht:

Welche Empfindungen, Gefühle und Gedanken lösen diese Arbeiten bei mir aus?

Welche inneren Bilder werden durch sie bei mir aufgerufen?

Was sehe ich in diesen Bildern?

Und Sie alle, meine Damen und Herren, können bis Ende Juni (Solange wird diese Ausstellung laufen.) erkunden, wie Sie selbst diese Bilder sehen, was Sie selbst in diesen Bildern sehen, was Sie beim Betrachten empfinden, fühlen und denken.

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© Zeichnung von Klaus Fiess

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© Zeichnung von Klaus Fiess

 

Ich fange mit einem Staunen, mit einer Verwunderung an:

Als ich diese Zeichnungen von Klaus Fiess zum ersten Mal gesehen habe, fiel mir sofort eine Besonderheit der Striche und der Linienführung auf. Statt der bei Grafiken gewohnten geraden und sicheren Strichführung wirken diese Linien wie in sich leicht bewegt, unruhig, etwas zitternd, unsicher, wie suchend, reizvoll unvollkommen, manchmal durch Punkte unterbrochen oder mit anderen Linien verknotet.

Aus diesen Linien entstehen dann leichte, netzartige, etwas zerrissen wirkende Gespinste, aber manchmal werden darausauch kontrastreiche, kantig verschichtete Gebilde.

Auf vielen Zeichnungen wächst dann aus solchen abstrakt-gegenstandslosen Gespinsten und Gebilden Gegenständliches, Figürliches hervor, Pflanzen und Menschen, bei Menschen oft nur Köpfe und Gesichter.

Wie macht Klaus Fiess das? Wie und womit gelingen ihm diese Striche, diese Linienführung, diese Gespinste?

Das habe ich neugierig den Künstlergefragt, und mit Interesse habe ich die ausführliche Beschreibung seiner ungewöhnlichen Zeichentechnik gelesen.

Mit meinen eigenen Worten und verkürzt formuliert, besteht sie in folgendem Verfahren:

In einer von ihm selbst entworfenen und gebauten Apparatur (Hier kommt im Grafiker Klaus Fiess der Techniker und Konstrukteur zur Vorschein.) hängt ein Zeichenstift an einem Faden so fein austariert, dass seine Spitze gerade noch das darunter liegende Papier berührt. Dann bewegt der Künstler das Papier – nicht den Stift – und gestaltet so abstrakte oder gegenständliche Zeichnungen. Wie aber werden diese zu Klangzeichnungen?.

Außer dem Handlungsstrang des zeichnenden Künstlers gibt es einen zweiten selbstständigen Handlungsstrang: Ganz nah am gestaltenden Künstler spielt ein Musiker. Die von den Klängen seines Spiels ausgelösten Schallwellen ober Schwingungen versetzen den Zeichenstift in leichte Schwingung, in Bewegung.

Und so entsteht der bewegt, zittrig, suchend wirkende Strich der Klangzeichnungen.

Kann man bei dieser Technik überhaupt vom Zeichnen sprechen?

Aber was eigentlich ist Zeichnen?

Vom weltbekannten Maler und Grafiker Paul Klee stammt folgende schöne Definition:„Zeichnen ist die Kunst, Striche spazieren zu führen.“

Bei dentraditionellen grafischenArbeitstechniken ist es allein der Künstler, der Grafiker, der Zeichner, der die Striche spazieren führt. Von ihm allein hängt das Ergebnis ab. Er allein ist der Schöpfer des Kunstwerkes.

Bei den Klangzeichnungen von Klaus Fiess ist es nicht nur der Grafiker, der die Striche spazieren führt.Auch der Musiker ist mit seinem Spiel daran beteiligt.Genauer gesagt: Es sind die dabei erzeugten Klänge, die Schwingungen, die auf das Führen der Striche einwirken.

Aber diese Einwirkung, diese Verbindung zwischen den beiden Handlungssträngen ist eine zufällige, eine nicht bewusst zu planende und zu steuernde.

Zugespitzt könnte man sagen: Klaus Fiess und der Zufall schaffen gemeinsameinKunstwerk.

Der Künstler entscheidet dann, ob er diein seiner selbstgebauten Apparatur entstandene Klangzeichnung als endgültig belässt, oder ob er sie und wie sehr er sie danach in seinem Atelier weiter bearbeitet.

Ich denke, dass Klaus Fiess in seinen Klangzeichnungen bewusst mit dem Zufall spielt, dass er gezielt den Spannungen zwischen seinem freien und kontrollierbaren Gestaltungswillen und dem spontanen, unkontrollierbaren, überraschendenZufall nachspürt.

Über derartige Spannungen hat Friedrich Dürrenmatt folgenden schönen Satz geschrieben:

„Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.“

Für mich sind die „Klangzeichnungen“ von Klaus Fiess eine Metapher für den Anteil des Zufalls in unserem doch eigentlich bewussten, zielgerichteten, planmäßigen Handeln:

Wie klar,wie berechenbar, wie vorausschaubar ist eigentlich unser Tun?

Was heißt es, unter Bedingungen von Ungewissheit, Unsicherheit und Zufall die Zukunft verantwortbar gestalten zu wollen?

In meinen Augen ist Klaus Fiess ein philosophierender Zeichner.

Aber er ist auch ein Sucher und Tüftler.

Die Technik seiner Klangzeichnungen ist etwas völlig Neues. Er hat sie erfunden.

Sie stellt herkömmliche Zeichenweisen auf den Kopf.

Die Klangzeichnungen von Klaus Fiess können uns Betrachter gleicherweise überraschen, irritieren und faszinieren.

Sie können in uns ein emotional gefärbtes Bündel von Fragen und Gedanken über den Zusammenhang von Zukunft und Zufall auslösen. Und fast zwangsläufig sinniert man dann auch über den Zusammenhang von Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit.

Vielleicht geht es vielen unter Ihnen ähnlich wie mir.

Ich trauere oft alten Gewissheiten und Sicherheiten hinterher. Aber waren es reale oder nur eingebildete?Ich trauere oft enttäuschten Hoffnungen nach.Aber waren es berechtigte oder nur illusorische?

Unser Planet ist nach dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung leider nicht friedfertiger geworden. Der weltweit zunehmende Terrorismus, die anschwellenden Flüchtlingsströme und die sich ausbreitende Eiszeit in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Russland lassen mich besorgt in eine unsichere Zukunft schauen.

Auch bei uns in Deutschland ist nach der Wiedervereinigung die soziale Aufspaltung der Gesellschaft weiter angewachsen, werden die Reichen reicher und die Armen ärmer. Unsicherheiten und Zukunftsängste treiben viele Leute zu Protestaktionen auf die Straße.

Politisches Handeln und wirtschaftliche Entscheidungen wirken weniger geplant und zukunftsfähig und mehr spontan zufällig.

Ich muss mich manchmal regelrecht dazu zwingen, unsere Gegenwart nicht gar so schlecht, gar so unsicher und gar so gefährlich zu sehen, wie sie mir tagtäglich und zeitnah von den Medien geschildert wird.

Ich muss mich manchmal regelrecht dazu zwingen, die Vergangenheit nicht gar so gut, gar so sicher und gar so gerecht zu erinnern, sie nicht zu verklären.

Manchmal hilft mir dabei die folgende Lebenserfahrung eines älteren Herrn:

„Je älter man wird, desto mehr überzeugt man sich davon, dass seine geheiligte Majestät der Zufall drei Viertel aller Geschäfte dieses armseligen Universums besorgt.“

So hat vor rund 250 Jahren der preußische König Friedrich II., bekannt auch als „Friedrich der Große“ und „Der Alte Fritz“, eine seiner Lebenserfahrungen formuliert. Vielleicht hat er diesen leicht verbittert wirkenden Satz in seiner bekannten abendlichen Tafelrunde gesagt, bei der auch der geistreiche Spötter Voltaire oft dabei gewesen ist. Und vielleicht ist dort als Entgegnung der folgende von Voltaire überlieferte Satz gefallen:

„Zufall ist ein Wort ohne Sinn, nichts kann ohne Ursache existieren.“

Wir könnten jetzt darüber nachsinnen, wer von den Beiden Recht hat. Und wahrscheinlich würden unsere Antworten konträr ausfallen. Aber vielleicht haben beide Recht, und der Zufall ist nur der Schnittpunkt von mindestens zwei voneinander unabhängig wirkenden Ursache-Folge-Ketten.

Sie sehen, liebe Freunde, meine Damen und Herren, zu welchen gleichermaßen philosophischen wie lebenspraktischen Gedanken die Klangzeichnungen von Klaus Fiess anregen können.

Vielleicht lassen auchSie sich auf solch ein grübelnd-nachsinnendes Betrachten seiner Arbeiten ein.

Oder finden Sie einfach nur Freude an den ungewöhnlichen Linien, Strukturen und Figuren von Klaus Fiess.

Man sollte aber in jedem Fall an seine Bilder nahe genug herantreten, um das grafisch Reizvolle und Skurrileder Strichgespinste erkennen und genießen zu können.

Ich möchte unser kurzes Vorprogramm mit etwas Tröstlichem schließen.

Es handelt sich wieder um eine Lebenserfahrung, aber um die einer älteren Dame:

“Man sieht die Vergangenheit besser, als sie war.

Man findet die Gegenwart schlimmer, als sie ist.

Man erhofft die Zukunft glücklicher, als sie sein wird.”

Formuliert hat dasso Madame Louise d’Epinay, einefranzösische Schriftstellerin und bekannte Salonière. Sie ist 1783 in Paris gestorben.

Ich wünsche unserer 32. Kunstausstellung viele interessierte und nachdenkliche Betrachter.

Damit endet das kurze Vorprogramm.

Zum Hauptprogramm des Abends übergebe ich an unseren Vorstandsvorsitzenden.