Rückblick: Foltern im Rechtsstaat – Lesung, Vortrag und Gespräch zum offiziellen CIA-Folterreport des US-Senats

Wolfgang Nešković, Bundesrichter a.D. und Bundestagsabgeordneter a.D. und Friedrich Wilhelm Junge, Schauspieler und Regisseur

09. April  2016, 18:00 Uhr, Gut Gödelitz, Alte Schäferei

© Wolfgang Neskovic

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Fotograf: Carsten Nüssler

Fotograf: Carsten Nüssler

Was dachten Sie, als Sie von den jüngsten Anschlägen in Brüssel hörten? Das gesamte islamistische, salafistische Pack einsammeln, einsperren, abschieben? Gefangene so lange foltern, bis sie aussagen, wo sich die anderen terrorbereiten Glaubenskämpfer aufhalten? Und wenn man sie dann erwischt: Todesstrafe. Dann haben wir Ruhe.

Das kann man ruhig mal einen Moment denken – in blindem Zorn, in Mitleid und Solidarität mit den unschuldigen Menschen, die bei den erneuten Anschlägen in den Tod gerissen wurden. Und wegen der eigenen Angst. Dann aber muss sich Bahn brechen, was uns als zivilisierte, gebildete Mitglieder eines demokratischen Rechtsstaates auszeichnet: Terror darf unter keinen Umständen mit Gegenterror bekämpft werden. Schaffen wir das nicht, hätten die Terroristen gesiegt.

Was immer geschehen mag, der Rechtsstaat, die Herrschaft des Rechts, unterscheidet uns von Diktaturen in aller Welt, unterscheidet uns von Folter und Blutrache des Mittelalters und hat uns die Zivilisation der Neuzeit ermöglicht.

Der Rechtsstaat ist eine große Errungenschaft, die wir hüten und bewahren müssen. Sind wir uns dessen bewusst? Erziehen wir die nachwachsenden Generationen in diesem Bewusstsein? Nein, wir tun das nicht oder nur sehr ungenügend. Kaum ein junger Mensch, studiert er nicht gerade Rechtswissenschaften, weiß, was die „Herrschaft des Rechts“ bedeutet und es steht zu befürchten, dass er den Rechtsstaat, wenn er gefährdet ist, nicht verteidigen wird.

Dies wird am Verhalten der US-Regierung nach dem Terroranschlag auf die Zwillingstürme in New York im Jahr 2001 auf eine erschreckende Weise sichtbar. Kurz nach dem Anschlag, noch unter dem Schock der furchtbaren Bilder, wurde der Patriot Act erlassen. Mit diesem Gesetz wurden grundlegende Bürgerrechte mit überwältigender Zustimmung sowohl des Kongresses als auch der Bevölkerung außer Kraft gesetzt.

Schlimmer noch: Was auch mit dem Patriot Act nicht mehr zur rechtfertigen war, wurde geheim gehalten: Massenweise, anlasslose Bespitzelung sowohl in den USA als auch weltweit. Der CIA folterte ungestraft Terroristen, oder wen sie dafür hielt – und fand dafür willige Partner außerhalb des Territoriums der USA. All dies unter Verletzung nationaler wie internationaler Rechtsnormen.

Dass dies alles ans Licht der Öffentlichkeit kam, ist vor allem dem Whistleblower Edward Snowden zu verdanken.

Was die USA dennoch von anderen Folterstaaten unterscheidet: Mit dem CIA-Folterreport, vom US-Senat 2014 zur Veröffentlichung freigegeben, sollten „Fehler der Vergangenheit korrigiert“ und „gewährleistet werden, dass gewaltsame Verhörpraktiken von unserer Regierung nie wieder angewandt werden.“ Nur: Trotz der in dem Bericht veröffentlichten grauenhaften Foltermethoden befürworteten 51 % der US-Amerikaner in Umfragen die Foltermethoden der CIA. Nur 29% lehnten die Misshandlungen ab.

Dass der Folterreport in Deutschland als Buch veröffentlich wurde, verdanken wir der Initiative von Wolfgang Nešković, einem Team von engagierten Mitstreitern und Übersetzern, sowie dem Westend-Verlag in Frankfurt.

Wir freuen uns, Herrn Nešković und Friedrich-Wilhelm Junge auf Gut Gödelitz begrüßen zu dürfen. Zur Lesung, dem Vortrag und dem anschließenden Gespräch laden wir Sie herzlich ein.

Presse: Sächsische Zeitung:  Wie die CIA nach dem 11. September Verdächtige misshandelte

 

14.09.2007, Berlin, Regierungsviertel, Wolfgang Neskovic, MdB, Die Linke

© Wolfgang Neskovic

Wolfgang-Dragi Willi Nešković geboren am 3. Juni 1948 in Lübeck ist ein parteiloser deutscher Politiker und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof. Er war Mitglied in der SPD, den Grünen und saß für die Linke im Bundestag. Sieben Jahre lang war er im Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Aktivitäten des Geheimdienstes kontrollieren sollte und im BND-Untersuchungsausschuss, der sich mit den Verwicklungen Deutschlands und des US-Geheimdienstes befasste. Nach seinem Austritt aus der Linksfraktion im Dezember 2012 war er bis 2013 der einzige fraktionslose Abgeordnete im 17. Deutschen Bundestag. 2015 übernahm er die Herausgeberschaft der deutschen Ausgabe des CIA-Folterberichts.

 

 

 

 

Fotograf: Carsten Nüssler

Fotograf: Carsten Nüssler

Friedrich-Wilhelm Junge wurde am 15. Juli 1938 in Schwerin geboren.
Nach dem Schauspielstudium erhielt er Engagements u.a. von 1966 bis 1985 am Staatsschauspiel Dresden, danach bis 1988 an der Volksbühne Berlin, später Gastspielverpflichtungen am Bayerischen Staatsschauspiel München, an der Sächsischen Staatsoper Dresden und Teatro alla Scala Mailand.
1988 gründete Friedrich-Wilhelm Junge das Dresdner Brettl – seit 1994 auf dem Theaterkahn – dessen künstlerischer Leiter er bis Anfang 2005 war.
Derzeit ist er in den Programmen und Stücken zu sehen: im Erich-Kästner-Programm “Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es” (1992), im Kurt-Tucholsky-Programm “Mancher lernts nie” (1997), im Ringelnatz-Programm “Überall ist Wunderland” (2001) und “Der Zauberlehrling oder Wir wollen sein wie Gott” (2013), “Altern ist nichts für Feiglinge” (2014) Seine jüngste Produktion ist die Uraufführung “Bauland” (2015).