Egon Bahr auf Gut Gödelitz
Montag, 8.10.2012
Gödelitz (rose). Erst wurde Egon Bahr nach einer rund zweistündigen Diskussion mit stehenden Ovationen in seine wohlverdiente Raucherpause geschickt, kurz darauf fasste Axel Schmidt-Gödelitz den Abend in einem Satz sehr treffend für alle zusammen: “Ich denke, einen solchen Geschichtsunterricht werden Sie nie wieder bekommen.” Der anschließende Applaus gab ihm Recht.
Die Veranstaltung auf dem Gut Gödelitz glich einer raschen Erzählung seiner Biografie. Bahr nahm kein Blatt vor den Mund, erzählte frei und ungezwungen und plauderte dabei sogar die eine oder andere Neuigkeit aus. Die Anekdoten “verfeinerte” er zudem gerne einmal mit einem kleinen Sketch zwischendurch.
Dabei fing es schon ergreifend an. Egon Bahr erzählte, wie er letztlich zur Wehrmacht gekommen ist. “Mein Vater meinte, wenn die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kommen, gibt es Krieg. Ich konnte das nicht so richtig glauben. Schließlich kamen sie an die Macht. Und 1936 gab es immer noch keinen Krieg, im Gegenteil, die ganze Welt jubelte in Berlin Hitler zu.” So entschloss sich Bahr, 1940 in die Wehrmacht einzutreten. “Ich wollte nicht laufen, darum habe ich mich gleich bei der Luftwaffe angemeldet.” 1944 wurde er dann aus der Wehrmacht entlassen. Er hatte vergebens verheimlicht, dass er eine jüdische Großmutter hat. “Nachdem ich entlassen worden bin, sind danach mehr Leute im Krieg umgekommen als in den vier Jahren zuvor”, berichtete Egon Bahr froh.
Bahr erinnerte sich auch daran, wie er zu seiner Zeit als Chefkommentator beim Rias den Aufstand am 17. Juni 1953 in der DDR miterlebte. “Wir haben schon früh von sozialen Unruhen erfahren. Durch den Marsch der Bauarbeiter Tags zuvor wurden wir schon überrascht.” Allerdings gab es Bedenken: “Der Sender sollte den Generalstreik ausrufen. Wir hatten aber Angst, dass sich dann nur wenige DDR-Bürger zusammenfinden und verhaftet werden.” Letztlich wurde die Meldung durch den DGB über den Rias verkündet. “Der Sender wurde zum Katalysator des Aufstandes. So etwas hat es nie wieder gegeben.” Bahr war sich schon damals sicher: “Einige Teile der NVA liefen schon zu den Aufständischen über. Hätten die Sowjets nicht eingegriffen, hätte es damals schon die Einheit gegeben.”
Diese rückte für ihn als engen Vertrauten von Willy Brandt nach dem Mauerbau 1961 in weite Ferne. “Ich war mir aber immer sicher, dass die Einheit gelingen würde.” Der SPD-Politiker trug mit seiner Entspannungspolitik in den folgenden Jahrzehnten wesentlich zu dieser Einheit bei.