„Auf der Suche nach Schönheit“ Arbeiten der Leipziger Malerin Tatjana Meier

Ausstellungseröffnung am 2. Dezember 2017

Film zur Ausstellungeeröffnung: Hier

Laudatio: Prof. Dr. Wendelin Szalai

© Tatjana Meier (Foto privat)

Liebe Mitglieder und liebe Freunde des Ost-West-Forum Gut Gödelitz, sehr geehrte Damen und Herren,

im Namen des Vorstandes unseres Bürgervereins begrüße ich Sie alle zu einer neuen Veranstaltung in unserer monatlichen Samstagabendreihe. Es ist die letzte in diesem Kalenderjahr, und wir beginnen sie mit einem Vorprogramm, mit der Eröffnung einer neuen Kunstausstellung. Unsere 42. Ausstellung  macht uns mit Arbeiten der Leipziger Malerin Tatjana Meier bekannt. Die Künstlerin ist aus diesem Anlass nach Gödelitz gekommen. Liebe Frau Meier, seien Sie in unserer Mitte ganz herzlich willkommen.

Unsere Stammbesucher kennen bereits den folgenden Ausspruch des bekannten Malers Caspar David Friedrich: „Der Maler soll nicht bloß malen, was er vor sich sieht, sondern auch was er in sich sieht. Sieht er aber nichts in sich, so unterlasse er auch zu malen, was er vor sich sieht.“

Fangen wir also mit der Frage an, was denn  Tatjana Meier beim Malen dieser Bilder wohl vor sich gesehen hat. Die Antwort dürfte einfach sein, denn die Künstlerin malt gegenständlich, nicht abstrakt. Wir können zum Beispiel Blumen und Pflanzen deutlich zu erkennen, Musikinstrumente und Masken ebenso. Die figürlichen Szenen wie Musizieren oder Tanzen sind klar ablesbar. Manche der figürlichen Bilder scheinen ganze Geschichten zu erzählen.

©„Klavier V“, 2012, 70 x 50, Öl auf Leinwand

Wenn wir dann fragen, was Tatjana Meier bei der Arbeit an diesen Bildern wahrscheinlich in sich gesehen hat, was diese Bilder also über ihre Schöpferin verraten, dann sind wir auf Vermutungen angewiesen. Wir können annehmen, dass Tatjana Meier Blumen und Pflanzen liebt, dass sie Musik mag, dass sie gern tanzt, dass sie reisefreudig und belesen ist, dass sie Interesse an Geschichten hat, dass Gefühle bei ihr eine große Rolle spielen.

Aber, genug mit Annahmen und Vermutungen. Wie kann man über einen Menschen mehr erfahren, wie ihn besser kennen lernen? Ganz gewiss über seine Biografie. Die besondere Aufmerksamkeit für das Biografische gehört ja zur Philosophie des  ost-west-forum Gut Gödelitz. Durch Kenntnis und Akzeptanz der Lebensgeschichte eines Menschen lernt man diesen besser kennen, sein Denken und Tun besser verstehen, ihn besser anerkennen. Schauen wir uns darum die Biografie von Tatjana Meier an und achten wir auch auf ihre autobiografischen Aussagen: Die Schöpferin dieser Bilder wird 1973 in der Stadt Gay in Russland geboren.

Ich habe mich bei Google schlau gemacht: Gay hat rund 40 000 Einwohner. Bis zur Gebietshauptstadt Orenburg sind es drei Autostunden, für russische Verhältnisse ein Katzensprung. Orenburg hat etwa die Größe von Leipzig oder Dresden. Orenburg liegt ungefähr 1300 Kilometer südöstlich von Moskau, am Südural, in der Nähe der kasachischen Grenze. Von 1990 bis 1995 ist Tatjana Koptewa zu einem Universitätsstudium in Orenburg.  Das schließt sie als Lehrerin für Deutsch und Englisch ab. 1996 übersiedelt sie nach Deutschland. Sie lebt zunächst einige Jahre ganz in der Nähe, in Niederstriegis und in Döbeln.

Von 1996 bis 1998 studiert sie an der TU Dresden auf Lehramt für Deutsch als Zweitsprache. Seit 1999 unterrichtet sie im sächsischen Schuldienst. Sie lebt und arbeitet in Leipzig. Schon in ihrer Schulzeit malt sie gern und nimmt Privatunterricht bei Malern. Während ihres Lehrerstudiums besucht sie an der Kunsthochschule Orenburg Malkurse. In Leipzig nimmt sie in der Volkshochschule an Kunstkursen teil. 2004 absolviert sie die Abendakademie der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst. Seit 2007 reist sie regelmäßig nach Italien und nimmt unter anderem in Rom an Workshops der Kunstakademie teil. Seit 2011 gehört sie dem Leipziger Künstlerverein „SagArt“ an. Hier organisiert und betreut sie mehrere schulorientierte Kunstprojekte. Seit Juni 2016 engagiert sie sich im Leipziger Verein „Brücke der Kulturen“ für eine bessere Integration von Migranten in unsere Gesellschaft.

Zum ersten Mal hat Tatjana Meier 2008 ihre Bilder in der Öffentlichkeit vorgestellt, in einer Ausstellung der Leipziger Galerie „Westart“. Arbeiten von ihr waren bisher auf über 30 Ausstellungen zu sehen, darunter in Berlin, Rom, Cremona, London, Pegau und mehrfach in Leipzig.

©”Calendula”, 2017, Öl auf Leinwand, 100 x 130 cm

Tatjana Meier hat gewissermaßen drei Heimaten, ihre Geburtsheimat Russland, ihre Wahlheimat Deutschland und ihre Traumheimat Italien.  Aus allen dreien vereint sie in ihrem Leben und in ihren Bildern Positives. Sie ist europäisch und interkulturell im besten Sinne.Sie spricht Russisch, Englisch Deutsch und Italienisch. In Zeiten von anwachsenden nationalen Egoismen und ausgrenzenden Leitkulturdebatten kann eine solche Haltung Mut machen. Auch aus diesem Grund passen Tatjana Meier und ihre Bilder gut zu unserem ost-west-forum.

Die Künstlerin ist auf der Suche nach Schönheit. Sie sagt: „Ich möchte gern das Schöne, das Intelligente, das schwer Vorstellbare festhalten.“ Die meisten von uns werden Goethes Bemerkung zustimmen, dass „Schönheit überall ein gar willkommener Gast ist“. Aber wie schaut denn dieser Gast aus? Was ist denn Schönheit?  Wahrscheinlich kann es dafür  keine zeitlose und für alle gültige Definition geben,  denn „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“.  Exakt so hat das schon vor ca. 2500 Jahren der griechische Historiker Thukydites formuliert. Folgerichtig sprach in unserer Zeit der berühmte Umberto Ecco davon, dass es  „tausend Spielformen des Schönen“ gibt.

Bei einem Besuch in ihrem Leipziger Atelier habe ich Tatjana Meier gefragt, was für sie, was in ihren Augen, das Schöne ist. Ihre gefühlsbetonte klare Antwort hieß: „Farben, Gedanken. Heldentaten, Kraft, Feuer, Liebe. Harmonie von verschiedenen Formen des Lebens auf diesem Planeten.“ Bei diesem ausführlichen Gespräch habe ich Tatjana Meier als einen weltoffenen, belesenen, nachdenklichen, fröhlichen, emotionalen, eloquenten Menschen erlebt. Ich denke, dass die folgende Ansicht des großen französischen Bildhauers Auguste Rodin (1840 – 1917) gut zu ihr passt:  „Malerei, Skulptur, Literatur, Musik stehen einander viel näher, als man im Allgemeinen glaubt. Sie drücken alle Gefühle der menschlichen Seele der Natur gegenüber aus.“

Die Malerin hat mir begeistert davon erzählt, wie sie bereits in Kindheit und Jugend durch Literatur stark geprägt worden ist und dass Bücher sie zum Malen angeregt haben. (Ihre Mutter, stellvertretende Schulleiterin,  war Lehrerin für Russisch und Weltliteratur.) „Unser Haus war immer offen für Schüler und Eltern. Wenn man sich traf, dann wurde viel Tee mit Konfitüre getrunken und dabei über Lermontov und Jessenin, Bulgakov und Aitmatov, aber auch über internationale Autoren diskutiert. Man hat Gedichte auswendig rezitiert,  über das Leben, Lieben und Leiden der literarischen Hauptfiguren  gesprochen. In der verschneiten russischen Steppe im Südural war Literatur für uns ein Segen. Wir konnten reisen ohne uns vom Fleck zu rühren.  Die Bücher haben mich gefesselt, und ich habe angefangen zu malen, um die Szenen, die ich mir beim Lesen vorgestellt habe, auf dem Papier wieder zu geben.“

Während ihres Studiums in Orenburg hat Tatjana Koptewa auch  im Haus der Dichter und Schriftsteller gearbeitet. „Hier habe ich geholfen, Veranstaltungen zwischen Dichtern, Malern, Musikern und Jugendlichen zu organisieren. Es waren sehr belebte Abende am Kamin mit Livemusik am Klavier und nicht enden wollenden Diskussionen über Philosophen. Hier habe ich für mich Kant und Nietsche entdeckt.“

Wir sehen: Tatjana Meier einen ganz individuellen und sehr weiten Begriff von Schönheit. Dass ihre literarischen Helden dazu gehören, erkennen wir auch an einigen figürlichen Bildern unserer Ausstellung. Diese gehören zu einer Bilderserie namens „Danko“. Bei Danko handelt es sich um eine Figur aus der märchenhaft-symbolischen Erzählung  „Die alte Isergil“. Diese Erzählung stammt von Maxim Gorki.  Auf einem der Bilder sehen wir die Geschichtenerzählerin Isergil. Als den ihren Geschichten lauschenden Jüngling hat Tatjana Meier einen ihrer Söhne gemalt.  (Sie hat zwei Töchter und einen Sohn) Zwei andere Bilder zeigen uns eine Menschengruppe in einer schwierigen, gefahrvollen Lage. Im Mittelpunkt  des dritten Bildes steht Danko, wie er mit erhobenem Herzen diese Menschen helfend und rettend anführt.

Was Tatjana Meier beim Malen dieser Bilder in sich gesehen hat, drückt sie so aus: „Danko ist eine Persönlichkeit, die mich sehr beeindruckt hat. Die Bereitschaft, das eigene Leben für andere zu geben, auch wenn man sehr wohl weiß, dass diese anderen es nicht schätzen werden, die Menschlichkeit, die über die eigenen Nöte hinausgeht, die Liebe, die ganz andere Dimensionen einnimmt, wenn man nicht an sich selbst, sondern an die anderen denkt, das ist für mich wie eine Fackel geworden.“

Zu Tatjana Meiers weitem Schönheitsbegriff gehört als innere Schönheit ein mitmenschliches und solidarisches Veralten. Dass sie selbst eine solche Haltung lebt, kann man an ihren schulorientierten Kunstprojekten zum Thema „Fairtrade“ erkennen: Sie erklärt diese Projekte so: „Die Schüler haben in verschiedenen Workshops viel über die Arbeit auf Plantagen in Lateinamerika und Asien gelernt. Diese neu gewonnen Kenntnisse haben sie in den Läden  von Eine Welt e. V. in Leipzig angewendet. Dort haben die Schüler die ausgewählten Waren und Gegenstände skizziert und diese später in meinem Atelier in verschiedenen Techniken wie Aquarell, Acryl und Öl in Bilder umgesetzt. Mit Unterstützung des Leipziger Kunstvereins ist daraus eine Bilderausstellung im Leipziger Rathaus geworden.“

Die Malerin Tatjana Meier ist ja hauptberuflich Lehrerin. Malen ist ihr liebstes Hobby. Aber vielleicht ist es anders herum auch richtig: Malen ist ihre Hauptarbeit und Unterrichten ihre liebstes Steckenpferd.  Kunst und Kinder jedenfalls, sagt sie, haben für sie Priorität, machen für sie den Sinn des Lebens aus. Zur Bildung von Kindern gehört auch deren Erziehung, im weiten Sinne also die Vermittlung von Werten. Mitmenschlichkeit und Solidarität sind wesentliche Bestandteile dieses zu vermittelnden Wertekanons.  Das Befördern von Mitmenschlichkeit und Solidarität ist ein Grundanliegen  unseres Bürgervereins.

Tatjana Meier möchte sowohl als Malerin wie auch als Lehrerin einen Sinn für das Schöne vermitteln, für äußere und innere Schönheit: Man soll Schönes sehen und nicht übersehen. Man soll Schönes genießen, also davor verweilen und es auf sich wirken lassen. Man soll Schönes schätzen, bewahren und schützen. Tatjana Meier bekennt sich zur Schönheit, und sie malt schöne Bilder. Ihre Bilder wollen nicht nur inhaltliche Aussagen treffen, sondern auch ästhetischen Genuss verschaffen. Ich weiß, dass viele Maler eine solche Haltung nicht teilen. Sie haben eine Scheu vor dem Schönen und Dekorativen.  Unsere Malerin formuliert selbstbewußt so: „Ich muss mit meinen Bildern glücklich sein. Ich muss mich selbst darin erkennen können.“

© „Tanz in der Nacht“, 2008, 60 x 80 cm, Öl auf Leinwand

Die literaturgeprägte, tiefsinnige, sozial engagierte und künstlerisch begabte Tatjana Meier malt Bilder, die im besten Sinne schön und dekorativ sind, niemals aber oberflächlich und schon gar nicht kitschig. Sie malt gern in Bilderserien, die durch Motiv, Thema und Malweise gekennzeichnet sind, zum Beispiel Blumen, Musik, Italien, Karneval. Am liebsten malt sie mit Ölfarben auf Leinwand. In dieser Ausstellung finden wir aber auch andere Maltechniken und andere Maluntergründe. Tatjana Meier malt gegenständlich, aber nicht naturalistisch. Ihre Bilder sind bewusst komponiert.  Sie verfremdet Formen und Farben und schafft so etwas Surreales. Wirklichkeit und Phantasie gehören in ihrer Malerei zusammen. Die Künstlerin benutzt eine breite Farbpalette. Kräftige Farben dominieren.  Die Farbflächen werden mit klaren Linien umgrenzt. Die figürlichen Arbeiten sind oft durch Literatur geprägt. Manchmal wirken sie mythisch, also einem Mythos verhaftet, und nicht selten haben sie eine mystische, also geheimnisvoll-rätselhafte Wirkung. Die Bilderserie „Danko“ ist in meinen Augen dafür ein Beispiel. Bei solchen Bildern ist der Deutungsspielraum für uns Betrachter besonders groß, ist unsere Phantasie besonders gefragt.

Tatjana Meier hat Mut zum Schönen und Freude am Schönen. Und mit ihren Bildern möchte sie diese Freude an die Betrachter der Bilder weitergeben. Lassen Sie mich ganz in diesem Sinne mit der Anregung eines bekannten und beliebten Malers, eines Malers des Schönen, schließen.  Ich zitiere Adrian Ludwig Richter (1803- 1884): „Wenn man den Leuten mit der Kunst Freude machen kann, so tue man es von Herzen, denn das ist doch der rechte Lohn der Kunst.“