Veranstaltung am 14. November 2009
Das Schicksal der Vertriebenen hat die deutsche Gesellschaft lange Zeit nicht wirklich interessiert. Die in jüngster Zeit leidenschaftlich geführte Diskussion um ein „Zentrum der Vertrieben“, zu dessen Initiatoren der „Bund der Vertriebenen“ unter seiner Präsidentin Erika Steinbach gehört, hat dieses Thema wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.
Revanchismus und Rechtslastigkeit wurde denen vorgeworfen, die ihrer verlassenen Heimat gedachten. Der Historiker Andreas Kossert räumt in seinem 2008 erschienen und mit Preisen ausgezeichneten Buch „Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945“ mit diesen Vorurteilen auf. Ihm ist damit ein Werk gelungen, das ein lange tabuisiertes Thema mutig und souverän aufgreift.
Insgesamt 14 Millionen Menschen mussten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat im historischen Ostdeutschland verlassen. Knapp zwei Millionen kamen bei der Vertreibung ums Leben. Etwa 2,5 Millionen Deutsche blieben teils freiwillig, teils zwangsweise in den Vertreibungsgebieten zurück.
Nur widerwillig gab die deutsche Nachkriegsgesellschaft Wohnraum frei, um den Vertriebenen zunächst ein Obdach zu gewähren. Zur Ignoranz der Einheimischen kamen oft noch der abrupte soziale Abstieg und die Armut erschwerend hinzu.
In der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und später der ehemaligen DDR erging es den knapp 4 Millionen Vertriebenen keineswegs besser. Zu den ähnlichen sozialen und gesellschaftlichen Umständen ihrer Ankunft kam die Tabuisierung der erlittenen Verbrechen durch die sowjetischen, polnischen und tschechischen Bruderarmeen hinzu.
Kossert bietet mit seiner Vertriebenengeschichte eine hervorragend recherchierte und umfassende Grundlage für eine offene und ehrliche Debatte um das Schicksal der Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg. Um Rückgabe von Ländereien und Besitztümern oder um Restitutionszahlungen, wie sie die Preußische Treuhand fordert, kann es heute nicht mehr gehen. Man kann ein Unrecht nicht mit einem nächsten ungeschehen machen.
Nun ist die Vernunft der europäischen Politiker gefragt, ein europäisches „Zentrum gegen Vertreibung“ zu schaffen, dass der europäischen Geschichte Rechnung trägt und zugleich dem individuellen Opfer des Heimatverlustes der Vertriebenen gedenkt.
Das Deutsch-Polnische Forum auf Gut Gödelitz widmet sich diesem Thema in besonderem Maße.
Zur Person:
Dr. phil. Andreas Kossert wurde 1970 in Hannoversch Münden geboren. Nach dem Abitur studierte er Geschichte, Politikwissenschaften und Slawistik in Freiburg i. b., Edinburgh, Bonn und an der FU Berlin. Dort promovierte er 1999 mit einer Arbeit über „Preußen, Deutsche oder Polen? Die Masuren im Spannungsfeld des ethnischen Nationalismus“. Seit 2001 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in Warschau. Im Sommersemester 2007 war er als Gastprofessor für polnische Landes- und Kulturstudien an der TU Dresden tätig
Publikationen: u.a.
– Masuren. Ostpreußens vergessener Süden. Berlin 200
– Ostpreußen. Geschichte und Mythos. München 200
– Kalte Heimat. Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945
München 2008.
– Damals in Ostpreußen. Der Untergang einer deutschen Provinz.
München 2008.
Für seine publizistische Tätigkeit erhielt er den Georg-Dehio-Preis, sowie den Herrenalber Akademiepreis.