Döbelner Anzeiger – Kriminologe fordert TV-freie Kinderzimmer

17. März 2008

Christian Pfeiffer sieht die Medienverwahrlosung als Ursache für Schulversagen und Jugendkriminalität.


Die Bilanz ist alarmierend. Jeder vierte Sechsjährige hat einen eigenen Fernseher in seinem Zimmer. Im Osten sind es sogar 55 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen. „Das bleibt nicht folgenlos“, sagt Kriminologe Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, am Sonnabend im Ost-West-Forum vor über 200 Zuhörern.

Zum einen erhöht sich durch die Verfügbarkeit die Fernsehdauer drastisch. Bis zu dreieinhalb Stunden gucken einige Kinder werktags in die Röhre. Zum anderen haben die Kinder Zugriff auf Sendungen, die von Experten des Jugendschutzes als jugendgefährdend eingestuft werden.

Hinzu kommt, dass zwei Drittel der Jungen regelmäßig Computerspiele nutzt, die für unter 18-Jährige verboten sind. Bei den Mädchen sind es deutlich weniger. „Fasst man diese Aspekte zusammen, kann man bei einem Fünftel der männlichen Jugendlichen sagen, dass sie in den Zustand der Medienverwahrlosung geraten sind“, kommentiert Pfeiffer.

Auffallend ist, dass die Ausstattung der Kinderzimmer mit Ferndeher an das Bildungsniveau der Eltern gekoppelt ist. Das heißt, in Elternhäusern mit Hauptschulabschluss waren deutlich mehr Kinderzimmer gerätetechnisch ausgestattet als in denen mit höherem Bildungsniveau.

Die Folgen des hohen Medienkonsums sind komplex. „Wer mehrere Stunden vor dem Fernseher oder dem PC verbringt, versäumt das Leben“, sagt der Kriminologe. „Eltern, die ihren Kindern einen Fernseher ins Zimmer stellen, klauen ihren Kindern Zeit.“ Soziale Kompetenz könnten die Kinder nicht entwickeln.

Außerdem wirkt sich exzessiver Fernsehkonsum auf die Lernprozesse aus. Studien haben ergeben, dass Kinder, die nach der Schule erstmal vor dem Fernseher „entspannen“, für die anschließenden Hausaufgaben nicht mehr so aufnahmefähig sind. Neurobiologen erklären es so: Was die Kinder an den Vormittagen in der Schule lernen, landet zunächst im Kurzzeitgedächtnis. Es dauert mindestens zwölf Stunden, um das Wissen ins Langzeitgedächtnis zu überführen. Schockierende Filmszenen verdrängen die bisherigen Lerninhalte.

 

Jungen lernen schlechter


Die Folgen des Medienkonsums lassen sich in Schulstatistiken ablesen. Deutlich wird, dass die Leistungen der Jungen immer schlechter werden. Neuere Befunde sprechen dafür, dass sich bei einer kleinen Risikogruppe von fünf bis zehn Prozent der Jungen gewaltgeladene Filme auf die eigene Gewaltbereitschaft auswirken. Wenn emotionale Vernachlässigung hinzukommt, sind diese Jugendlichen besonders gefährdet.

„Wir müssen es schaffen, den Kindern Lust am Leben zu vermitteln, durch Bewegung und Musizieren“, sagt Pfeiffer. Die Ganztagsschule hält er für einen richtigen Schritt. Ebenso den kostenlosen Instrumentalunterricht an Grundschulen.

Von Dagmar Doms-Berger

Zur Person

Christian Pfeiffer wurde 1944 in Frankfurt/Oder geboren. Er studierte Rechtswissenschaften, Sozialwissenschaften und Kriminologie.

Pfeiffer war Gründer und 1. Vorsitzender des Vereins „Brücke“ in München, der einen Modellversuch zur Betreuung straffälliger Jugendlicher durchführte.

Seit 1985 arbeitete er am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, parallel dazu seit 1987 als Universitätsprofessor in Hannover.

2000 bis März 2003 war er niedersächsischer Justizminister.