Lesung und Diskussion mit der Nahost-Expertin Alexandra Senfft: „Fremder Feind, so nah … Begegnungen mit Palästinensern und Israelis“

Veranstaltung am 6.11.2010

Alexandra Senfft stellte ihr jüngstes Buch „Fremder Feind, so nah … Begegnungen mit Palästinensern und Israelis“ vor und sprach aus aktuellem Anlass über die Möglichkeiten, ob – und gegebenenfalls  wie – die tiefen Gräben zwischen den beiden Völkern überbrückt werden können.

Zweimal haben wir uns bisher mit dem Nahost-Konflikt beschäftigt: Einmal war der damalige Generaldelegierte Palästinas in Deutschland, Abdallah Frangi auf Gut Gödelitz, kurz danach kam der israelische Professor Frank Stern von der Universität Haifa – beide referierten aus unterschiedlichen Interessenlagen und Sichtweisen über Gründe und Hintergründe des nun schon Jahrzehnte währenden Konflikts und nannten Lösungsvorschläge, die zum Frieden führen könnten. Zum Erstaunen des Publikums lagen beide in der Beurteilung des Konflikts sehr nahe beieinander. Der damalige Eindruck: Hätten Menschen wie Frangi und Stern das Sagen, wären Kompromisse in den strittigen Fragen von israelischer Besatzung im Westjordanland, der sich dort ausbreitenden jüdischen Siedlungen, der Landnahme und des Mauerbaus, der Jerusalem-Frage und der Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge in ihr Heimatland möglich.

Menschliche Vernunft und unbedingter Friedenswille scheinen auf politischer Ebene aber nicht durchsetzbar zu sein. Die brutale Besatzungspolitik Israels und Terroranschläge radikalisierter Palästinenser erzeugen einen Kreislauf von Angst, Misstrauen und Hass, der jeden Dialog erstickt und die jeweils andere Seite zum Bösen erklärt, mit dem man nicht verhandeln kann. Und so sterben seit Jahren nicht nur Menschen, sondern eine Friedensinitiative nach der anderen – auch die gegenwärtige Initiative durch die Obama-Administration scheint zum Scheitern verurteilt zu sein. Ist die Situation also hoffnungslos?

In ihrem Buch Fremder Feind, so nah. Begegnungen mit Palästinensern und Israelis beschreibt die Nahostexpertin Alexandra Senfft auf eindruckvolle Weise, wie Menschen auf beiden Seiten sich entschlossen haben, trotz Drohungen, Demütigungen, Enteignungen und sogar dem Verlust von engen Angehörigen den Dialog aufzunehmen und den Konflikt aus beiden Blickwinkeln – dem eigenen und dem der Anderen – heraus zu beurteilen. “Wenn wir, die wir den höchsten Preis bezahlt haben, einen Dialog miteinander führen können, dann kann das auch jeder andere”, sagte der Israeli Rami Elhanan, der seine Teenager-Tochter bei einem palästinensischen Selbstmordattentat verlor. Israelische und palästinensische Eltern, die ihre Kinder in diesem sinnlosen Konflikt verloren haben, verzichten auf Rache, setzen sich zusammen, hören einander zu, helfen sich in ihrer Trauer. Andere tun sich zusammen in dem Versuch, den Vorurteilen und Feindbildern durch Vorträge, Artikel, Filme oder gemeinsame Theateraufführungen – wie in Berlin geschehen – entgegen zu wirken. Wieder andere, wie der vor zwei Jahren verstorbene israelische Psychologe Dan Bar-On, versuchen, politische Verständigung durch Biografiearbeit auf den Weg zu bringen – ähnlich, wie in Gödelitz seit Jahren mit den deutsch-deutschen und den deutsch-türkischen Biografiegesprächen verfahren wird.

Beeindruckende Initiativen und großartige Menschen beschreibt Alexandra Senfft und lässt sie selbst zu Wort kommen. Das sind keineswegs weltfremde Idealisten, sondern warmherzige, kluge Realisten, die zeigen, wie Frieden von unten durch Dialog und durch die Anerkennung der Interessen auch der anderen Seite möglich ist. Dass nur so das notwendige Vertrauen aufgebaut werden kann, um aus dem fatalen Kreislauf von Hass, Gewalt und Rache herauszufinden.


 

zur Person:

alex_senfftGeboren 1961 in Hamburg.

Schulbesuch in Hamburg und Surrey/England, wo sie 1980 das Abitur ablegt. 1982 Studienbeginn an der Near and Middle Eastern Studies an der University of St. Andrews in Schottland, das sie an der Universität Hamburg 1987 mit einem Magister in Islamwissenschaft, Germanistik und Anglistik abschloss.

Ab 1984 reiste Alexandra Senfft regelmäßig in den Nahen Osten, außerdem erhielt sie ein Sprachstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der Ain Shams Universität von Kairo und lernte auch an der University of Jordan Arabisch.

Alexandra Senffts Berufsleben beginnt als Nahostreferentin in der Fraktion Die Grünen im Bundestag, anschließend arbeitete sie als Beobachterin des UNO-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge in der Westbank, um die Zwischenfälle zwischen palästinensischen Aufständischen und israelischem Militär zu dokumentieren. Sie wurde danach zur UNO-Pressesprecherin im Gazastreifen ernannt und erlebte dort neben der Intifada auch den Golfkrieg von 1991.

In den folgenden Jahren arbeitete sie als Reporterin und Redakteurin in verschiedenen TV-Sendern und schreibt seither als Freie Journalistin und Autorin für namhafte Zeitungen. Für die Heinrich-Böll-Stiftung war sie als Gutachterin tätig, für die sie zwischen 1992 und 2005 in Israel Projekte im Bereich der Zivilgesellschaft evaluierte. Sechs Jahre lang war Alexandra Senfft im Vorstand des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten. In dieser Funktion gab sie u.a. die Zeitschrift “Israel & Palästina” heraus und organisierte mit ihren KollegInnen Nahost-Tagungen mit hochkarätiger internationaler Besetzung.

Über die Bücher des israelischen Psychologen Dan Bar-On, dem Alexandra Senfft bereits 1991 begegnet war, kam sie im Jahr 2000 mit der Hamburger Körber-Stiftung in Verbindung, für die sie seither wiederholt als freie Mitarbeiterin in verschiedenen Projekten gearbeitet hat. Dazu gehört auch die Assistenz von Bar-On im dreijährigen internationalen Dialog-Trainingsseminar “Story-Telling in Conflict”, an dem auch Israelis und Palästinenser teilnahmen. 2008 erhielt Alexandra Senfft den Deutschen Biografienpreis.

2007 erschien Senffts Buch Schweigen tut weh. Eine deutsche Familiengeschichte, in dem sie das Schicksal ihres als Nazi-Verbrecher in der Slowakei hingerichteten Großvaters und die Auswirkungen für ihre Familie behandelte. 2008 gab sie zusammen mit dem Wiener Politologen John Bunzl das Buch Zwischen Antisemitismus und Islamophobie. Vorurteile und Projektionen in Europa und Nahost heraus. 2009 erscheint ihr Buch Fremder Feind, so nah. Begegnungen mit Palästinensern und Israelis. Um dieses Buch geht es in unserer Einladung.