Pfarrer, Bürgerrechtler, Friedensaktivist, Mahner und Versöhner – Friedrich Schorlemmer spricht beim Ost-West-Forum auf Gut Gödelitz, Döbeln.
15.4.2013
“Wir brauchen in der Demokratie heute mehr Mut. Die Diktatur hat mehr mutige Leute hervorgebracht, als die Demokratie. Doch die Demokratie lebt vom Mitmachen”. Es sind einige hochspannende Schlüsselsätze, die der Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer am Sonnabend zu seiner Lesung und dem anschließenden Gespräch beim Ost-West-Forum auf Gut Gödelitz ausspricht. “Klar sehen und doch hoffen” war der Abend nach dem Titel seines neuen Buches überschrieben. Doch der glänzende Rhetoriker sprach frei und pointiert über sein Buch, sein politisches Leben und über das, was ihn prägte.”Friedrich, steh auf! Die Russen sind in Prag einmarschiert.” Der erschütternde Weckruf seines Vaters aus dem Jahre 1968 geriet zum Schlüsselsatz seines Lebens: “Steh auf”. Aufgestanden ist er seither immer als Christ, in der DDR-Friedensbewegung, in der DDR-Opposition und genauso heute in der bundesdeutschen Demokratie. Er macht den Mund auf. “Wir brauchen nichtstaatliche Organisationen, Persönlichkeiten und Parteien in unserer Demokratie, um Dinge zu bewegen. Und jetzt muss jeder sehen, an welcher Stelle er sich einbringt.”
Gastgeber Axel Schmidt-Gödelitz über Friedrich Schorlemmer: “Ich kenne keinen, der so differenziert über die DDR spricht und der Zeit seines Lebens Bürgerrechtler geblieben ist.” Tatsächlich spricht Schorlemmer über viele Begegnungen in seinem Leben und die Folgen dieser Begegnungen. Er redet über Stasi-Spitzel und von den Menschen in der Nazizeit, ohne sie zu verurteilen. “Die Atmosphäre in der Zeit ist entscheidend, um zu beurteilen wie Menschen im Leben gehandelt haben oder auch nicht gehandelt haben. Bevor wir jemanden verurteilen, müssen wir die Umstände von damals einbeziehen.”
Schorlemmer selbst, der als Pfarrersohn und aufgrund seiner Geradlinigkeit im Leben in der DDR manchen Umweg gehen musste, und dessen Biografie gleich mehrere Stasispitzel hätten auch schreiben können, sieht sich dennoch nicht als Opfer der DDR-Diktatur. “Es gab nicht nur Mauern im System. Es gab auch Zäune und Lücken. Wir haben diese Lücken im System gefunden und auch Abitur gemacht”, schildert er. Und mancher sei aus Angst oder weil er noch einige Ziele im Berufsleben vor sich hatte, auch mal nicht aufgestanden, sagt er ohne Vorwurf in der Stimme. “Viele haben aber in 40 Jahren DDR immer die Wahrheit gesagt. Allerdings nur vorm Fernseher. Mit dem Aussprechen ihrer Meinung nur zuhause vorm Fernseher halten es viele auch heute noch so und schimpfen, weil sich nichts bewegt. Es gibt immer Ausreden, sich gerade nicht einzumischen und nicht gegen Unrecht aufzustehen.” Thomas Sparrer
Kommentar von Thomas Sparrer
Mut durch Persönlichkeit
“Die Demokratie braucht mehr Mut”, sagt einer, der in einer Diktatur immer aufgestanden ist. Und genau das, was Friedrich Schorlemmer den 280 Zuhörern am Sonnabend zum Ost-West-Forum auf Gut Gödelitz zu sagen hatte und vor allem, wie er es sagte, macht Mut. Einer, der zur DDR-Zeit bespitzelt wurde, manches Übel befürchten und manchen Umweg gehen musste, weil der gerade Weg für Menschen mit geraden Rücken versperrt war. Dieser Mann differenziert dennoch oder gerade deswegen, bei allen, die nicht mit aufgestanden sind oder auf der aus heutiger Sicht falschen Seite standen.Ob 1933 oder in der Zeit der DDR. Er beurteilt, analysiert, verurteilt aber nicht. Schorlemmer steht auch heute noch auf, wenn die Bundeswehr bewaffnete Drohnen anschaffen will, wenn Freiheit beschworen und Gerechtigkeit vernachlässigt wird, wenn die Schere zwischen Arm und Reich sich immer weiter öffnet. Er macht mit Persönlichkeit Mut, nach gescheiterten Diktaturen Lehren zu ziehen und die Demokratie richtig zu machen.