Schulz, Torsten, Professor Dr.:Schriftsteller

Torsten Schulz, Berlin 2009, Foto: Volker Roloff

Torsten Schulz, Berlin 2009, Foto: Volker Roloff

DDR. Wie das klingt. Oder seltsamer noch: Deutsche Demokratische Republik. Fragt man Jugendliche nach diesen 40 Jahren, nach diesem Versuch Sozialismus, erntet man meistens Schulternzucken, vielleicht noch ein verlegendes Lächeln. Da gab es die Stasi, die Mauer, da gab es keine Bananen. Mehr fällt nur wenigen dazu ein. Der Geschichtsunterricht erzählt ganz offensichtlich nicht viel über diese DDR, genauer gesagt, viele Geschichtslehrer schweigen lieber oder drucksen herum, eh sie was Falsches sagen, eh sie von ihren eigenen Erinnerungen erzählen müssen. Das ist durchaus gefährlich: Alles vergeht irgendwann und wird Erinnerung, die aber kann man sich schönreden. Schön reden, das ist nicht das Ding von Torsten Schulz. Eher das genaue und subtile Beobachten. Und so schreibt er über Zustände, Gefühle und Ereignisse, die einst Revolutionen waren und von denen man der Nachkommenschaft erzählen muss. Und er macht das exzellent. Sein Schlüssel für seine Art Geschichtsaufarbeitung: Er beschwört keine Ostalgie, er pflegt kein DDR-Erinnerungsbuch, er ist kein Freund von Geschichtsklitterung. Seine Helden taugen nur bedingt zu Helden, sie sind aber zu Einsicht und Erkenntnis fähig. Das ist eine Qualität, die vieler seiner Kollegen, wenn sie über die 40 Jahre DDR schreiben, häufig vermissen lassen.

Die Kritik bescheinigt Torsten Schulz klare, raffinierte, dicht und klug gebaute Geschichten voller Suggestivkraft, doppelbödig und zutiefst menschlich. Seine offensichtliche Qualität: Der Berliner erfindet Figuren, die nicht alltäglich, aber authentisch sind, er beschreibt die Orte seiner Geschichte knapp, aber überaus plastisch, für jeden nachvollziehbar, authentischer und greifbarer als jedes Geschichtsbuch. Dadurch gelingt ihm das Kunststück, melancholische und sentimentale Geschichten zu entwerfen, ohne kitschig zu werden. Er schenkt uns Charaktere, die sich einbrennen, die man lange nicht mehr vergisst.

Torsten Schulz, geboren 1959 in Ostberlin, ist Professor für Praktische Dramaturgie an der Hochschule, an der er selbst Film- und Fernsehwissenschaften studiert hat, nämlich an der HFF, der Filmhochschule Babelsberg. In der Wendezeit gründete er die Wochenzeitung „Der Anzeiger“ und fungierte als Redakteur der DDR-Bürgerrechtszeitung „Die Andere“. Seit 1992 arbeitet Torsten Schulz als Autor und Regisseur. Er ist Drehbuchautor von international preisgekrönten Spielfilmen (u.a. Raus aus der Haut und Im Namen der Unschuld) und Regisseur von Dokumentarfilmen.

2004 erschien sein erster Roman „Boxhagener Platz“, dessen Hörspielfassung mehrfach preisgekrönt wurde. Wohl auch aus diesem Grund griff der bekannte Regisseur Matti Geschonneck nach dem Stoff und verfilmte die Tragikomödie. Seit März ist die Geschichte einer alten Frau im Ost-Berlin rund um das Jahr 1968, gesehen durch die Augen ihres Enkels, im Kino zu sehen. Die Kerle sind verrückt nach ihr – und sterben ihr doch unterm Kochlöffel weg. „Boxhagener Platz” erzählt mit leiser Komik vom Liebesleben einer Großmutter im berühmt berüchtigten Berlin-Friedrichshain. Was aber als Ostberliner Milieustudie anfängt, mit all dem burschikosen Personal, das dazu gehört – einbeinigen Trinkern und vorlauten Ladenbesitzern, kleingeistigen Schlägern und großherzigen Müttern, verzagten Malochern und wichtigtuerischen Wachtmeistern, den Damen und Herren von der Stasi – all das entwickelt sich bald zum Abgesang auf die Arbeiterklasse. Vor allem aber ist das Romandebüt von Torsten Schulz eine Liebeserklärung an Berlin: Studentenunruhen und sexuelle Revolution im Westen, das Entsetzen über den sowjetischen Einmarsch in die CSSR im Osten. All das schillernd, doppelbödig und alles andere als langweilig erzählt – ein poetisches Glanzstück allemal. Dieser Liebesbeweis strotzt vor Tempo, Schicksal, Witz und Kraft. Man muss die Berliner Luft nicht lieben, ganz gewiss nicht, die Geschichten aber, die Torsten Schulz uns schenkt, die nimmt man mit in seinen eigenen Alltag. Zum Überprüfen, zum sich in Frage stellen.

DDR. Wie das klingt. Deutsche Demokratische Republik. Was verbirgt sich dahinter? Am Sonnabend, den 26. Juni 2010 wird der Schriftsteller Torsten Schulz uns einen spannenden Geschichtsunterricht liefern.

 

Veranstaltung mit Professor Dr. Torsten Schulz:

Lesung und Gespräch mit Professor Torsten Schulz