Prof. Dr. Christian Pfeiffer: „Das Problem der Medienverwahrlosung ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Nachholebedarf hat besonders auch der Osten Deutschlands.“
Prof. Christian Pfeiffer weiß, wie Medien ticken. Ohne Mühe gelingt es ihm, seine Thesen, die aus der Empirie herrühren, so zu verpacken, dass sie ins Eins-dreißig-Format der Tagesschau passen. „Zu viel Medienkonsum macht dick, dumm, krank und auch aggressiv“ ist so ein Fazit, das der Wissenschaftler im Februar dieses Jahres öffentlich zog, als eine Studie zum Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen vorgestellt wurde. Am Sonnabend kam der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen – es hat die Daten erhoben – auf Basis dieses Zahlenmaterials mit den Gästen des ost-west-forums über Medienverwahrlosung als Ursache von Schulversagen und Jugendgewalt ins Gespräch. Eine 150-minütige Debatte, die jeden betraf und in der es Szenenapplaus auch für Beiträge aus dem Publikum gab.
Etwa für die Lehrerin aus dem Saarland, die längst einen Zusammenhang zwischen Leistungsabfall und Medienkonsum vermutet habe, jüngst gestützt auf eine selbst gestartete Umfrage unter ihren Schülern zum Medienkonsum sowie der Gesprächsdauer mit den Eltern. Die Ergebnisse: erschreckend. Eine Journalistin, die mit ihrem Sohn erschienen war, der sehr gern und lange an Computerspielen gesessen habe, berichtete von der teilweisen Machtlosigkeit. „Es ist schwer, diese Situation auszuhalten. Aber die Schlacht haben wir gewonnen.“ Wohl auch darum, weil sie und ihr Mann immer versucht haben, der virtuellen Welt etwas Reales entgegenzusetzen. Durch Vorlesen bis in die Pubertät, den gemeinsam Besuch von Konzerten, das Musizieren.
An seinen Zahlen machte Prof. Christian Pfeiffer deutlich, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Bildungsniveau der Eltern, der Art der Freizeitbeschäftigung, der Zeit, die Kinder pro Tag Fernseher, Spielkonsole und Computer widmen, des Inhalts dieser Medien und der Schulleistung des Kindes, das all diesen Einflüssen ausgesetzt ist. Dieser Zusammenhang sei jedoch nicht monokausal, sondern stelle – wie die Wechselbeziehung zwischen Rauchen und Krebserkrankung – ein höheres Risiko dar. Und doch: Kinder künstlich an solche Geräte festzunageln, grenze an Körperverletzung, so Christian Pfeiffer, der vor„Kindertagesstätten ans Netz“ warnt. Dringender sei eine Erzieherin mit Gitarre, die mit Musik und Bewegung die Kinder in ihrer sozialen und geistigen Entwicklung fördert. Nichtsdestotrotz ist es zugleich wichtig, Kinder Medienkompetenz zu lehren und damit die hilfreichen Seiten der neuen Medien nahezubringen. Der Professor befürwortet Ganztagsschulen und lobte in dem Zusammenhang den Freistaat Sachsen. Er nimmt die Politik in die Pflicht, den Jugendmedienschutz effektiver zu gestalten und fordert Aufklärung zu den Folgen dieser Medienverwahrlosung. „Das Problem“, so Pfeiffer, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Und einen großen Nachholebedarf sieht der Wissenschaftler vor allem im Osten Deutschlands, der der Empirie zufolge ein „echtes Medienproblem“ habe.
Antje Krieger