Lesung und Gespräch mit Alexandra Senfft: “Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte”

Spätestens mit den Auschwitzprozessen Anfang der 1960er Jahre begann die öffentliche Aufarbeitung von Naziverbrechen und seither ist dieser Teil deutscher Geschichte akademisch-politisch weitgehend und sehr fundiert im öffentlichen Bewusstsein verankert. In den Familien hingegen dominiert nach wie vor das Verschweigen und Verdrängen.

Als mit Niklas Frank 1988 erstmals der Sohn eines Nazi-Verbrechers öffentlich mit seinem Vater abrechnete, kam dies einer Sensation gleich. Mehr noch – sein Buch “Der Vater. Eine Abrechnung”, aus dem Niklas Frank im Januar 2007 vor dem ost-west-forum auf Gut Gödelitz las, geriet damals wegen seines Inhalts und seiner Sprache zum Skandal.

Mit dem Buch “Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte” gerät wieder eine Familie mit einer bislang verschwiegenen Vergangenheit ins Rampenlicht der Öffentlichkeit. Hier geht es um  Hanns Ludin, der als überzeugter Nationalsozialist und Hitlers Gesandter in der Slowakei diplomatisch für die Judendeportationen verantwortlich war und 1947 in Bratislava als Kriegsverbrecher hingerichtet wurde.

Die Witwe erzählt ihren sechs Kindern, der geliebte Vater sei im Krieg gefallen. Nur der ältesten Tochter Erika berichtete sie damals von der Exekution des Vaters – allerdings ohne eine Schuld einzuräumen. Jede kritische Auseinandersetzung wurde von ihr abgeblockt.

Alexandra Senfft, die Tochter Erikas und Enkelin von Hanns Ludin, hat ein Buch darüber geschrieben. Einfühlsam, mutig und ehrlich beschreibt sie, wie die Verdrängung der Verbrechen des Großvaters die Familie prägte. Sie erzählt das Leben ihrer Mutter, einer außergewöhnlichen Frau aus den links-intellektuellen Gesellschaftskreisen der Nachkriegszeit, die vordergründig an Depression und Alkoholsucht zerbricht, in Wahrheit aber an Schuldgefühlen und einem unverarbeiteten Trauma. Und sie berichtet über ihr eigenes Leben, über die schwierige Liebe zu ihrer Mutter, die sie erst nach deren qualvollen Tod wirklich verstanden hat.

Dieses “beeindruckende Buch” (Titel Thesen Temperamente), das die Medien bereits als “gewichtigen Beitrag zur Erforschung der Psychologie von Täterkindern” (Deutschlandradio) handeln, hat Alexandra Senfft erstmals auf Gut Gödelitz vorgestellt.

Zur Person:

senfft_1.jpgGeboren 1961 in Hamburg. Schulbesuch in Hamburg und Surrey/England, wo sie 1980 das englische Abitur besteht.
1982 – 87: Studium der Islamwissenschaft, Deutsche Literaturgeschichte und Englische Philologie an der Universität Hamburg.

Alexandra Senffts Berufleben beginnt 1988 als Nahostreferentin in der Grünen-Fraktion im Bundestag, anschließend arbeitete sie als Beobachterin des Hilfswerkes der UNO für Palästina-Flüchtlinge in der Westbank und wird bis 1991 UNO-Pressesprecherin im Gazastreifen.

In den folgenden Jahren arbeitete sie als Reporterin und Redakteurin in verschiedenen TV-Sendern und schreibt seither als Freie Journalistin und Autorin für namhafte Zeitungen wie DIE ZEIT, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Tages-Anzeiger (Zürich) und die taz. Darüber hinaus arbeitete sie als Gutachterin für die Heinrich Böll-Stiftung und in verschiedenen Programmen der Körber-Stiftung.

Sie war bis Oktober 2006 sieben Jahre Vorstandsmitglied des Deutsch-israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten e.V. DIAK.

Alexandra Senfft ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern auf einem Bauernhof in der Nähe von Hamburg.