Vortrag und Diskussion mit: Jürgen Leinemann: Höhenrausch – Wer regiert uns eigentlich?

Seine zentrale These lautet: Politiker in unserem Lande leben in einer eigenen Welt, die mit der Realität jener, für die sie Politik machen, wenig zu tun hat. Bestimmendes Charakteristikum dieser wirklichkeitsleeren Welt ist die Sucht – die Sucht nach Macht, Einfluss, öffentlicher Anerkennung und nach Erfolg. Nicht Visionen für eine bessere, gerechtere Welt, sondern die Festigung der eigenen Macht sind letztes Ziel ihrer hektischen Betriebsamkeit. Der Droge sind nicht nur Kanzler, Parteichefs, Minister und Oppositionsführer verfallen, sondern die meisten Mitglieder der politischen Klasse – vom Fraktionsmitarbeiter über den Lobbyisten bis hin zum politischen Korrespondenten.

Politiker von heute

Noch etwas beobachtet Leinemann: Die Politiker sind von Generation zu Generation schicksalsärmer, farbloser und austauschbarer geworden. Waren die Alten noch zutiefst von den Schrecken des Krieges geprägt, hatten ein „inneres Geländer“, das ihnen Halt und Richtung gab, erweisen sich die Jüngeren anfälliger für die Privilegien und die hektische Selbstgenügsamkeit des politischen Betriebes. Das Fernsehen verstärkt diese Tendenz, es stellt eine Ersatzwirklichkeit bereit, in der die Polit-Profis ihr Ego aufblähen und ihre faktische Ohnmacht verdrängen können.

Jürgen Leinemann schreibt nicht aus der Sicht eines moralisch Vollkommenen. Er selbst war süchtig nach Arbeit, Erfolg und Anerkennung – und nach Alkohol. Erst nach seinem physischen und psychischen Zusammenbruch konnte er zum Mahnenden werden, konnte dieses Buch schreiben – ohne Häme, eher mit der bedauernden Frage: Mussten sich Menschen so deformieren lassen?


 

zur Person:

Jürgen Leinemann wurde 1937 in Celle (Niedersachsen) geboren. Er studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie.

Seit 1971 arbeitet er für den Spiegel, er war Büroleiter in Washington und Bonn, leitete von 1990 bis 2001 in Berlin das Ressort Deutsche Politik. Seit 2002 ist er Spiegel-Autor im Berliner Büro.

Er ist Träger des Egon-Erwin-Kisch-Preises.