Klänge, Rhythmen und Strukturen – Arbeiten von Jens Küster

33. Kunstausstellung des ost-west-forum Gut Gödelitz e. V., Eröffnung am 6. Juli 2015

Laudatio: Prof. Dr. Wendelin Szalai

Video zur Ausstellung

Liebe Mitglieder und liebe Freunde des ost-west-forum Gut Gödelitz,

meine Damen und Herren,

im Namen des Vorstandes begrüße ich Sie zu einem Abend der Künste.
Zu Beginn eröffnet unser Bürgerverein eine neue Kunstausstellung. Es ist unsere 33. Und es ist die vierte und letzte Ausstellung in einem Zyklus, der sich mit Beziehungen zwischen bildender Kunst und Musik befasst:

In der Doppelausstellung von Christiane Just und Andreas Hegewald waren unter dem Titel „Klangfarben“ Bilder zu sehen, die zu Orgelmusik gemalt worden sind. „Farben von Licht und Klang“ hieß die Ausstellung mit Arbeiten der russischen Malerin Natalja Simonenko. Und der Grafiker Klaus Fiess hatte seine Gödelitzer Ausstellung „Klangzeichnungen“ genannt. Unsere neue Kunstausstellung trägt den Titel „Klänge, Rhythmen und Strukturen“. Wir fangen ganz praktisch mit Klängen und Rhytmen an. Wir hörten eine kleine Probe von traditioneller nordindischer Musik. Gespielt wurden diese Rhythmen auf traditionellen Trommeln.

Der Musiker war Jens Küster.

Vielen Dank, lieber Herr Küster. Seien Sie in Gödelitz herzlich willkommen.
Nach den Klängen und den Rhythmen kommen wir zu den Strukturen. Wir finden sie an den Wänden, in den Bildern unserer neuen Kunstausstellung. Diese „Strukturbilder“ sind Arbeiten von Jens Küster.

Ich möchte Ihnen nun den vielseitigen Künstler kurz vorstellen:

© Jens Küster

© Wendelin Szalai

Jens Küster wurde 1965 in Dresden geboren.
Von 1991 bis 1998 hat er an der Hochschule für Kunst & Design in Halle studiert in den Fächern Metallplastik, Grafik und Malerei. Das Studium hat er mit dem Diplom für Malerei und Grafik abgeschlossen. Seit 1994 befasst sich Jens Küster intensiv mit nordindischer Rhythmik und ihrem Spiel auf speziellen Trommeln, den Tablas. Mehrfach war er in Calcutta und in Berlin zu Studien bei einem bekannten Lehrmeister für diese Kunst – bei Pandit Sankha Chatterjee.
Seit 1998 lebt und arbeitet Jens Küster als freischaffender Künstler in Dresden.
Arbeiten von ihm waren bereits in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen.
Was haben sein Tablaspiel und seine Strukturbilder miteinander zu tun? Wie entstehen seine „Strukturbilder“, die viele Betrachter auf den ersten Blick vielleicht an Teppichmuster denken lassen?

Eine Selbstaussage des Künstlers kann uns Antwort geben:

„Zum Erlernen der Bausteine der nordindischen Rhythmik benutze ich die „Tabla“. Sie ist in Nordindien das gebräuchlichste Rhythmusinstrument und besteht aus einer hellen Pauke und der Basspauke. … Das Erlernen des Spieles ist nicht zu denken ohne regelmäßige Korrektur durch einen kompetenten Lehrer… Unter häufigen Konsultationen übe ich an rhythmischen Figuren. … Den hörbaren rhythmischen Figuren adäquat kombiniere ich Stempel verschiedenster Formqualitäten und fülle mit diesen vorher gerasterte Flächen. …Die entstehenden Bilder sind festgehaltene Zeiteinteilungen hörbarer Rhythmik.“

Jens Küster formt also rhythmische Klänge als eine Art von inneren Strukturen in äußere Strukturen um.

Er „übersetzt“ Hörbares in Sichtbares.

© Jens Küster

© Jens Küster

Das Sichtbare ist eine Struktur, besteht aus einem Muster – einer geordneten Abfolge von Zeichen (von Punkten, Strichen, Kreisen, Rechtecken) und von Farben. Die so entstehenden „Strukturbilder“ sind gewissermaßen Ergebnisse eines „Strukturwandels“ der besonderen Art, der Umwandlung innerer in äußere Strukturen.
Begonnen hat Jens Küster mit der Übertragung von Strukturen auf Metallflächen, was bei einem studierten Metallplastiker ja nahe liegt. Später ist er dazu übergegangen, die gefundenen Strukturen mit Pinsel und Farbe auf Papier oder Leinwand zu malen. Das passt gut zu einem diplomierten Maler.
Schließlich hat er in der Drucktechnik die für seine künstlerischen Absichten am besten geeignete Arbeitsweise gefunden. Als Grafiker kennt er sich mit Drucktechniken aus.
Mit selbst gefertigten Linolstempeln druckt Jens Küster seine Strukturbilder. Für jedes Bild erfindet er eine eigene Form- und Farb-Struktur, eine eigene Zeichensprache.

Bei einem Atelierbesuch habe ich den Künstler auch gefragt, ob er seine aus hörbaren Rhythmen abgeleiteten sichtbaren Strukturen in Klänge und Rhythmen zurück verwandeln, sie sozusagen rückübersetzen kann? Seine Antwort lautete: Prinzipiell geht das, aber eindeutige Zuordnungen sind nicht möglich.

Die von Musik, von Klängen und Rhythmen angeregten und hergeleiteten Strukturbilder von Jens Küster können uns Betrachter auch ohne ihre „Ausgangsmusik“, ja ohne jegliche Musik, ansprechen. Sie können eine von Musik unabhängige Eigenwirkung entfalten. Diese Wirkung ist, wie bei aller Kunst, individuell und subjektiv.

Die Freiräume für eine fantasievolle Rezeption der abstrakten, also gegenstandslosen, Arbeiten von Jens Küster sind sehr groß.Der Künstler überlässt die Deutung, die Sinnsuche und die Sinnbildung vollständig dem Betrachter. Er macht uns dazu keinerlei Vorgaben, gibt keinerlei Anregungen. Auch seine Bildtitel bleiben inhaltlich deutungsfrei.

Darum möchte ich jetzt als Beispiel für eine solche individuelle Kunstrezeption etwas dazu sagen, wie die Bilder unserer neuen Ausstellung mich ansprechen, woran sie mich erinnern, was ich in ihnen sehe, was sie für mich sichtbar machen, welche Stimmungen, Gefühle und Gedanken sie in mir auslösen. Und Sie alle haben bis Ende September, so lange wird diese Ausstellung zu sehen sein, die Gelegenheit, das gleiche für sich zu erkunden. Also:
Je länger und je konzentrierter ich auf ein Strukturbild von Jens Küster schaue, desto mehr gewinne ich den Eindruck, dass die Bildfläche sich bewegt, leicht vibriert. Unterschiedliche Muster treten hervor. Und die Bildebene bekommt an manchen Stellen Tiefe, lässt Vorder- und Hintergrund erahnen.

© Jens Küster

© Jens Küster

Manche Arbeiten erinnern mich an Muster auf ganz frühen Keramikgefäßen. Bei anderen Strukturbildern denke ich an antike Mosaiken. Auf Reisen habe ich in Spanien und Portugal traditionelle Fliesen, die Azulejos, gesehen. Auch sie kommen mir beim Anschauen der Bilder von Jens Küster in den Sinn. Und in einer türkischen Teppichweberei meine ich ähnliche traditionelle Muster gesehen zu haben.

Noch etwas fällt mir zu den Bildern von Jens Küster ein:
Vor rund 40 Jahren kam aus Nordamerika eine moderne Kunstströmung, die sich „P&D“ (Pattern & Decoration) nannte, also Muster und Dekoration. Mit dieser abstrakten Kunst erfuhren die Schmuckelemente eine Aufwertung als ein eigenständiger Bereich von bildender Kunst.Schmücken, Zieren und Ordnen waren ein charakteristisches Merkmal von P&D. Vielleicht ist davon auch Jens Küster beeinflusst worden, möglicherweise ganz unbewusst.

Und in einigen seiner Strukturbilder entdecke ich Beziehungen zu Arbeiten weltbekannter Dresdener zeitgenössischer Künstler, so zu den archaischen Bildzeichen von A. R. Penck (der in mit bürgerlichem Namen Ralf Winkler heißt) sowie zu den Streifenbildern von Gerhard Richter.
Für mich haben die Arbeiten von Jens Küster auch eine antropologisch- philosophische Dimension. Diese reicht über das Sinnliche des Fühlens und das Rationale des Denkens hinaus.

Der antike griechische Philosoph Platon (Er ist 348 v. Chr. gestorben.) hat mit folgendem Satz eine solche Wirkrichtung von Kunst angedeutet:
„Musik und Rhythmus finden ihren Weg zu den geheimsten Plätzen der Seele.“

Und in ähnlichem Sinne hat sich Johann Wolfgang von Goethe geäußert:
„Der Rhythmus hat etwas Zauberisches, sogar macht er uns glauben, das Erhabene gehört uns an.“

Alles – die gesamte Welt und auch jeder von uns – besteht aus Strukturen. Die Wissenschaft dringt immer tiefer in den Makrokosmos und in den Mikrokosmos vor. Und dabei erkennt sie solche Strukturen immer genauer. Zugleich ist die gesamte Welt und auch jeder von uns durch Rhythmen gekennzeichnet. Das reicht von den Bewegungen des Universums bis zu unseren biologischen Rhythmen, die wir oft innere Uhr nennen.
Strukturen und Rhythmen sind existenzielle Elemente von Welt, von Sein, von Leben. Ich habe beim Betrachten der Strukturbilder von Jens Küster das Gefühl, dass diese Grundprägungen unseres Seins in meinem Unterbewusstsein anklingen. Wahrscheinlich entfalten diese Arbeiten auf mich auch eine Art von mediativer Wirkung. Sie können mir das Finden von Ruhe und die Besinnung auf mich selbst erleichtern.
Vielleicht geht es manchen von Ihnen ähnlich. Probieren Sie es einfach aus.

Liebe Freunde, meine Damen und Herren,
nur am heutigen Abend wird die Ausstellung „Klänge, Rhythmen und Strukturen“ von Jens Küster ergänzt und begleitet von einer kleinen Präsentation unter dem Titel „Blumen“. Auf den Tischen an der roten Wand sind Schnitzereien von Armin Küster zu sehen. Ich halte eine dieser Arbeiten hoch.

Bei Armin Küster handelt es sich um den Vater von Jens Küster.
Auch der Schöpfer dieser Kleinplastiken ist heute zu uns nach Gödelitz gekommen, und wir begrüßen ihn in unserer Mitte.
Ich möchte Ihnen Armin Küster und seine Arbeiten kurz vorstellen.

Er ist 1939 in Dresden geboren. Zunächst hat er Kraftfahrzeugschlosser gelernt und einige Jahre auch in diesem Beruf gearbeitet. Später hat er am Pädagogischen Institut in Dresden studiert. Bis zum Eintritt ins Rentenalter war er in Dresden Lehrer für Mathematik und Geografie.

Nach der Wende kam für ihn das Fach Werken dazu, für das es aber keinen neuen Lehrplan gab. Somit waren die Möglichkeiten für ein individuelles schöpferisches Arbeiten besonders groß. Armin Küster hat diese Freiräume vor allem dazu genutzt, mit seinen Schülern Dinge aus Holz und Gasbeton zu schnitzen. Mit besonders interessierten Jungen und Mädchen wurde in einer Arbeitsgemeinschaft vor allem für Ausstellungen in der Advents- und Weihnachtszeit geschnitzt und gebastelt.

Später als Rentner hat er in einem Freitaler Kindergarten mit interessierten Fünf- und Sechsjährigen schöne Holzarbeiten gemacht. Das Schnitzen wurde für Armin Küster die wichtigste, schönste und befriedigendste Freizeitgestaltung. In seinem Gartenhäuschen hat er sich dafür eine gut bestückte Werkstatt eingerichtet.

Für den Natur- und Gartenfreund sind Blumen das bevorzugte Schnitzmotiv.  Auf Armin Küster trifft das chinesische Sprichwort „Wer Blumen liebt, hat auch Phantasie“ voll zu. Und auch ein deutsches Sprichwort passt zu ihm: „Die Blumen machen den Garten, nicht der Zaun.“  Mit ausgeprägtem Sinn für Schönes und mit großem handwerklichem Geschick schafft Armin Küster kleine Kunstwerke. Diese hat er aber nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Und erst sein früherer Studienfreund Siegfried Patzig konnte ihn überreden, seine Schnitzereien bei einem Seminargruppentreffen erstmalig anderen Leuten zu zeigen. Siegfried Patzig, ein Stammbesucher unserer Gödelitzer Veranstaltungen, hat mich auf Armin Küster und seine Schnitzkünste aufmerksam gemacht.

Ich war dann in dem besagten Gartenhäuschen und war von den Arbeiten sehr angetan. Und ich konnte Armin Küster zu dieser kleinen Ausstellung hier bei uns in Gödelitz überreden. Allerdings nur für den heutigen Abend. Und mit der Einschränkung, dass er keine seiner Arbeiten verkauft.   Weshalb ist diese ergänzende kleine Ausstellung seiner Schnitzereien trotzdem wichtig?

Ein erster Grund:
Wir hatten bereits mit den Berliner Künstlern Wolfgang Weber und Elena Pogrzeba eine Doppelausstellung von Vater und Tochter, in der Gemeinsames und Unterschiedliches im künstlerischen Schaffen auf interessante Art erkennbar war. Wahrscheinlich gibt es auch in der Sohn-Vater-Beziehung von Jens und Armin Küster zumindest unbewusste künstlerische Wechselwirkungen.

Ein zweiter Grund:
Es könnte in einer alternden Gesellschaft ein anregendes Beispiel dafür sein, wie man nach dem Berufsleben ein schönes Hobby so praktizieren und perfektionieren kann, dass es Lebenssinn gibt und Freude macht.

Ein dritter Grund:
Die beiden heutigen Ausstellungen von Jens und Armin Küster können die große Bandbreite davon andeuten, was alles als Kunst angesehen werden kann. Manche Betrachter fragen sich vielleicht, ob die abstrakten Strukturbilder von Jens Küster noch Kunst oder nur Dekoration sind – und ob die naturalistischen Blumenschnitzereien von Armin Küster schon Kunst oder nur Kunstgewerbe sind.

Von Pablo Picasso soll der folgende Satz stammen: „Wenn ich wüsste, was Kunst ist, würde ich es für mich behalten.“
Und für Joseph Beuys war sowieso jeder Mensch ein Künstler.

Liebe Freunde, meine Damen und Herren,
ich wünsche uns beim Betrachten der Strukturbilder von Jens Küster sowohl sinnliche als auch sinnbildende Wirkungen. Ich wünsche uns Freude sowohl an den dekorativen Mustern von Jens Küster als auch an den schönen Schnitzereien von Armin Küster. Und nun übergebe ich zum Hauptprogramm des Abends an meine Vorstandskollegin Frau Adina Rieckmann.