Sächsische Zeitung – Begegungnen im Kalten Krieg

Auch Politiker sind Menschen. Fehlbar und schwach, sagte SPD-Veteran Egon Bahr vor 200 Zuhörern auf Gut Gödelitz.

Gödelitz, Montag, 07.10.2013, von Benjamin Schuke

Es wurde sehr still im Saal des Gutes Gödelitz, als Egon Bahr am Sonnabend das Wort ergriff. Kurz nach der Erscheinung seines neuen Buches „Das musst du erzählen“ holte der 91-Jährige aus, um die Hintergründe seines Wirkens im Kalten Krieg zu beleuchten. Es ging quer durch die Nachkriegszeit. Er erklärte, dass er sich angesichts des Mauerbaus klein und bescheiden gefühlt habe. „Wir waren die Objekte der Großmächte. Wir dachten, wir müssen wenigstens versuchen, ein paar Risse in die Grenze zu bringen, um Familienbegegnungen zu ermöglichen.“ So kam es 1963 zum Passierscheinabkommen und am 12. August 1970 zum Moskauer Vertrag, in dem sich die BRD und die Sowjetunion auf einen Gewaltverzicht einigten. Freie Selbstbestimmung und die Wiedervereinigung waren darin bereits als deutsches Ziel formuliert worden.
Chruschtschow und Kennedy hätten sich still geeinigt, wegen Berlin dürfe es keinen Krieg geben. Diese Vereinbarung sei angesichts brisanterer Weltregionen und der militärischen Macht der USA sowie Russlands nach wie vor gültig. Auch Obama und Putin würden sich heute daran halten. Souverän sei Deutschland nicht. Doch das sei kein Land der Welt. Auf eine Frage eines Studenten, ob man die Sonderrechte der Alliierten beenden könne, antwortet er: „Das ist kein Thema. Als wir den Moskauer Vertrag schlossen, hatten wir keine Lust auf Reparationsforderungen.“
Eine strittige Figur der westdeutschen SPD sei Herbert Wehner gewesen, der Egon Bahr seine gesamten Aufzeichnungen aus seiner KPD-Zeit in Moskau und Schweden übergab. Hier wurde Bahr skeptisch, weil er seinerzeit beim Radio im amerikanischen Sektor (Rias) tätig war. Diese Position dürfte für einen ehemals überzeugten Kommunisten nicht die vertrauensvollste Adresse gewesen sein. Auch sei der Riesenblumenstrauß beim Abgang Brandts und die Worte „Wir alle lieben dich“ heuchlerisch gewesen.
Erfolg dagegen habe die Umgehung der eigenen diplomatischen Wege bei der Verhandlung mit der Sowjetunion gehabt. Vor der Einstellung von Günter Guillaume im Kanzleramt habe er einen Zettel an dessen Akte befestigt und gewarnt, dass er den Posten für zu sensibel halte.
Skeptische Blicke erntete die Empfehlung an den Bundestag, in geheimer Abstimmung einen neuen Kanzler zu wählen. Das habe den Vorteil, dass keine Neuwahl erfolgen müsse, denn des Volkes Votum sei bindend. Zuvor hatte der Journalist und Politiker die Linke als regierungsunfähig gebrandmarkt. „Ich kann mir die Partei nicht in der Regierung vorstellen, solange sie sich nicht zu den vorhergehenden Verträgen der BRD zur Nato, Uno und EU bekennt.“ Der Unwille sei an Absolutpositionen gegen Auslandseinsätze zu erkennen.