Döbelner Anzeiger – Eine Geschichte über das Verdrängen

26. März 2007
 


Alexandra Senfft ist die Enkelin von Hanns Elard Ludin, Hitlers Gesandten in der Slowakei, mitverantwortlich für die Deportation Tausender Juden. Am 9. Dezember 1947 wurde Ludin in Bratislava als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet. Er war ein glühender Nationalsozialist. Er ist der Ausgangspunkt für das Buch „Schweigen tut weh“, das seine Enkelin 60 Jahre später schrieb. An Sonnabend las die Autorin auf Gut Gödelitz.

Bereits in der Weimarer Republik hatte Ludin als Leutnant der Reichswehr für Hitler konspiriert. Nach der Machtergreifung diente er dem Dritten Reich als SA-Führer. 1941 schickte ihn Hitler als Gesandten in den „Schutzstaat“ Slowakei. Der „Bevollmächtigte Minister des Großdeutschen Reiches“ sollte dort die Interessen Berlins durchsetzen und vor allem an der „Endlösung“ mitwirken.

Das seiner Gesandtschaft unterstellte „Judenreferat“ organisierte die Deportationen der Juden. Ludin stellte sich nach dem Krieg und wurde von den Amerikanern an die Tschechoslowakei ausgeliefert.

Alexandra Senfft hat versucht, die Geschichte ihrer Familie niederzuschreiben. Anlass dafür ist der Tod ihrer Mutter, der ältesten Tochter von Hanns Ludin. Bei der Hinrichtung des Vaters gerade vierzehnjährig, hat sie erfahren müssen, wie eine heile Welt um sie herum zerbrach, wie man in der Familie mit einer Lebenslüge weiterlebte und zum Teil bis heute weiterlebt. Denn: Kritische Auseinandersetzungen werden in der Familie von vornherein abgeblockt. Konflikte verarbeitet die Mutter auf ihre Weise: Sie leidet an Depressionen und verfällt dem Alkohol, und auch ihre Familie zerbricht. Dahinter verbirgt sich in Wirklichkeit ein Schuldgefühl und ein unverarbeitetes Trauma.

In ihrem Buch rekonstruiert Alexandra Senfft vor allem die Leidensgeschichte ihrer Mutter, deren Ausgangspunkt das in der Bundesrepublik übliche Verschweigen und Verdrängen war.

Sie will zugleich zeigen, wie ungeklärte Konflikte von einer Generation auf die andere übertragen werden. Das Buch ist ein Stück Aufarbeitung der Geschichte des Dritten Reiches aus der Sicht der Täterkinder und -enkel.

Von Bärbel Schumann

Alexandra Senfft: Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte. Claassen-Verlag; 19,95 €, ISBN: 3546004000.