Veranstaltung am 25. Oktober 2008
Über Aufgaben, Erfolge und Probleme der Kulturförderung in Sachsen unter besonderer Beachtung des ländlichen Raumes. Vortrag und Diskussion mit der sächsischen Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Dr. Eva-Maria Stange.
„Sächsische Kulturausgaben sind Bundesspitze“ lautet das Ergebnis eines aktuellen Ländervergleichs. Und Sachsen verfügt als erstes Bundesland über ein unbefristetes „Kulturraumgesetz“. In diesem wird erstmalig Kulturförderung als kommunale Pflichtaufgabe mit Gesetzesrang festgeschrieben. Welchen Nutzen hat eine solch intensive Kulturförderung? Welche Gewinne, welche Arten von Gewinn, kann man mit Kultur machen? Und was haben wir Bürgerinnen und Bürger davon?
Nachfolgend finden Sie die Rede der sächsischen Kulturministerin Eva-Maria Stange:
Erfolge und Probleme der Kunst- und Kulturförderung in Sachsen
Grundsätzliches vorab:
• Kulturbegriff keine engen Grenzen setzen: „Kultur ist das was übrig bleibt, wenn wir alles Gelernte vergessen haben.“ – Kultur ist das „was die Menschen aus sich und ihrer Welt machen“ – Kulturpolitik ist somit Gesellschaftspolitik und steht damit nicht allein in der Verantwortung eines zuständigen Ressorts
• Die übergeordnete Aufgabe von Kulturpolitik (als Gesellschaftspolitik) ist es, die geistige Sinnbildung zu ermöglichen und zu fördern, die für die Zukunftsfähigkeit einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Kultur und kulturelle Bildung sind wichtige Bestandteile eines vorsorgenden Sozialstaates, der die soziale Integration aller Menschen in die Gesellschaft als übergeordnete Aufgabe aller Politikfelder betrachtet, der Chancen für ein selbst bestimmtes Leben, für Teilhabe und sozialen Aufstieg ermöglicht.
• Kulturpolitik muss so angelegt sein, dass die sinnverbürgenden und –stiftenden Fundamentalprinzipien unserer Gesellschaft nicht nur bewahrt, sondern immer wieder neu zur Geltung gebracht und weiter entwickelt werden. Dabei dürfen wir nicht vergessen: Alle Ansätze von Kunst und Kultur tragen nur dann, wenn es gelingt, alle Generationen und sozialen Milieus zu erreichen:
o Eine gute Bildung für alle eröffnet dabei den Zugang zu unserer Kultur und eine
o kulturelle Vielfalt ermöglicht einen Zugang mit unterschiedlichen Interessen und Neigungen.
Beispiele für die Verantwortung verschiedener Ressorts:
• Im Kultus- und im Sozialministerium werden die grundlegenden Weichen gestellt für die Möglichkeit der gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Teilhabe aller: in unseren Kindertagesstätten, den Schulen, den Jugendeinrichtungen. Hartz IV mit 1 Euro für Kultur schneidet Menschen die Möglichkeit zur Teilhabe ab!
• Im Finanzministerium wird mit entschieden, ob und wie Einrichtungen der Bildung und Kultur gebaut, erhalten und gefördert werden.
• Das Ministerium für Umwelt und Landwirtschaft bestimmt mit, wie wir mit der Natur umgehen.
• Das Innenministerium ist für den Schutz unseres kulturellen Erbes –den Denkmalschutz verantwortlich
• Das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit entscheidet mit über Wirtschaftskultur in unserem Land.
Und wenn Kulturpolitik zugleich auch Gesellschaftspolitik ist, wenn sie die klassischen Ressortgrenzen sprengt, welche Aufgabe und welches Selbstverständnis hat dann ein Ministerium für Kunst?
Der Freistaat Sachsen lebt in den Köpfen und Herzen der meisten Menschen auch als Land der Kultur. Sie identifizieren sich mit den kulturellen Leistungen dieses Landes und seiner Institutionen. Das Kulturland Sachsen trägt ganz wesentlich dazu bei, dass die Menschen dieses Land nicht als eine politische Planungsregion, sondern als ihre Heimat empfinden.
Dies ist – auch in Anbetracht der vielen, scheinbar grenzenlosen, globalen Wandlungsprozesse – ein nicht zu unterschätzender Wert an sich. Deshalb ist es auch die Aufgabe von Kultur und zeitgemäßer Kulturpolitik, sich immer wieder auch der Pflege der kulturellen Traditionen, des Erbes zu widmen. Kulturpflege ist Aufgabe und Prinzip.
Doch beschränkt sich Kulturpolitik allein auf die Pflege traditioneller Kulturleistungen oder gar auf „Leuchtturmpolitik“ in urbanen Zentren, so entzieht sie denjenigen, die Kultur machen und den Bürgerinnen und Bürgern „den Boden unter den Füßen“. Denn das Alte braucht das Neue, um Bestand zu haben, und das Neue braucht das Alte, um entstehen zu können. Oder, wie es der Maler Thomas Niederreuther gesagt hat: „Wenn es keine lebende Kunst mehr gibt, hat die alte ihren Sinn verloren.“
Ich setze mich dafür ein, dass es im Freistaat Sachsen gelingen möge, auf dem Fundament starker selbstgewisser kultureller Traditionen Neues herauszufordern und entstehen zu lassen. Das Kunstministerium hat, muss Anwalt der freien Kunst sein, muss Kunst ermöglichen und befördern um Kultur leben zu lassen. Die Politik setzt einen Rahmen, gibt Orientierung, schafft Voraussetzungen und hat die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Kunst zu befördern und zu verteidigen! Kunst und Wissenschaft haben insofern viel gemein und sind zurecht in einem Ministerium vereint.
Natürlich gehört zu diesem Rahmen auch Geld. Der Staat, aber auch die Kommunen – die öffentlichen Geldgeber – stehen somit zweifelsfrei im Spannungsfeld zwischen dem gerade Gesagten auf der einen Seite und der effektiven, zweckentsprechenden Verwendung von öffentlichen Steuergeldern andererseits.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte auf den besonderen Aspekt des Themas der heutigen Veranstaltung eingehen: „Mit Kultur Gewinne machen?!“
(Beispiel: Umwegerentabilitätsstudie der Semperoper; Gewinn: 1:4)
Der schleichende Prozess der Ökonomisierung fast aller Lebensbereiche hat die Kulturschaffenden und die Kulturinstitutionen längst erreicht, die Finanzkrise von Staat und Kommunen zwingt alle, ihre Ressourcen gut bedacht einzusetzen. Die Dinge gut zu bedenken ist durchaus nützlich und ebenso notwendig. Kulturbetriebe, unabhängig von der Form ihrer Trägerschaft, müssen wirtschaftlich arbeiten. Das Berufsbild eines Museumsdirektors, eines Intendanten oder der Leiterin einer Kultureinrichtung hat sich in den letzten Jahren verändert.
(Theater können in der Regel max. 12% eigene Einnahmen generieren; ohne Zuschüsse geht es nicht)
Die zurückgehenden bzw. immer begrenzten öffentlichen Zuwendungen auf der einen Seite, die Kostensteigerungen (z. B. durch Tariferhöhungen; Betriebskosten) andererseits zwingen zur Sparsamkeit, zur Steigerung der Einnahmen und zur Einwerbung von Drittmitteln. Das ist prinzipiell nichts Negatives, im Gegenteil. Viele Leiterinnen und Leiter von Kultureinrichtungen schaffen das in bemerkenswerter Art und Weise; sie akzeptieren diesen Teil ihrer „Profession“. Der Kunst dabei ihren notwendigen freien Lauf zu lassen, das ist dabei das „Kunststück“ der Gegenwart.
Und auch wenn es Ökonomen (und nicht nur diese) nicht immer so sehen wollen:
Kunst ist immer zuerst Selbstzweck. Daran muss immer wieder neu erinnert und dafür muss immer wieder neu gestritten werden. Genauso, wie immer wieder neu ausgehandelt werden muss, welche Erwartungen und Ansprüche wir an die Künstler und Kulturschaffenden stellen, die staatliche Mittel erhalten.
Dabei ist das Verhältnis zwischen Kulturschaffenden und Politik vielleicht im günstigsten Fall ein Verhältnis ständiger gegenseitiger Überforderung. Das ist schwierig, doch darin stecken auch Dynamik, Kraft und Widerstand, also alles Voraussetzungen, die ein produktives Klima gedeihen lassen können.
Der Prozess der Ökonomisierung unserer Gesellschaft hat längst weiten Raum gegriffen: Kunst wird zum Event, zum Event, das seine Legitimation vor allem anderen aus einer massen(medien)haften Wahrnehmung ableitet. Projekte mit kurzen Laufzeiten müssen sich immer wieder beweisen.
Um nicht missverstanden zu werden: Das ist nichts Schlechtes an sich, wenn Kunst ein breites Publikum findet, im Gegenteil. Doch die Faszination von Einschaltquoten und Besucherzahlen (quantitative Kriterien) wirkt dann fehlleitend, wenn darüber die Qualität der Inhalte gleichgültig wird. Denn für jedes Theater, für jedes Museum, für jede Bibliothek, für jeden Träger von Soziokultur gehören künstlerischer Anspruch und Zuspruch zusammen.
Kultur und Kulturpolitik dürfen um ihrer Qualität und ihrer selbst Willen und wegen ihrer (Aus-) Wirkungen auf alle gesellschaftlichen Bereiche nicht zur bloßen Eventkultur, ausgerichtet allein an Kulturmarketing und Kundenorientierung, geschrumpft werden. Das heißt: Kulturförderung muss auch Räume zum künstlerischen Experiment, zur Entwicklung, zum sich und die Dinge in Frage stellen, offen halten. (Bsp. CynetArt – computergestützte, zeitgemäße Kunst)
Aus dem Kulturfinanzbericht 2008, der kürzlich von den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder vorgestellt und erstmalig in dieser Form durchgeführt wurde geht hervor, dass Sachsen im Ländervergleich die höchsten Ausgaben für Kultur pro Einwohner hat.
Kultur umfasst in dieser Statistik: Theater und Musik, Bibliotheken, Museen, Denkmalschutz und Denkmalpflege, sonstige Kulturpflege, Verwaltung für kulturelle Einrichtungen, kulturelle Angelegenheiten im Ausland, Kunsthochschulen. Kulturnahe Bereiche sind: Volkshochschulen und sonstige Weitebildung, Kirchliche Angelegenheiten, Rundfunkanstalten und Fernsehen.
Die öffentlichen Kulturausgaben betrugen 2005 in Sachsen 665,5 Mio. €. Das sind 155,4 € je Einwohner (nächster Vergleichswert Bremen 147,1 €). Dieser Wert ist Ausdruck für die mit Abstand höchste Gewichtung der Kultur in den Ländern. Dies spiegelt sich auch (und wird noch deutlicher) im Anteil am BIP (0,78%, nächster Vergleichswert Berlin 0,63 %) und am Anteil an den Gesamthaushalten (3,71%, nächster Vergleichswert Hamburg 2,66 %) wider, wo ebenfalls die mit Abstand größten Werte für Sachsen ausgewiesen werden. Im Vergleich mit Baden-Württemberg (83,7 €) wird in Sachsen 1,86 mal mehr pro Einwohner für Kultur ausgegeben, der Anteil an den Gesamthaushalten verhält sich ähnlich (1,78 mal höher in Sachsen). Eine deutliche Abweichungen besteht beim Anteil am BIP (2,8 mal höher in Sachsen, Ausdruck der geringeren Wirtschaftskraft Sachsens).
Interessant ist die unterschiedliche Entwicklung im Landeshaushalt und in den kommunalen Haushalten in Sachsen in diesem Zeitraum (preisbereinigte Angaben jeweils in Klammern).
Land: 1995 bis 2005 + 15 % (+8%); Kommunen: 1995 bis 2005 + 9% (+2%)
Der Einfluss der Landesausgaben auf die Entwicklung ist in Sachsen höher als in anderen Ländern, da in Sachsen eine geringe „Kommunalisierungsquote“ der Kulturausgaben zu verzeichnen ist (ca. 45 %). Nur im Saarland (28%) und Thüringen (44 %) sind noch Werte unter 50 % zu verzeichnen.
Die Kulturausgaben pro Einwohner steigen tendenziell bei den Gemeinden mit der Einwohnerzahl. Je größer eine Stadt ist, umso umfangreicher (und teurer) wird das Kulturangebot. Hier spiegelt sich auch klar die Umlandfunktion der großen Städte wider.
Bei den Städten über 500.000 Einwohner liegen Leipzig (182,4 € pro Einwohner) und Dresden (120,1 €) in der bundesweiten Rangliste auf Platz 2 und 5. Für Dresden ist dies bemerkenswert, weil in der Statistik für Städte die Landeseinrichtungen in Dresden unberücksichtigt bleiben.
Bei den Städten unter 100.000 Einwohner liegen die sächsischen Kommunen (trotz des ja hohen Gesamtniveaus in Sachsen) tendenziell an mittlerer bis hinterer Position im Ranking. Alle diese Kommunen waren Mitglieder in einem ländlichen Kulturraum, die solidarische Mitfinanzierung der umliegenden Landkreise entlastete diese Städte.
Aus der Gesamtstatistik für die Gemeinden wird auch eine Schwerpunktverschiebung mit der Größe der Gemeinde deutlich. Bei Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohner liegt dieser bei der Finanzierung von Theatern und Musik; bei kleineren Gemeinden bei den Bibliotheken. Bei Gemeinden mit weniger als 3.000 Einwohnern ist der Schwerpunkt der Kulturausgaben bei der Kulturverwaltung.
Das Kulturraumgesetz als wichtiges Element im sächsischen System zur Förderung von Kunst und Kultur
Die sächsischen Kulturtraditionen umfassen gleichermaßen die so genannte Hochkultur wie die vielfältigen Formen der Volks- und Alltagskultur. Kunstsinnige Landesherren haben insbesondere im 18. Jahrhundert das kulturelle Klima Sachsens entscheidend geprägt und dem Land damit zu europaweitem Ansehen verholfen. Ein ebenso kunstliebendes prosperierendes Bürgertum setzte nicht minder seinen Stolz da hinein, die Kultur zu fördern und eiferte als Mäzen der Künste dem Hofe in Dresden nach. Auf diesen Grundlagen entwickelte sich hierzulande die unvergleichlich dichte Theater- und Orchesterlandschaft. Dies ist aber auch der Boden für eine vielgestaltige Breitenkultur. So bestehen neben der mittlerweile 460-jährigen Staatskalpelle oder dem Gewandhausorchester zu Leipzig, dem ältesten bürgerlichen Konzertorchester, über 1.000 Kantoreien und Kurrenten der Evangelischen Landeskirche. Diese kulturelle Basis würde ohne Impulse aus der „Spitzen- oder Hochkultur“ verkümmern. Deshalb sehe ich die gemeinsame Verantwortung von Land und Kommunen darin, ihre Kulturförderung dafür einzusetzen, dass beide kulturellen Bereiche auch weiterhin nebeneinander gedeihen können und sich gegenseitig befruchten.
In den Jahren der deutschen Teilung waren Kunst und Kultur – trotz der unterschiedlichen Entwicklung der beiden deutschen Staaten – eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation. Ebenso konstatierte es der Einigungsvertrag in Art. 35 und darauf basierte in den neuen Bundesländern die übergangsweise bis 1994 gewährte Bundesförderung für einzelne Maßnahmen und Einrichtungen, um deren kulturelle Infrastruktur zu fördern und die Auswirkungen der Teilung Deutschlands auszugleichen.
Als besonders von der Kultur geprägtes Gemeinwesen und mit der weltweit dichtesten Theater- und Orchesterlandschaft sah sich der Freistaat Sachsen angesichts der begrenzten Laufzeit der Förderprogramme des Bundes gehalten, eine finanzielle Mitverantwortung für die kulturellen Einrichtungen neben der Trägerverantwortung der Kommunen zu übernehmen. Der Freistaat war sich darüber im Klaren, dass die Kommunen ohne zusätzliche Landesförderung auf dem Gebiet der Kulturpflege überfordert worden wären – und dies umso mehr, als sich eine Vielzahl großer Kulturinstitutionen seit der politischen Wende in ausschließlich kommunaler Trägerschaft befand.
Bereits vor dem Auslaufen der Übergangsfinanzierung Kultur des Bundes entwickelte der Freistaat ein Konzept zur Herstellung einer langfristig tragfähigen kulturellen Infrastruktur in Sachsen. Da die Kommunen als eigentliche Hauptakteure im Bereich der Trägerschaft und Förderung der Kultur mit den Finanzierungsaufgaben noch immer überfordert gewesen wären, entstand ausgehend von den Theater- und Orchesterstandorten das Modell einer umfassenden Lastenteilung zwischen Land und Kommunen: das Gesetz über die Kulturräume in Sachsen. Die generelle Rechtsverpflichtung, die sich aus diesem Gesetz ergibt, besteht darin, dass der gesamte Freistaat in Zweckverbände (Kulturräume) eingeteilt wurde, zunächst acht ländliche und drei urbane. Diesen gehören jeweils die vorhandenen Gebietskörperschaften (Landkreise, kreisfreie Städte) pflichtig an.
Es wird im Gesetz nicht nur festgelegt, dass die Gebietskörperschaften einer Region gemeinsam für die Aufgaben der Kulturpflege zuständig sind, sondern sie werden auch verpflichtet, dies auf der Grundlage einer Satzung sowie zu erlassender Förderrichtlinien umfassend zu regeln. In § 2 Abs. 1 des Gesetzes heißt es: „Im Freistaat Sachsen ist die Kulturpflege eine Pflichtaufgabe der Gemeinden und Landkreise“. In Verbindung mit der Regelung, dass bei der Vergabe der Fördermittel auf eine angemessene Berücksichtigung aller Kultursparten zu achten sei, ist der umfassende Förderauftrag der Kulturräume klar zu erkennen. Zielgröße der Förderpolitik der Kulturräume sind jedoch Maßnahmen von regionaler Bedeutung. Da dies ein Segment zwischen kommunaler und Landesebene bezeichnet, spricht man auch von einer „dritten Ebene“ der Kulturförderung. Auf lokaler Ebene bleiben die Gemeinden weiterhin zuständig für ihre Kulturarbeit und deren Finanzierung. Die Existenz der Kulturräume tilgt nicht gleichsam jegliche Zuständigkeit für Kultur im kommunalen Bereich.
Die deutschlandweit in dieser Form einmalige „Kulturpflicht“ korrespondiert u. a. deshalb mit der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, weil der Freistaat sich an den Finanzierungsaufgaben maßgeblich beteiligt. Die Finanzierung der Kulturräume erfolgt über ein zweistufiges Solidarsystem, das vereinfacht dargestellt wie folgt funktioniert: Eine jährliche Zuweisung des Landes – rd. 86,7 Mio. € – wird im Zuge eines interregionalen Kulturlastenausgleichs auf alle Kulturräume aufgeteilt. Ein regionaler Kulturlastenausgleich hingegen, also die Organisation einer Umlage aller im jeweiligen Kulturraum zusammengeschlossenen Gebietskörperschaften, sichert die Beteiligung der örtlichen Gemeinschaft. Die Höhe dieser Umlage beschließt der Kulturkonvent, der das oberste Gremium eines Kulturraums darstellt und dessen stimmberechtigte Mitglieder die jeweiligen Landräte sind. Eine weitere Finanzierungsquelle ist der Anteil, den die Sitzgemeinde eines zu fördernden Vorhabens einbringen muß. Grundsätzlich kann ein Kulturraum maximal das Doppelte der generierten Kulturumlage vom Land abrufen, womit das Verhältnis zwischen staatlichem und kommunalem Finanzierungsanteil definiert wird.
Zur fachlichen Beratung, vor allem aber zur Vorbereitung der Förderentscheidungen, beruft der Konvent einen Kulturbeirat, der sich aus Sachverständigen aller förderfähigen Kultursparten eines Kulturraums rekrutiert. Die vom Gesetzgeber eröffnete Möglichkeit, darüber hinaus auch noch spartenbezogene Facharbeitsgruppen zu bilden, wird von den Kulturbeiräten aller Kulturräume genutzt, so dass die bürgerschaftliche Partizipation in diesem Bereich ausgesprochen hoch ist. Rund 800 Bürger/innen befassen sich auf diesem Wege ehrenamtlich mit der Gestaltung der Kulturlandschaft in ihrem Umfeld.
Kulturpolitik in Sachsen ist also durchaus wieder Bürgersache, wenngleich viele Menschen noch immer nicht wissen, was ein „Kulturraum“ ist. Anfangs galten diese Zweckverbände mehrheitlich nur als Verwaltungsinstrumente, inzwischen haben sie sich auch als Motoren regionaler Entwicklung und Identitätsbildung erwiesen.
Das Kulturraumgesetz trat 1994 für vorerst zehn Jahre in Kraft und wurde in der Folge in seiner Wirksamkeit zunächst verlängert und schließlich zum 01.08.2008 im Zuge der Anpassung an die Auswirkungen einer Kreisgebietsreform entfristet.
Im Juni 2008 verabschiedete der Sächsische Landtag einstimmig das „neue“ Kulturraumgesetz. Die Novellierung war notwendig geworden, da nach dem Kreisgebietsneugliederungsgesetz einige Landkreise nunmehr deckungsgleich mit den bisherigen Kulturräumen sind. Die betreffenden Kulturräume hätten dadurch jeweils nur noch aus einem Mitglied bestanden und demzufolge als Zweckverband nicht mehr weiter existieren können. Der Gesetzgeber entschied sich zur umfassenden Aufrechterhaltung solidarischer Kulturfinanzierung vor Ort und unter Beteiligung des Landes für eine Vergrößerung der Kulturregionen, also eine Reduktion und damit Neugliederung der Zweckverbände. Dem ging eine umfassende Evaluation voraus.
Seit August 2008 gibt es in Sachsen nurmehr fünf ländliche Kulturräume: Vogtland-Zwickau, Erzgebirge-Mittelsachsen, Leipziger Raum, Elbtal-Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie Oberlausitz-Niederschlesien. Die urbanen Kulturräume Chemnitz, Dresden und Leipzig bestehen unverändert.
Grundlagen und Initiativen zur Beförderung der kulturellen Bildung
Die junge Generation für kulturelle Traditionen zu gewinnen, sie zu ermutigen, zu begeistern, Kunst und Kultur als Schatz zu bergreifen, der auch ihnen gehört, sie anzustiften über eigene künstlerische Aktivitäten sich selbst und der Welt näher zu kommen, gehört zu den herausragenden Aufgaben einer nachhaltigen Kulturpolitik.
Deshalb ist für mich die Stärkung der kulturellen Bildung ein unverzichtbares Element für die Zukunft des Freistaates.
Kulturelle Bildung ist nicht die Sahnehaube oder die freiwillige Ergänzung zu den sog. Harten Fächern wie Mathematik oder Physik. Sie ist teil einer umfassenden Bildung eines mündigen und kulturfähigen Menschen und somit Kernbestandteil jeder Bildungsinstitution.
Der gesellschaftliche Auftrag und die Notwendigkeit der kulturellen Kinder- und Jugendbildung ist mit Argumenten aus sozialwissenschaftlicher, pädagogischer und entwicklungspsychologischer Sicht bereits umfassend dargestellt worden.
Nach der UNESCO (Weltkonferenz 2006 „ Schaffung kreativer Kapazitäten für das 21. Jahrhundert“) hat auch die KMK sich mit dem Thema beschäftigt und Empfehlungen zur kulturellen Kinder-und Jugendbildung beschlossen. Darüber hinaus hat die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ in ihrem kürzlich vorgelegten Schlussbericht der kulturellen Bildung Priorität eingeräumt und diese als gesellschaftlichen Auftrag formuliert. In den Handlungsempfehlungen steht u. a.: “Die Enquete-Kommission empfiehlt Bund, Ländern und Kommunen, in die kulturelle Bildung zu investieren.
Insbesondere in die Früherziehung, in der Schule aber auch in den außerschulischen Angeboten für Kinder und Jugendliche sollte kulturelle Bildung gestärkt und schwerpunktmäßig gefördert werden. Kulturelle Bildung ist unverzichtbarer, integraler Bestandteil von Bildung wie von Kultur und eine Querschnittsaufgabe verschiedener Politikfelder“.
Kulturelle Bildung für alle Kinder – egal ob es ein bildungsfernes Elternhaus mit weniger als 100 Büchern ist oder ob Kinder auf dem Land 100 km entfernt vom nächsten Theater wohnen – , ist ein immer wieder zu thematisierender Anspruch einer sozial gerechten Gesellschaft.
(Kosten für die Theaterfahrt, für den Eintritt in ein Museum etc.)
Das SMWK hat sich dieses Themas angenommen und im Frühjahr 2007 eine Tagung durchgeführt, die sich insbesondere mit der Arbeit der Pädagogen in Theatern, Museen und der Soziokultur befasste und insbesondere die Zusammenarbeit mit der Schule zum Inhalt hatte. Die im Ergebnis der Tagung formulierten Handlungsempfehlungen zielen in ihrer Gesamtheit ab auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen der kulturellen Bildung als ressortübergreifende Aufgabe des SMK, des SMS und des SMWK. Sie sollte es auch auf regionaler Ebene sein.
Darauf aufbauend hat die Sächsische Akademie der Künste gemeinsam mit dem Landesverband Sachsen im Deutschen Bühnenverein im Herbst 2007 mit der Klausurtagung „Der halbe Mensch – Zukunft ohne Kunst?“ die Beförderung des Themas der kulturellen Bildung fortgesetzt. Das Kolloquium hat die grundsätzliche Bedeutung der kulturellen Bildung hervorgehoben und bestätigt, dass die Begegnungen und Auseinandersetzungen mit Kunst und Kultur für eine zukunftsfähige Gesellschaft unerlässlich sind und dass diese gerade bei Kindern die Grundlagen für Kreativität und Fantasie, für Traditionen und Werte formen. Kulturelle Bildung ist eine Querschnittsaufgabe von SMK, SMS und SMWK in gemeinsamer Verantwortung für die Kultur- und Bildungspolitik im Freistaat Sachsen.
Im Ergebnis der vorangestellten Grundlagen und Initiativen zum Thema der kulturellen Bildung wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) gegründet mit dem Ziel, effektive Rahmenbedingungen zu schaffen, um das auf dem Gebiet der Kunst und Kultur bereits bestehende Angebot mit dem dazu auf schulischer Seite vorhandenen Bedarf koordinieren und vernetzen zu können.
Schaffung von Netzwerken von kultureller Bildung im ländlichen Raum
Beste Ebene für die Koordinierung und Vernetzung von regionalen Kulturangeboten und dem Bedarf der Schulen sind die Kulturräume. Die Sekretariate der ländlichen Kulturräume sind Schnittstellen zwischen Angeboten zur kulturellen Bildung und den potentiellen Nachfragern der Region. Das auf maßgebliche Initiative des Sächsischen Kultursenats seit Ende 2006 laufende Pilotprojekt „Netzwerk kulturelle Bildung“ im Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien (KR OL/NS) mit dem Ziel, die professionelle und nachhaltige Zusammenarbeit von Schulen, Künstlern und Kultureinrichtungen im Bereich der kulturellen Bildung zu fördern, hat sich bewährt und ist geeignet, von allen ländlichen Kulturräumen übernommen zu werden. Im Rahmen dieser Kooperationen zwischen den Kulturräumen und den Bildungsinstitutionen wird es weitere Aktivitäten geben wie z.B. „Jedem Kind ein Musikinstrument“.
Warum öffnen sich Menschen der Kunst?- Worin liegt die Gewinnerzielung von Kultur?
Kunst und Kultur reagieren wie ein Seismograph auf gesellschaftliche Entwicklungen und sind Träger und Ausdruck des öffentlichen und individuellen Wertebewusstseins. Sie vermögen demokratische Wertorientierungen als Grundlage gesellschaftlichen Handelns sowie des menschlichen Zusammenlebens zu vermitteln. In diesem Sinne sind Kunst und Kultur von maßgeblicher Bedeutung für die Überlebensfähigkeit dieser Gesellschaft und für unsere Zukunft.
Warum sind Kunst und Kultur für uns ein Lebensmittel, ein „nachwachsender Rohstoff“, der sich selbst unter schlimmsten Bedingungen und in den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte immer noch seinen Weg gebahnt hat?
Die Antwort ist einfach – und zugleich weit reichend: Menschen öffnen sich der Kunst, weil sie sie brauchen. Weil sie uns Türen öffnet zu Räumen, die wir ohne sie nicht einmal finden würden.
Zum Beispiel die Tür zu unserem kulturellen Erbe. Hier werden für uns Maßstäbe erkennbar. Der Zugang zu einem kritischen Bewusstsein, zu einem eigenen aufgeklärten Urteil tut sich für uns auf.
Zum Beispiel die Tür zum Neuen. Dahinter treffen wir auf bisher Ungehörtes oder auch Unerhörtes, hier treffen die „Produzenten“ der zeitgenössischen Kunst auf ihr Publikum, hier treffen wir Avantgarde, die zukunftsweisend ist.
Kunst und Kultur befördert nicht nur Kreativität, sie zieht auch kreative Menschen geradezu magisch an. Viele Wissenschaftler/innen kommen nicht wegen der Gehälter hier her, sondern weil sie neben den guten Forschungsbedingungen eine reichhaltige Kulturlandschaft vorfinden. Kunst und Kultur sind harte Standortfaktoren!
Zum Beispiel die Tür zum Fremden. Wie oft „befremdet“, ja verstört uns die Kunst? Die Begegnung mit ihr zwingt uns immer wieder zum Wechsel der Perspektive, lehrt uns, uns einzustellen auf andere Sichtweisen und andere Einstellungen als die eigenen.
Kunst ermöglicht uns einen emphatischen Blick auf die Welt. In jeder Begegnung mit dem Fremden müssen wir uns neu bestimmen, uns fragen, wer wir sein möchten, wie wir leben möchten, was wir ändern müssen.
Kunst ist – wie es einmal der frühere Bundespräsident Johannes Rau formuliert hat – „eine Vorschule zur Begegnung mit dem anderen“. Kunst hilft uns, „ohne Angst verschieden zu sein“.
Und Kunst – da unterscheidet sie sich von vielem anderen – berührt uns über das Herz und den Verstand. Sie bildet den ganzen Menschen und zeigt uns – ganz im Sinne des Aufklärers Lessing – dass die Welt veränderbar, dass das Leben lebenswert und dass der Mensch verantwortlich ist für sich selbst.
(Beispiel: Meeting Point Messian – Kulturprojekt in Görlitz/Zgorcelec; Strafgefangenenlager VIII als Ort der Auseinandersetzung mit Musik und Vergangenheit)
Ich habe heute bewusst nicht berichtet über die Kultur- und Kreativwirtschaft, die jährlich ca. 36 Mrd. Euro zur Wertschöpfung (BIP) in Deutschland beiträgt und einen wachsenden Arbeitsmarkt darstellt. Sachsen wird Ende dieses Jahres einen ersten eigenen Kulturwirtschaftsbericht vorlegen und aufzeigen, dass Kultur auch ein nicht zu verachtender wirtschaftlicher Bereich ist. Mir ging es bei meinen Ausführungen gerade um die andere Seite der Kultur, die sich nicht offensichtlich in klingender Münze messen lässt, die ein nicht am Finanzmarkt direkt einlösbares Kapital der Gesellschaft darstellt.
zur Person:
Eva-Maria Stange wurde am 15. März 1957 in Mainz geboren. 1958 zog die Familie in die DDR.
Frau Stange studierte von 1975 bis 1979 an der Pädagogischen Hochschule (PH) in Dresden und ging dann als Diplomlehrerin für Mathematik und Physik in den Schuldienst. Nach drei Jahren Lehrtätigkeit an der Polytechnischen Oberschule (POS) in Dresden kehrte sie an die PH zurück. 1985 Promotion auf dem Gebiet der Methodik des Physikunterrichts. Danach war Frau Dr. Stange bis 1989 in der Lehrerausbildung und Forschung an der PH Dresden tätig.
Mit der friedlichen Revolution wechselte sie 1989 auf eigenen Wunsch erneut in den Schuldienst, zunächst an eine POS, seit dem Schuljahr 1991/92 an ein Dresdener Gymnasium.
Ende 1993 wurde Frau Stange zur Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Sachsen gewählt. Die größte Herausforderung in dieser Funktion war der Abschluss der Teilzeitvereinbarung für die Lehrkräfte an Grundschulen und damit die Sicherung tausender Arbeitsplätze.
1997 bis 2005: GEW-Bundesvorsitzende. Als Mitglied des Forums Bildung der Bundesregierung setzte sie sich für die Einführung einer regelmäßigen nationalen Bildungsberichterstattung ein – vom Kindergarten bis zur beruflichen Weiterbild-ung, sowie für eine größerer Eigenverantwortung für Schulen und Hochschulen.
Seit 1998 war Eva-Maria Stange Mitglied des Executive Board der Bildungs-internationale, der größten gewerkschaftlichen Vereinigung weltweit. Auch in den Kuratorien der Universtäten Bielefeld, Jena und Flensburg, sowie im Hochschulrat der Universität Koblenz-Landau war sie Mitglied.
Von 2006 bis 2009 war sie Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst,
von 2007 bis 2012 war sie Bundesvorsitzende der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft für Bildung (AfB). Lokalpolitisch ist sie weiterhin AfB-Vorsitzende von Dresden.
Seit 2009 ist sie bildungs- und kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im sächsischen Landtag.
Eva-Maria Stange ist verheiratet und hat drei erwachsene Töchter.