Rückblick – Vom Verdrängen und Schweigen – Gut Gödelitz 14.3.2015

Lesung und Gespräch mit dem Schriftsteller und Juristen Professor Dr. Bernhard Schlink

Foto von Wendelin Szalai

Foto von W. Szalai

 

Bernhard Schlink und Gut Gödelitz. Fast wundert man sich, dass der Literat und Jurist und der Verein noch nicht eher aufeinander gestoßen sind. Der realistische Skeptiker und strenge Moralist, wie ihn der Literaturbetrieb bezeichnet, hat ein starkes Lebensthema: Die NS-Geschichte oder genauer gesagt, die Auseinandersetzung damit oder noch präziser: Die Auseinandersetzung seiner nach dem Krieg aufgewachsenen Generation mit der Verdrängung und dem Schweigen der Väter und Mütter.

 

Seine Kriminalromane um den zerrissenen Helden Gerhald Selb setzen sich damit ebenso auseinander wie sein wohl erfolgreichstes Werk „ Der Vorleser“. Diese Geschichte ist nicht nur eine gewagte Liebesgeschichte zwischen einer ehemaligen KZ-Aufseherin und einem 15-jährigen Schüler, sondern auch die einer schuldhaften Verstrickung in das Nazi-Regime und des Umgangs mit den Tätern des Holocaust in der Bundesrepublik der 1960er Jahre. Als das Buch 1995 in Deutschland erscheint, wird es zunächst verhalten aufgenommen. Erst als Entertainerin Oprah Winfrey “The Reader” nach dem US-Start 1999 zum Buch des Monats kürt, geht der Hype los: Wochenlang steht der deutsche Roman auf der Bestsellerliste der New York Times, mehr als eine Million Exemplare werden allein in Amerika verkauft. Heute ist „Der Vorleser“ in mehr als 50 Sprachen übersetzt und weltweit ein Millionenseller, gekrönt durch die Hollywoodverfilmung mit Kate Winslet.

 

Auch der Roman „Das Wochenende“ setzt sich mit schwerem Gepäck auseinander. Er handelt von einem nach zwanzig Haftjahren entlassenen RAF-Terroristen, der das erste Wochenende in Freiheit im Kreis alter Freunde auf dem Land verbringt. Dieses Sommerstück ist eine selbstkritische Betrachtung, was aus den Ideen und Lebensentwürfen der 68er-Generation geworden ist. Was macht die Zeit mit den Menschen? Wie stellt sich ein jeder der Vergangenheit? Das sind die Fragen, denen Bernhard Schlink nicht nur in diesem Buch nachgeht. Vielleicht sind es jene Fragen, die auch den Juristen Bernhard Schlink bewegen.

 

“Wenn Täter immer Monster wären, wäre die Welt einfach”, sagte er 2009 in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung. Statt um eine literarische Rechtfertigung der Täter, so Schlink, sei es ihm allein um die Ausleuchtung des moralischen Dilemmas gegangen, in dem sich seine Generation, die ’68er, befände: Einerseits habe die sich gegen ihre Nazi-Eltern abgrenzen müssen, andererseits wollte sie deren Verhalten aber auch verstehen. Die Auseinandersetzung mit diesen komplizierten Fragen macht Bernhard Schlink zu einer Moralinstanz, zu einem ernsthaften Denker und spannenden Gesprächspartner – und deshalb für uns in Gödelitz so wichtig. Deshalb freuen wir uns sehr, dass der vielbeschäftigte Autor am 14. März auf das Gut kommt und u.a. aus seinem neuen Buch “Die Frau auf der Treppe” vorliest. Inspiriert von Gerhard Richters Bild „Ema – Akt auf der Treppe”, bleibt Schlink auch im jüngsten Werk seinem Thema treu. Lebensentwürfe zeigen hier Spießeridyll und dort Verweigerung. Auch dieses Buch ist ein Buch über das Zurückblicken, auch hier wird das zurückliegende Leben hinterfragt. Und es erzählt über den Mut, etwas hinter sich zu lassen, einen Neuanfang zu wagen, Scheitern eingeschlossen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Adina Rieckmann, Mitglied des Vorstands

 

Presse:

Döbelner Allgemeine – Einfache kleine Leute in großen Geschichten

Sächsische Zeitung – Döbelner Anzeiger – Von der Macht der Erzählung

 

Zur Person: Bernhard Schlink Bernhard Schlink, der 1944 in Großdornberg bei Bielefeld geboren wurde und in Heidelberg aufgewachsen ist, studierte Jura an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und an der Freien Universität Berlin. Er war bereits erfolgreicher Jurist und Professor für Öffentliches Recht, als er im Jahre 1987 gemeinsam mit seinem Freund Walter Popp seinen ersten Roman, »Selbs Justiz«, herausbrachte. Es folgten weitere Kriminalromane um die Figur des Privatdetektivs Gerhard Selb, die Schlink ohne Popps Mitarbeit verfasste: »Selbs Betrug« (1992) und »Selbs Mord« (2001). In den dazwischenliegenden Jahren arbeitete Schlink weiterhin als Jurist. So hatte er u. a. eine Professur an der Berliner Humboldt-Universität inne und vertrat 2005 die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht gegenüber zwei Bundestagsabgeordneten, die Klage eingereicht hatten. Unterdessen ging seine schriftstellerische Tätigkeit weiter: Sein wohl erfolgreichstes Werk Der Vorleser erschien 1995. Es wurde in 39 Sprachen übersetzt, erhielt zahlreiche Literaturpreise und wurde 2008 vom britischen Regisseur Stephen Daldry fürs Kino inszeniert. Auch die Erzählsammlung Liebesfluchten wurde 2000 zu einem Bestseller. 2008 verfilmte Richard Eyre die Erzählung Der Andere. Mit Die Frau auf der Treppe schaffte es Bernhard Schlink auf Platz 1 der Bestsellerliste “Belletristik” des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Schlink ist SPD-Mitglied und Mitglied in der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland. Er lebt in New York City und Berlin.

 

Werke

  •  1987 Selb Justiz
  •  1988 Die gordische Schleife
  •  1992 Selbs Betrug
  •  1995 Der Vorleser
  •  2000 Liebesfluchten
  •  2001 Selbs Mord
  •  2006 Die Heimkehr
  •  2007 Vergangenheitsschuld
  •  2008 Das Wochenende
  •  2010 Sommerlügen
  •  2011 Gedanken über das Schreiben
  • 2014 Die Frau auf der Treppe

Verfilmungen

  • 1991 Der Tod kam als Freund (Vorlage: Selbs Justiz, ZDF)
  • 2008 Der Vorleser (The Reader)
  • 2008 Der Andere (The Other Man)
  • 2013 Das Wochenende (The Weekend)

Auszeichnungen und Preise

  • 1989 Friedrich-Glauser-Preis für »Die gordische Schleife«
  • 1993 Deutscher Krimi Preis für »Selbs Betrug«
  • 1995 Stern des Jahres der Münchner Abendzeitung für »Der Vorleser«
  • 1997 Premio Grinzane Cavour (italienischer Literaturpreis) für »Der Vorleser«
  • 1997 Prix Laure Bataillon (französischer Literaturpreis) für »Der Vorleser«
  • 1998 Hans-Fallada-Preis für »Der Vorleser«
  • 1999 WELT-Literaturpreis für sein literarisches Werk
  • 2000 Ehrengabe der Heinrich-Heine-Gesellschaft
  • 2000 Evangelischer Buchpreis für »Der Vorleser«
  • 2000 Sonderkulturpreis der japanischen Zeitung »Mainichi Shimbun« für »Der Vorleser«
  • 2001 »Eeva-Joenpelto-Preis« (Finnischer Literaturpreis)
  • 2003 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
  • 2014 Park Kyung-ni (koreanischer Literaturpreis)