Gödelitz. Montag, 7. Oktober 2013 (Robin Seidler)
Die letzte Frage aus dem Publikum war für Egon Bahr am Sonnabendabend bei der Diskussionsrunde auf dem Gut Gödelitz wohl die schwerste. Er wurde nach seiner Meinung zum aktuellen Bundespräsidenten Joachim Gauck befragt und sollte Hintergründe erläutern, wie er das deutsche Staatsoberhaupt wurde. Der 91-Jährige stockte mehrmals, ließ aber anschließend durchblicken, dass er für Gauck nicht unbedingt so viele Sympathien übrig hat. Es war eine seiner vielen ehrlichen Antworten während seiner Buchvorstellung zum neuen Werk “Das musst Du erzählen – Erinnerungen an Willy Brandt”.
In seinem Vortrag ging er auf die verschiedenen politischen Etappen aus den Jahrzehnten der Nachkriegszeit ein. Der ehemalige Bundesminister, Staatssekretär sowie Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes war der wohl engste Weggefährte von Willy Brandt. Dieser wurde 1966 Außenminister in der Großen Koalition. “Die Große Koalition war vom Versuch getragen, Deutschland und Europa zu versöhnen. Dazu wurde genauestens geprüft, welche politischen Mitarbeiter eine nationalsozialistische Vergangenheit haben”, sagte Bahr. Die Idee der Versöhnung wurde laut Bahr aus dem Osten allerdings ausgeschlagen.
Dennoch waren Bahr und Brandt weiterhin bestrebt, den “Wandel durch Annäherung” langsam herbeizuführen. “Das System der Abschreckung blieb zwar zunächst erhalten, doch wir haben gemerkt, dass wir Deutsche gegenüber den vier Siegermächten immer mehr Einfluss hatten.” Grundlage dafür war eine geheime Vereinbarung zwischen den Großmächten. “Kennedy und Chruschtschow hatten die stille Vereinbarung, in Deutschland und in Europa keinen neuen Krieg zu beginnen. Diese Vereinbarung gilt bis heute. Kürzlich haben Obama und Putin in St. Petersburg zum Syrien-Konflikt beraten. In dem 20-minütigen Gespräch ist nicht viel herausgekommen, aber an diese jahrzehntelange Vereinbarung wurde erinnert.”
Egon Bahr äußerte sich auch zum Rücktritt von Willy Brandt. “Der Rücktritt war nach der Spionage-Affäre im Guillaume subjektiv unausweichlich, aber objektiv betrachtet unnötig.” Bahr kritisierte parallel dazu das Verhalten von Herbert Wehner, der damals die SPD-Bundestagsfraktion leitete. “Er hat ihm im Bundestag zum Abschluss einen Blumenstrauß mit vielen lieben Worten geschenkt. Soviel Heuchelei konnte ich nicht ertragen”, erinnert sich Bahr. “Meiner Meinung nach war der Bundeskanzler damals der Lockvogel für die Enttarnung eines Spions.” Auf Anfrage erzählte Bahr auch über den Kniefall von Warschau. “Geplant war er von Willy Brandt nicht. Aber er merkte vor dem Denkmal, dass eine Kranzniederlegung in diesem Moment zu wenig gewesen wäre.”
Aktuell kann sich Bahr eine Minderheitsregierung von Rot-Rot-Grün vorstellen. “Allerdings ist die Linke derzeit auf Bundesebene noch nicht regierungsfähig. Dazu müssen sie die Verträge mit der UN, der EU und der Nato anerkennen.”