Der Autor des Bestsellers „Der Vorleser“ liest in Gödelitz. Der Saal ist voll, von Dagmar Doms-Berger, 16. 03. 2015
Gödelitz liest auch. Während in Leipzig Tausende Fans versuchten, einen Platz bei ihren Lieblingsautoren zu ergattern, standen am Sonnabend auch in Gödelitz Leser Schlange, um einen der begehrten Plätze im Konferenzsaal des Ost West Forums Gut Gödelitz zu bekommen. Groß war das Interesse an Bernhard Schlink, dem Autor, der vor 20 Jahren das Buch „Der Vorleser“ schrieb, das Millionen lasen, das mit Preisen überhäuft wurde und drei Jahre später von Regisseur Stephen Daldry verfilmt wurde mit Kate Winslet in der Hauptrolle. Das Buch, in über 50 Sprachen übersetzt, verhalf Schlink zu seinem literarischen Durchbruch. Spätestens seitdem gilt der promovierte Jurist einem Millionenpublikum als Moralinstanz, wenn es um die Auseinandersetzung seiner Generation mit Schuld und Verdrängung der Eltern geht, um Erinnerung und Vergessen. „In unserer Generation waren die Täter noch in unserer Mitte, es ging um Abgrenzung und Verstehen. Die jungen Menschen heute stellen ihre Fragen aus einer anderen Sicht“, so Schlink.
Sein Besuch am Sonnabend auf Gut Gödelitz galt seinem neuen Roman „Die Frau auf der Treppe“. Auch diesmal bleibt er seinem Thema treu: Es geht um Mut, etwas hinter sich zu lassen, Neuanfang zu wagen inklusive bitterer Einsichten. Das Hauptgerüst ist eine tragische Liebesgeschichte aus der Zeit der 68er. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau zwischen drei Männern, denen sie sich entzieht. Schlink ließ sich für seinen Roman von Gerhard Richters Bild „Ema. Akt auf einer Treppe“ inspirieren und webte seine Geschichte drum herum. Der Frau, um die es sich dreht, gab Schlink den Namen Irene, die Friedliche. Dieser Wesensart entspricht sie aber gar nicht, sie ist vielmehr eigensinnig und streitsüchtig. Die Männer, die sie um den Finger wickelt, sind zum einen ihr Ehemann, der mächtige Finanzmann Gundlach und der Maler Schwind, der sie im Auftrag ihres Gatten porträtierte und mit dem sie schließlich durchbrennt. Der hinzugezogene Anwalt – er ist es, der uns die Geschichte erzählt – erblickt das Bild, einen Akt, der die Treppe hinabsteigt, und verliebt sich in das Modell. Er hilft ihr, das Gemälde zu entwenden. Am Ende trickst Irene alle drei aus: Sie verschwindet mitsamt dem Bild. Später sagt sie, dass sie jemanden wollte, der etwas riskiert. Dafür kam keiner der Männer infrage. 40 Jahre später begegnen sich alle noch einmal an der australischen Ostküste, dort, wo Irene lebt. Der Anwalt bleibt schließlich. Er pflegt die todkranke Frau. Gemeinsam stellen sie sich vor, wie ihr gemeinsames Leben hätte aussehen können. Er fängt an, sein Leben infrage zu stellen. In Gesprächen wird ihm klar, dass er ein gefühlsarmer, penibler Spießer gewesen ist. Irene am Ende: „Mein Leben fühlt sich wie eine Vase an, die auf den Boden gefallen und in Stücke zersprungen ist“.