Döbelner Anzeiger – Interview mit Edda Müller

Montag, 3. September 2012

„Seismograph für Fehlentwicklungen“

Für Edda Müller, Vorsitzende von Transparency Deutschland, ist Korruption kein Kavaliersdelikt.
Edda Müller, (70), arbeitete u. a. im Bundeskanzleramt und war Umweltministerin in Schleswig-Holstein.
Korruption – ein unvermeidliches Übel? Zu diesem Thema sprach Prof. Edda Müller, die Vorsitzende von Transparency International Deutschland e.V., amSonnabend beim Ost-West-Forum auf Gut Gödelitz. Wir wollten von ihr wissen, welche Rolle Korruption auf der Ebene der Städte und Gemeinden spielt.

Frau Müller, was ist Korruption für Sie?

Transparency Deutschland definiert Korruption als Missbrauch von anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil.

Ist Korruptionin in den Städten und Gemeinden aus Ihrer Sicht ein Problem?

Der Großteil der öffentlichen Investitionen wird auf kommunaler Ebene getätigt. Ob es um Bauvorhaben geht, um Abwasser oder Müll, und da kennen wir aus der Vergangenheit eine ganze Reihe von Fehlentwicklungen.

Es geht bei Korruption immer um zu große Nähe von politischen Entscheidern zu Akteuren, die nicht die wirtschaftlichen oder politischen Ziele der Gemeinschaft erreichen wollen, sondern ihr eigenen. Wer ein öffentliches Amt hat, muss der Allgemeinheit dienen, nicht einzelnen Interessen.

Wissen Sie, wie sich Ehren- und Verhaltenskodexe in der Praxis auswirken?

Wir haben keine Auswertung, ob es in einer Kommune, die einen solchen Verhaltenskodex hat, seltener zu Fehlentwicklungen kommt. Tatsache ist aber, dass immer dann, wenn es Probleme mit Korruption gegeben hat, Diskussionen in Richtung eines Verhaltenskodexes angestoßen worden sind.

Wie können diejenigen davor geschützt werden als Nestbeschmutzer zu gelten, die in kommunalen Verwaltungen auf Korruption aufmerksam machen?

Der Schutz von Hinweisgebern ist für uns ein ganz wichtiges Thema. Im öffentlichen Dienst ist derjenige, der eine Straftat bekanntmacht, arbeitsrechtlich geschützt. In der Wirtschaft ist das nicht so. Aber jemand, der im öffentlichen Dienst Korruption bekanntmacht, muss sich trotzdem immer fragen, ob er nicht Nachteile für seine persönliche Karriere hat. Für uns sind zwei Dinge wichtig: Erstens, dass der einzelne Zivilcourage zeigen sollte. Und zweitens, dass jeder die Möglichkeit haben müsste, auch anonym auf Korruption hinweisen zu können. Es müsste auf kommunaler Ebene, aber auch auf der Ebene der Länder eine Institution geben, wo man Hinweise geben könnte, ohne sich zu outen.

Wie sollte das aussehen, ein Rechtsanwalt oder ein Ombudsmann?

Ja, es gibt etwa Chemnitz einen Rechtsanwalt, an den sich Hinweisgeber wenden können.

Wie kommt Transparency Deutschland an seine Informationen?

Wir sind eine ehrenamtlich arbeitende Organisation und betreiben keine eigenen investigativen Untersuchungen, wir ermitteln nicht detektivisch, sondern wir verstehen uns als eine Art Seismograph, wir reagieren auf bekannt gewordene oder vermutete Fehlentwicklungen. Als internationale Organisation stellen wir allerdings eigene Untersuchungen an. Zu nennen wäre da der Korruptionswahrnehmungsindex, mit dem jährlich Experten feststellen, wie korrupt Länder sind. Interessant ist auch das Korruptionsbarometer, mit dem alle zwei Jahre untersucht wird, wer in den verschiedenen Ländern als besonders korrupt wahrgenommen wird. In Deutschland werden Justiz und Polizei sehr gut bewertet, während Parteien, Wirtschaft und öffentlicher Sektor eher negativ eingeschätzt werden.

Sachsen ist eines von fünf Bundesländern, das noch kein Informationsfreiheitsgesetz hat. Was soll dieses Gesetz bewirken?

Es soll das Bürgerrecht zur Einsicht in Dokumente der öffentlichen Verwaltung durchsetzen.

Ist Bürgerbeteiligung das Allheilmittel gegen Korruption?

Bürgerbeteiligung ist wichtig, weil sie Ausdruck dafür ist, dass sich die Bürger mit ihrem Umfeld, ihrer Gemeinde beschäftigen, nicht nur passiv sind. Das nimmt die Verantwortlichen stärker in die Pflicht. Ein Allheilmittel gegen Korruption ist sie nicht.

Eine Hand wäscht die andere, braucht es das nicht, um das Gemeinwesen am Laufen zu halten?

Nein, Korruption ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine enorme Gefahr und ein massives Entwicklungshemmnis in vielen Ländern der Dritten Welt und damit friedensbedrohend und menschenrechtsbedrohend. Deshalb kämpfen wir dagegen. Auch wenn wir die Korruption vielleicht nie ganz ausrotten werden können, lohnt es sich, etwas dagegen zu tun. Man darf nicht schulterzuckend sagen, der Mensch ist schlecht, die Welt ist schlecht.

Warum kommen Sie nach Gödelitz in die sächsische Provinz?

Weil dort das Ost-West-Forum angesiedelt ist, eine bekannte und sehr renommierte Diskussionsstätte. Transparency lebt davon, dass unsere Botschaft an die Menschen herangetragen wird, wir versuchen Bündnispartner zu finden, Aufklärung zu betreiben.

Sprechen Sie nicht zu Leuten, die eh schon überzeugt sind?

Man hat zunächst einmal die bereits Überzeugten vor sich. Aber, es ist wichtig, diese Menschen als Multiplikatoren anzusprechen. Sie mit Argumenten zu versorgen, damit die Botschaft weiter getragen werden kann.

Gespräch: Udo Lemke