Döbelner Allgemeine Zeitung – Eine Elite, die die Werte nicht vorlebt

4. Juni 2009

 

Gut Gödelitz: Axel Schmidt-Gödelitz im DAZ-Interview über verlorene Werte und ein neues Bildungssystem

Axel Schmidt-Gödelitz mit seiner Mutter Johanna Schmidt-Gödelitz. Johanna Schmidt-Gödelitz verstarb im Januar 2006. Das Porträt über Axel Schmidt-Gödelitz zeigt dessen Vater Helmut. Foto: Wolfgang Sens

(Zum Foto: Axel Schmidt-Gödelitz mit seiner Mutter Johanna Schmidt-Gödelitz. Johanna Schmidt-Gödelitz verstarb im Januar 2006. Das Porträt über Axel Schmidt-Gödelitz zeigt dessen Vater Helmut.)
Was will das Ost-West-Forum auf Gut Gödelitz? – Axel Schmidt-Gödelitz spricht im DAZ-Interview über fehlende Werte, zu hohe Manager-Zahlungen, Finnland als Vorbild für das deutsche Bildungssystem und über den wiedergewählten Bundespräsidenten Horst Köhler.

DAZ:
Zu den nächsten Gästen des Ost-West-Forums gehört Bundespräsident Horst Köhler. Wie beurteilen Sie seine Wiederwahl?
Axel Schmidt-Gödelitz: Ich schätze Herrn Köhler sehr. Das ist ein Mann, der eine Menge gelernt hat. Das war mal ein richtiger Neoliberaler. Ein vielschichtiger Mann mit hoher Glaubwürdigkeit. Gesine Schwan kenne ich. Wir haben zusammen studiert. Sie ist eine kluge Frau, aber ich bin überzeugt, dass Köhler jetzt mehr denn je gebraucht wird.

Das Gut Gödelitz und sein Ost-West-Forum sind über die Grenzen der Region hinaus bekannt. Trotzdem wissen hierzulande nicht alle Menschen, worum es Ihnen eigentlich geht. Versuchen Sie doch mal eine kurze Zusammenfassung…
Meine Familie hat das Gut 1945 durch Enteignung verloren. Als wir 1991 zurückgekehrt sind, haben wir nicht einfach gesagt: Wir sind wieder da. Sondern wir haben gefragt: Warum wurden wir enteignet? Was müssen wir dabei an eigener Schuld bedenken? Und was ist zu tun, damit so etwas nicht noch einmal passiert? Kommunisten fallen nicht einfach so vom Himmel. Die Menschen wurden in die Radikalität getrieben.

Wie können wir die Gesellschaft vor erneuter Radikalität bewahren?
Eine Gesellschaft muss tüchtig, dynamisch und konkurrenzfähig sein. Aber sie muss auch nach innen und außen friedensfähig sein. Wir dürfen nicht zuschauen, wie der soziale, demokratische Rechtsstaat an die Wand gefahren wird.
Was wir brauchen, ist soziale Gerechtigkeit. Damit meine ich: Es kann nicht sein, dass manche Leute drei Jobs brauchen um klar zu kommen. Auf der anderen Seite stehen Spitzenmanager, die ihren Mitarbeitern predigen, sie müssten den Gürtel enger schnallen. Aber selber gönnen sich diese Manager riesige Boni-Zahlungen – selbst für Jahre, in denen schlecht gewirtschaftet wurde.

Woher rührt ein solches Verhalten aus Ihrer Sicht?
Wir haben in Deutschland eine Elite, die die Werte nicht vorlebt. Ich erwarte, dass oben angefangen wird, den Gürtel enger zu schnallen.

Wie kann man das erreichen – mit staatlichem Druck?
Nein – ich erwarte, dass die Leute verstehen, dass wir auf engem Raum zusammenleben. Dazu benötigen wir Regeln, die von allen akzeptiert werden. Es ist bei uns noch nicht zu schlimmen Vorfällen gekommen. Aber warum lässt der gut gebaute, kräftige Hartz-IV-Empfänger den Mann mit dem großen Wagen an der Ampel in Ruhe?

Warum tut er das?
Es gibt die äußere Polizei und es gibt die innere Polizei. Die innere Polizei ist einerseits die Angst vor Bestrafung, andererseits aber sind es die inneren Werte eines Menschen, die die Gesellschaft zusammenhalten. Und wie gesagt: Diese Werte müssen aus der Elite vorgelebt werden.

Von welchen Werten sprechen wir?
Von Toleranz, Solidarität, Zuverlässigkeit und Fleiß, vor allem aber von Gemeinsinn im Sinne des Einsatzes für den Schwächeren sowie von Bescheidenheit.

Gibt es nicht auch eine Elite, die solche Werte vorlebt?
Doch es gibt eine Werte-Elite, aber sie ist wahrscheinlich sehr klein. Umso wichtiger ist eine absolute Konzentration auf das Thema Bildung. Wir brauchen eine umfassend gebildete Bevölkerung – auch mit Wissen über den Staat und gesellschaftliche Zusammenhänge. Das müssen wir vom Staat einfordern. Das hier ist der einzige Rohstoff, den wir haben (tippt sich an den Kopf). Wir beginnen, eine Entwicklung zu verschlafen.

Wie erreichen wir eine Umkehr?
Wir müssen uns langfristig engagieren, damit wir ein besseres Bildungssystem bekommen, in dem neben der exzellenten beruflichen Qualifikation auch Geschichte und Politik eine Rolle spielen. Das Problem ist doch folgendes: Jeder unterstützt die Forderung nach Bildung. Alle haben eine große Klappe, aber die Budgets sind so verteilt, dass dieser Anspruch nicht erfüllt werden kann.

Warum ist das so?
Die Hauptgründe sind Lobbyismus und die Kurzfristigkeit des Denkens. Es gibt keine Lobby für Bildung. Es haben in Deutschland die stärksten Lobbyisten etwas zu sagen, die das meiste Geld haben.

Eine Konzentration auf die Bildung – auch in finanzieller Sicht – wäre ein langfristiges Projekt. Ist das nicht auch eine Schwäche des gesamten Systems: dass gerade vor Wahlen eher die kurzfristigen Erfolge gesucht werden?
Ja. Es wird das Rad geölt, das am lautesten quietscht. Es verstehen zwar alle, dass Bildung wichtig ist, aber wenn es darum geht, die Schulen bestmöglich auszustatten, fehlen die Mittel. Die Abwrackprämie zeigt kurzfristige Erfolge, Investitionen in Bildung erst in acht oder zehn Jahren. Die zentrale Frage ist also: Werden die Leute das schlucken, wenn wir Ressourcen in die Bildung lenken – also aus anderen Ressorts in die Bildung umverteilen? Ich glaube schon – wenn es jemanden geben würde, der den Leuten das erklären kann. Wir bräuchten eine Schweiß-, Blut- und Tränen-Rede. Die müsste 60-mal geredet werden. Eigentlich müssen wir nicht vieles neu erfinden. Finnland hat ein hervorragendes Bildungssystem. Das war mal ein Agrarstaat, der sich zum Industrieland hochgearbeitet hat. Nokia hat vor 20 Jahren Gummistiefel produziert. Die haben verstanden, dass nur eine exzellente Bildung die Zukunft sichert.

Der Staat verschuldet sich gerade mit rasender Geschwindigkeit…
Das darf aber nicht dazu führen, dass der Staat immer weiter ausgehungert wird. Viele Leute verstehen das nicht. Kindergärten, Schulen, Universitäten, Gesundheitssystem, Sicherheit – überall soll sich nach dem neoliberalen Gedanken der Staat zurückziehen. Es gibt immer mehr private Sicherheitsfirmen, die immer mehr die Polizei ersetzen. Auch bei den Gerichten wird gespart. Privatschulen schießen wie Pilze aus dem Boden.

Was soll denn der Bürger tun, der es sich leisten kann, sein Kind auf eine private Schule zu schicken, um ihm eine bestmögliche Bildung zu garantieren?
Wenn genau diese Bürger sich aus den öffentlichen Schulen zurückziehen, geht der Druck verloren, der nötig ist, um diese am Leben zu erhalten. Dann geht es immer weiter nach unten. Meine Kinder sind jetzt zwölf und 14 Jahre alt, und sie gehen auf ein öffentliches Gymnasium. Es gibt ja auch viele gute Schulen unter den öffentlichen. Wenn wir nicht aufpassen, bekommen wir eine Spaltung des Schulsystems wie in den USA.

Brauchen wir erst eine Art bildungspolitisches Tschernobyl, bevor wir zu einer klaren Bildungsorientierung kommen?
Das ist eine gefährliche These. Was für Explosionen wären denn in dieser Sicht denkbar? Aber richtig ist, dass präventives Denken offenbar nicht in unseren Genen liegt. Den Weg müssen wir schrittweise gehen. Wir bauen hier in Gödelitz gerade eine Werte-Akademie für junge Führungskräfte auf (siehe nebenstehender Beitrag).

Wofür steht Ihre Gödelitzer Bildungsinitiative?
Wir wollen mehr Konzentration auf die Bildung. Ich stelle mir das so vor: Am Anfang verfassen wir ein Papier: Zentrale Aussagen und Fragen: Exzellente Bildung steht an erster Stelle. Wo stehen wir? Wo sind die Vorbilder – zum Beispiel Finnland? Warum kopieren wir die nicht? Wie sehen die Budgets aus? Man müsste junge Leute um sich scharen, um die Sache gemeinsam anzugehen. Dann muss man sich zuerst eine bestimmte Region vornehmen – zum Beispiel Berlin. Man nimmt alle Journalisten zusammen, die sich mit Bildung befassen und erklärt ihnen worum es geht. Dann geht man zum Bildungssenator. Und wenn die Forderung bei ihm nicht ankommt, dann gibt es Feuer von den Medien. Wenn Sie als Politiker merken: Da hat sich eine starke Gruppe zusammengefunden, die etwas verändern will, dann motiviert Sie das ja auch. Es ist etwas zu ändern. Davon bin ich überzeugt.

Welche konkreten Ziele verfolgen Sie mit dem Projekt?
Wir stehen noch am Anfang. Der Geldmangel behindert uns sehr – allerdings beflügelt er auch die Phantasie.

Interview:
Björn Meine/Holger Schrapel

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Axel Schmidt-Gödelitz mit seiner Mutter Johanna Schmidt-Gödelitz. Johanna Schmidt-Gödelitz verstarb im Januar 2006. Das Porträt über Axel Schmidt-Gödelitz zeigt dessen Vater Helmut. Foto: Wolfgang Sens

Zur Person

Axel Schmidt-Gödelitz ist 67 Jahre alt. Er wurde 1942 auf Gut Gödelitz geboren und studierte später Volkswirtschaft und politische Wissenschaften in Berlin und Frankreich. Von 1976 bis 1982 war er als Referent an der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin tätig. 1982 bis 2003 arbeitete Schmidt-Gödelitz als Koordinator der Entwicklungsprojekte der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ägypten und China und leitete außerdem von 1990 bis 2003 das Berliner Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung. 1991 kaufte Axel Schmidt-Gödelitz von der Treuhand das Gut Gödelitz zurück und gründete 1998 das Ost-West-Forum. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Hintergrund: Das Ost-West-Forum

o Selbst erklärtes Ziel des Ost-West-Forums ist die „Bewahrung des sozialen, demokratischen Rechtsstaats unter den Bedingungen der Globalisierung“.
o Veranstaltungsreihen: Öffentliche Veranstaltungen; Deutsch-deutsche Biografien; Deutsch-Polnisches Forum; Gödelitzer Kreis für Demokratie und Rechtsstaat.
o Im Aufbau befindet sich die neue Reihe „Deutsch-türkische Biografien“. Sie geht auf die Reihe „Deutsch-deutsche Biografien“ zurück und bezieht Türken ein, die seit langem in Deutschland leben.
o Zu den Referenten zählen hochkarätige Persönlichkeiten. Zugesagt haben für den Herbst Bundespräsident Horst Köhler sowie für die neue Reihe „Gödelitzer Reden“ Ministerpräsident Stanislaw Tillich.
o Vergangenes Jahr zählte das Gut Gödelitz fast 3000 Besucher.
o Trotz seines Erfolges hat das Ost-West-Forum weiterhin eine schmale, teils prekäre, finanzielle Basis. Axel Schmidt-Gödelitz sieht eine Lösung nur durch die Gewinnung neuer Mitglieder. Sein „Projekt 1000“ hat zum Ziel 1000 Mitglieder zu gewinnen, die sich mit selbst bestimmten Monatsbeiträgen zwischen 5 und 30 Euro beteiligen. Derzeit wird das Forum von 200 Mitgliedern getragen, beim Projekt 1000 engagieren sich knapp über 100 Leute.

Deutsch-deutsche Biografie-Reihe

An der Reihe „Deutsch-deutsche Biografien“ haben sich schon mehr als 1000 Menschen beteiligt. Jede Runde besteht aus zehn Personen – zu gleichen Anteilen Ost- und Westdeutsche, Männer und Frauen. Jeder Teilnehmer erhält eine Redezeit und berichtet aus seinem Leben. Dabei sind keine Diskussionen oder Kommentare der anderen Teilnehmer zulässig, sondern nur Fragen. Auf diese Weise ist es unter anderem schon gelungen, Stasi-Offiziere mit Opfern der DDR-Diktatur an einen Tisch zu bringen.

 

Werte-Akademie für junge Führungskräfte

Auf Gut Gödelitz wird derzeit die Werte-Akademie für junge Führungseliten aufgebaut. Es gab bereits eine erste Runde. Teilnehmer sind junge Leute zwischen 25 und 35 aus Wirtschaft, Justiz, Kultur, Wissenschaft und Medien. Zentrale Fragestellungen: Welches Gesellschaftsmodell, welches Menschenbild wird angestrebt? Verpflichten wir unsere Kinder hinreichend auf ein Gesellschaftsmodell, das sich im Grundgesetz widerspiegelt? Gibt es Werte, die wir auch im Berufsleben bereit sind zu leben? „Klar ist: Dieses Seminar trägt nicht den Titel: Wie komme ich schnell nach oben?“, sagt Axel Schmidt-Gödelitz, „die Teilnehmer sollen Gödelitz als ihr Fundament begreifen.“