“Das musst Du erzählen” – Erinnerungen an Willy Brandt

Veranstaltung am 5. Oktober 2013

Veranstaltung mit Egon Bahr am 5.10.2013

Egon Bahr hat die Summe seiner Erinnerungen aufgeschrieben – die Erinnerungen an das politische Werk, dass Willy Brandt und er mit der neuen Ost- und Deutschlandpolitik gemeinsam vollbracht haben. Egon Bahr als Architekt und Bauleiter, Willy Brandt als Bauherr. Es begann mit Egon Bahrs Eintritt in die West-Berliner Senatskanzlei und führte weiter in die Große Koalition von 1966-69, in der Willy Brandt als Außenminister und Egon Bahr im dortigen Planungsstab die neue Ost-und Deutschlandpolitik konzeptionell vorbereiteten.

Nach dem Wahlsieg von 1969 und mit Willy Brandts Kanzlerschaft konnte diese Konzeption gemeinsam mit dem Koalitionspartner FDP Schritt für Schritt in die politische Wirklichkeit umgesetzt werden.

Willy Brandt blieb der Chef, der charismatische Politiker, der 1972 der SPD den größten Wahlsieg in ihrer Geschichte erkämpfte. Er gab dem klugen und zähen Verhandler Bahr die notwendige politische Rückendeckung. Willy Brandt, oft introvertiert, empfindsam und empfindlich, wurde im Verlaufe der Jahre ein Freund. Diese Freundschaft entwickelte sich behutsam, vorsichtig und respektvoll, über einen langen Zeitraum hinweg, in dem beide Triumphe genossen aber auch bittere Niederlagen einstecken mussten. Den Intrigen Herbert Wehners standen sie fast hilflos gegenüber.
„Willy Brandt und Egon Bahr“, so beschrieb Richard von Weizsäcker diese erfolgreiche Partnerschaft „ das war ein ziemlich einmaliges Zusammenwirken zweier völlig verschiedener Persönlichkeiten. Jeder kam erst mit Hilfe des anderen zur wirksamen Entfaltung seiner eigenen Gaben.“

Wie sehr politische Erfolge nicht nur von Interessen, sondern auch von den Beziehungen einzelner Persönlichkeiten abhängig sein können, beschreibt
Egon Bahr in seinem dieses Jahr erschienen Buch mit dem Titel „Das musst Du erzählen“ auf eine beeindruckende Weise:
Zwischen dem sowjetischen Generalsekretär Breshnew und Brandt stimmte für alle sichtbar die „Chemie“, was sich nicht nur bei den oft stockenden Verhandlungen mit der DDR als hilfreich erwies. Das Verhältnis zwischen Egon Bahr und dem US-Außenminister Kissinger entwickelte sich harmonisch und mit dem außenpolitischen Berater der Sowjets und langjährigen Botschafter in Bonn, Valentin Falin freundete sich Egon Bahr an. Selbst dem zähen DDR-Verhandler Michael Kohl entlockte er am Ende ein paar freundschaftliche Gefühle und Gesten. Das alles schlug sich auch in den Verhandlungsergebnisse nieder.
Die für Egon Bahr wertvollste menschliche Beziehung aber war die Freundschaft zu Willy Brandt. Als dieser 1992  im Sterbebett lag, sahen sich die beiden ein letztes Mal. Als Bahr das Zimmer verließ fühlt er sich allein und leer. Eine Woche später erhielt er ein Schreiben von Brandts Sohn Lars. Auch er hatte sich von seinem Vater verabschiedet – und als er sich an der Türe noch einmal umdrehte und fragte: „Wer waren Deine Freunde?“ kam die Antwort: „Egon“.

Wir freuen uns, Egon Bahr erneut auf Gut Gödelitz begrüßen zu dürfen.


 

zur Person: Prof. Dr. H.C. Egon Bahr

geboren 1922 in Treffert/Thüringen. Schulzeit in Berlin. 1942 bis 1944 Soldat im zweiten Weltkrieg. Nach 1945 arbeitet er als Journalist bei verschiedenen Zeitungen und zehn Jahre lang als Chefkommentator beim Rias Berlin (Radio im amerikanischen Sektor). 1960 bis 1966 Senatssprecher und Leiter des Presse- und Informationsamtes unter dem regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt.

In dieser Zeit entwickelte Bahr gemeinsam mit Willy Brandt die Leitgedanken für die spätere neue Ostpolitik. Bahr wird zum Architekten der Verträge mit Russland, Polen und der DDR (“Wandel durch Annäherung”) sowie zum Vordenker und Strategen für die Beendigung des kalten Krieges. Mit beginn der Kanzlerschaft Willy Brandts wird er Staatssekretär und Bundesminister für besondere Aufgaben im Bundeskanzleramt in Bonn.

Nach dem Rücktritt Brandts wird Egon Bahr 1974 Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Von 1976 bis 1981 bekleidet Bahr das Amt des Bundesgeschäftsführers der SPD. Bis 1991 ist er Präsidiumsmitglied der Partei. Von 1984 bis 1994 leitet er das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg.

Anlässlich seines 80. Geburtstages wird Egon Bahr die Ehrenbürgerwürde von Berlin verliehen.