Lesung von Volker Braun: Machwerk oder Das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer

Veranstaltung am 13. Juni 2009

Volker Braun ist kein ostdeutscher Dichter. Er ist ein gesamtdeutscher Literat, der Unerhörtes zu sagen hat. In einer Sprache, bestechend, betörend, kunstfertig, doppelbödig, gewaltig, aufrichtig. Dieser politische Intellektuelle gehört zu den unbequemsten seiner Generation. Auf Gut Gödelitz las er aus seinen neuesten Büchern.

Volker Braun – geboren 1939 in Dresden – beginnt 1957 sein Berufsleben mit der Arbeit als Drucker bei der Sächsischen Zeitung, nachdem er sich nach dem Abitur vergeblich um einen Studienplatz bemüht hatte. Später schiebt er Schichten im Kombinat Schwarze Pumpe und arbeitet als Maschinist für Tagebaugroßgeräte in Burghammer. Erst 1960 darf er studieren, Philosophie in Leipzig. Ein typischer DDR-Lebenslauf. Wieso muss einer Kohle fördern, wenn er eigentlich Philosoph werden will? Sein gesellschaftliches Bewusstsein soll er sich offensichtlich mit den eigenen Händen erarbeiten.

1965, als er schon als Dramaturg am Berliner Ensemble arbeitet, erscheint sein erstes Buch: „Provokation für mich“. Die vierzig Gedichte werden sofort programmatisch wahrgenommen. Da nahm einer ernst, was in der Zeitung stand, wollte eine neue Sprache und veralberte die offizielle, schrieb glaubhaft von seinen Erfahrungen in der Schicht, von der Mühe, der Anstrengung und trotzdem vom Jungsein, vom Leben wollen und maßlos sein.

Volker Braun hat sich mit den Problemen des real existierenden Sozialismus gutgläubig auseinander gesetzt, bis es umschlug, er die Wahrheit nicht mehr anders nennen konnte als Wahrheit. Dabei hat er es der Dialektik nie gestattet, zur Rechtfertigung für inhumane Zustände zu verkommen. So einer aber, der sich zur historischen Notwendigkeit des Marxismus und des Sozialismus bekennt und gleichzeitig deren Auswüchse in Frage stellt, so ein Querdenker sieht sich als Ärgernis wieder, als Angeklagter des Scherbengerichts, dass die SED auf ihrem berühmt-berüchtigten 11. ZK-Plenum über allzu freimütige Schriftsteller und Künstler hielt. Volker Braun ließ sich davon nicht beirren. Seine Leser wussten das sehr zu schätzen. Als am 7. November 1974 der Band „Gegen die symmetrische Welt“ ausgeliefert wurde, waren in der größten Ost-Berliner Buchhandlung die sechzig vorhandenen Exemplare binnen einer Stunde ausverkauft.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, dass dieser Einmischer und Regelverletzer, Dialektiker und Demokrat, ja dieser Idealist verstärkt ins Visier der Staatssicherheit gerät. Als er 1976 die Petition gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterzeichnet, ist es soweit. Volker Braun hält es dennoch bis zum Ende in der DDR aus, anders als Sarah Kirsch oder Günter Kunert. Je länger er aber an das Gute in diesem Arbeiter- und Bauern-Staat glaubt, desto intensiver leidet er an den realen Verhältnissen. Als die DDR untergeht, jubelt er nicht mit, das Volkstümelnde ist ganz und gar nicht seins. Gewiss, die deutsche Einheit findet statt, gut so. Volker Braun aber ist bis heute der große Skeptiker, der Grübler geblieben. Die DDR ist für ihn bis heute eine offene Wunde.

Volker Braun ist dennoch kein ostdeutscher Dichter. Er ist ein gesamtdeutscher Literat, der Unerhörtes zu sagen hat. In einer Sprache, bestechend, betörend, kunstfertig, doppelbödig, gewaltig, aufrichtig. Dieser politische Intellektuelle gehört zu den unbequemsten seiner Generation. Dafür wird er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem im Jahr 2000 von der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung mit dem Georg-Büchner-Preis, dem wichtigsten deutschen Literaturpreis. Endlich, haben damals viele gesagt. Der unbequeme Büchner, der unbequeme Braun. Die passen zueinander.

Unbequem ist auch das „Machwerk oder das Schichtbuch des Flick von Lauchhammer“, dass der gebürtige Dresdener am 13. Juni neben seinem neuesten Lyrikband „Der Stoff zum Stoff 4-6“ auf Gut Gödelitz vorgestellt hat. Das Machwerk legte er im letzten Jahr vor – ein Endbild großer Zeiten in geschundenen Tagebauwüsten, ein famoser, sprachgewaltiger Schelmenroman um einen Mann, dem nach 1989 der Kopf zurechtgerückt wird, den man beiseite legt, wie ein altes Eisen, nicht mehr als Helfer ruft, sondern als Nummer. Der Arbeitermann Flick lässt seine Hände denken und sollte doch den Kopf gebrauchen, Flick – ein Don Quichotte in der Niederlausitz. Die Geschichte um diesen Arbeitermacher Flick von Lauchhammer stellt, wie alle Geschichten von Volker Braun, die entscheidende Frage: Was machen wir eigentlich aus unserem Stück Leben?