Döbelner Anzeiger – Ost-West-Alltag aus Sicht eines Diplomaten

Montag, 5. Oktober 2009

Ost-West-Alltag aus Sicht eines Diplomaten

Von Bärbel Schumann

Hans Otto Bräutigam liest auf dem Ost-West-Forum aus seinem Buch „Ständige Vertretung – Meine Jahre in Ost-Berlin“.
Der Tag der Einheit hat auf Gut Gödelitz 20 Jahre nach der friedlichen Revolution im Osten Deutschlands eine besondere Note erhalten. Der Leiter der ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der einstigen DDR Hans Otto Bräutigam hat aus seinem Buch „Ständige Vertretung – Meine Jahre in Ost-Berlin“ gelesen.

Der Jurist und Politiker Hans Otto Bräutigam gehörte 1974 zum „Vorkommando“ zur Errichtung der Ständigen Vertretung in Ost-Berlin, wo er bis 1977 als stellvertretender Leiter unter Günter Gaus arbeitete. Danach war er bei Kanzler Helmut Schmidt Leiter des Arbeitsstabes Deutschlandpolitik im Bundeskanzleramt. Ab 1982 leitete er die Ständige Vertretung in Ost-Berlin und war maßgeblich an der Verbesserung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten beteiligt. Wenige Monate vor der Wende wurde Bräutigam UN-Botschafter in New York.

Schnelle Wiedervereinigung

„Bei meinem Weggang aus Ost-Berlin glaubte ich nicht daran, dass die Wiedervereinigung so schnell kommt. Ich fühlte mich bei der UNO in New York nicht wohl. Als ich die Meldungen im Herbst ’89 hörte, kam ich mir vor, als wäre ich am Ende der Welt“, erzählte der pensionierte Diplomat.

So manche Episode aus seiner Zeit als Diplomat erzählte Hans Otto Bräutigam den über

200 Besuchern, unter denen sich auch der ehemalige Sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt befand. Bräutigam regte zugleich zum neuerlichen Nachdenken über die Deutsche Einheit an. Er schilderte, dass sich sehr viele Menschen an die Vertretung mit der Bitte um Hilfe wandten. Der Mann mit der ihn markant prägenden Brille im Gesicht, vollbrachte bei seiner Arbeit stets einen Spagat zwischen Diplomatie und seinen Gefühlen zu den Menschen im anderen, dem östlichen Teil Deutschlands.

Durch die Wiedervereinigung nach der friedlichen Revolution seien viele Ostdeutsche traumatisiert, weil sie die Abwicklung von Institutionen, Firmen und anderem als Demütigung empfanden. „Die Menschen wurden nicht nur wirtschaftlich getroffen, sie haben auch ihre Position in der Gesellschaft verloren“, erklärte Bräutigam.