Döbelner Anzeiger – Militärpfarrer kritisiert die Strategie in Afghanistan

Hartwig von Schubert berichtet beim ost-west-forum über seine Erfahrungen in Afghanistan.

14.02.2011, von Dagmar Doms-Berger

 

 

Seit 2002 sind deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert. Die Gewalt und die Armut haben die Truppen bis heute nicht erfolgreich bekämpft. Noch immer wird geschossen. Von der Aufbauphase ist das Land weit entfernt. Was ist da los?

Der Normalbürger durchblickt die Verhältnisse kaum. Über Hintergründe und Fakten hat jetzt Militärdekan Hartwig von Schubert im ost-west-forum Gut Gödelitz aufgeklärt. Der Pfarrer war vor einem Jahr für vier Monate am Hindukusch und hat deutsche Soldaten seelsorgerisch betreut. Von seinen Erfahrungen mit den Soldaten, über die Verhältnisse in Afghanistan und die bisherige mangelhafte Strategie der Mission hat er jetzt berichtet.

Frage nach dem Sinn zermürbt

Von Schubert schildert nicht das Elend des eigentlichen Soldatenlebens und die Traumata, die die jungen Männer erleben, wenn sie von den Taliban umzingelt erden. „Den Leuten macht am meisten die Sinnfrage des Einsatzes zu schaffen“, sagt Hartwig von Schubert. Welche Aufgabe haben wir Bundeswehrsoldaten? Was bringt das eigentlich? Diese Frage würden sowohl von der politischen als auch militärischen Führung völlig vernachlässigt. Hierzu gebe es keinerlei Aufklärung. Vielmehr mache sich die Botschaft breit, dass die Anwesenheit in Afghanistan ohnehin keinen Sinn mehr macht.

„Doch, sie ist sinnvoll“, so die Botschaft von Schubert. Die Soldaten seien in Afghanistan mit dem Versprechen angetreten, das Gewalt- und Armutsproblem zu lösen. Bisher sei dies nicht gelungen. Das zermürbt die Soldaten. Von Schubert kritisiert daher die bisherigen Strategie. Es sei schnell getan, Soldaten hin zuschicken, um Macht zu demonstrieren, Geld für Großprojekte locker zu machen. Doch damit sei man nicht weit gekommen. Am schwierigsten sei der kommunikative Bereich. Dieser wurde von den Führungseliten aber völlig vernachlässigt, daran lässt der Militärseelsorger keinen Zweifel. Ein Staat, wie er in Afghanistan gebraucht wird, könne nicht am Reißbrett entworfen werden, wie bisher von den Führungsmächten angenommen wurde. Dafür bedarf es großer Geduld und einer guten Strategie. Dazu verfasste von Schubert ein Papier: „Afghanistan und die Tugend strategischer Geduld“. Von Schuberts Ausgangspunkt besteht aus einfachen Wahrheiten, von denen man meint, dass sie führenden Entscheidungsträgern doch klar sein müssten. Afghanistan ist eine Nation, keine Demokratie. Es wird sehr lange dauern, bis es eine werden könnte. Außerdem wird Afghanistan noch in 100 Jahren auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen sein. Ganz wichtig: Die internationale Gemeinschaft muss den Afghanen in Augenhöhe begegnen. Gegen den Islam geht gar nichts. Die bestehenden patriarchalischen Strukturen müssen anerkannt und unterstützt werden. Benötigt wird Geld für den Bau von Straßen zwischen Dörfern sowie für den langsamen Aufbau funktionierender Verwaltungen. Um am Hindukusch etwas zu bewirken, müssten staatliche Entwicklungsgesellschaften gemeinsam mit Stammesführern und Provinzchefs Projekte planen, die den Menschen tatsächlich nützlich sind.

Doch wie bringt der Pfarrer und Seelsorger seine Arbeit in Nordafghanistan mit dem fünften Gebot „Du sollst nicht töten“ in Einklang? Dieser Leitsatz gilt für zivilisierte Gesellschaften, so von Schubert. Auf dem Weg dorthin aber bedarf es Sanktionen. Das Gewaltproblem in Afghanistan „kann nicht mit Tee trinken gelöst werden“, so von Schubert. Die Grundrichtung müsse aber klar sein. Der Unterschied des Einsatzes besteht darin, ob dem Land aus der Gewaltspirale geholfen werden soll oder ob Rohstoffe das alleinige Ziel sind.