Aufarbeitung der Nachwendezeit: Wertschätzung und Anerkennung der Lebensleistung und Schicksale der Menschen im Osten

Vortrag und Gespräch mit Petra Köpping, Sächsische Ministerin für Gleichstellung und Integration | Gut Gödelitz, 01.09.2018 um 18:00 Uhr, Alte Schäferei

Fast 40 Jahre standen sich in Deutschland zwei Systeme gegenüber – was zu unterschiedlichen Prägungen bei Ost- und Westdeutschen führte.

Als dann 1989 die Wende kam, die das westdeutsche System in den Osten brachte, waren viele Ostdeutsche darauf nicht vorbereitet. Vieles war fremd. Vieles war neu und vor allem Vieles war so nie gedacht gewesen oder worden. Ein kapitalistischer Markt. Arbeitslosigkeit. Ungleichheit im Besitz aber auch im Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Ressourcen. Kriminalität. Frauen als Hausfrauen. Eine Priorisierung des Individuums statt der Gruppe.

Nahezu von einem Tag auf den anderen galten alte Gewissheiten, Regeln und Sicherheiten nicht mehr und wurden ersetzt durch ein neues System, dessen Spielregeln man weder kannte noch erlernt hatte. Welcher Ostdeutsche hätte sich vor 1989 vorstellen können, was es bedeutet, arbeitslos zu sein?

Eine Frage, bei der es nicht nur um wirtschaftlichen Aspekte und existentielle Fragen geht. Es geht um das, was es mit einem Menschen macht, der aus seiner Arbeit und seiner Arbeitsleitung Anerkennung und Wertschätzung schöpft, der von einem Tag auf den anderen gesagt bekommt, dass diese Arbeit nichts wert sei, der nie gelernt hat sich auf einem Arbeitsmarkt zu verkaufen und der in seiner Region und Heimat dazu auch keine Chance erhält, weil es keine Arbeitsplätze mehr gibt.

Viele Westdeutsche kamen in den 90igern in den Osten. Führungsposten wurden mit Westdeutschen zur Etablierung des neuen Systems besetzt. Einige gute Leute, die Einsatz zeigten und auch die Integration ihrer ostdeutschen Stellvertreter förderten. Aber auch andere, die selbst im eigenen System bisher keinen Erfolg hatten und nun das fehlende Wissen der Ostdeutschen zum westdeutschen System auf verschiedenen Ebenen ausnutzten.

Bei vielen Ostdeutschen entstanden Verletzungen, Kränkungen, Misstrauen und Traumata, die bis heute nicht aufgearbeitet wurden, die an die nächste Generation weitergegeben werden und in aktuellen Themen, Debatten und Wahlen ihren Niederschlag finden.

In Gödelitz haben wir versucht, dem mit der Gründung des Ost-West-Forums und vor allem aber mit den deutsch-deutschen Biografiegesprächen zu begegnen. Immer wieder gelingt es, bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Gespräche, durch aufmerksames Zuhören und würdigendes Nachfragen ein Bewusstsein und ein Verständnis dafür zu erzeugen, was es bedeutete im und mit dem jeweils anderen System zu leben. Heute werden wir von den Koreanern, die sich besser auf die Wiedervereinigung vorbereiten wollen als wir damals, gefragt, was wir falsch gemacht haben. Das Gödelitzer Modell der Biografiegespräche wurde bereits in Süd-Korea etabliert.

Ernst nehmen. Würdigen. Zuhören.

Das sind auch die Ansätze, die Petra Köpping verfolgt, wenn sie mit den Menschen ins Gespräch kommt. Seit mehreren Jahren setzt sie sich dafür ein, dass die Nachwendezeit vor allem mit Blick darauf betrachtet wird, was der Systemwechsel im konkret Menschlichen für die Ostdeutschen bedeutete. Mit dem Ziel der Aufarbeitung.

Wir freuen uns, Petra Köpping auf Gut Gödelitz begrüßen zu dürfen. Zum Vortrag und dem anschließenden Gespräch laden wir Sie herzlich ein.

Zur Person
  • geboren 1958 in Nordhausen
  • verheiratet, 3 Kinder
  • Diplom-Staatswissenschaftlerin
  • Bürgermeisterin von Großpösna (1989-1990, 1994-2001)
  • Außendienstmitarbeiterin der Deutschen Angestelltenkrankenkasse (1990-1994)
  • Landrätin des Landkreises Leipziger Land (2001-2008)
  • Beraterin der Sächsischen Aufbaubank (2008-2009)
  • Landtagsabgeordnete (seit 2009)
  • Kreisrätin im Kreistag des Landkreises Leipzig (seit 2014)
  • Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration (seit 2014)
  • Parteizugehörigkeit: 1986 bis Juni 1989: SED; Juli 1989 bis Juli 2002: parteilos; seit 1. August 2002: SPD

 

Vereinsmitgliedschaften/Soziales Engagement:

  • SPD Sachsen
  • Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik in der Bundesrepublik Deutschland e.V.
  • Arbeiterwohlfahrt Landesverband Sachsen e.V.
  • Die Falken-Sozialistische Jugend Sachsen e.V.
  • Förderverein “Internationale Gymnasien Geithain” e.V.
  • Förderverein “Freunde des Westsächsischen Symphonieorchesters” e.V.
  • Verein zur Erhaltung der Wassermühle Höfgen e.V.
  • PRO agra-Park e.V.
  • Mitglied im Freundeskreis des BVMW – Bundesverband mittelständische Wirtschaft
  • Kulturbahnhof e.V. Markkleeberg