„Herzensbilder“- 55. Kunstausstellung des ost-west-forum Gut Gödelitz mit Arbeiten des Malers Ulrich Pietzsch
Eröffnung am 19. März 2022 um 18 Uhr in der Alten Schäferei von Gut Gödelitz als Vorprogramm der Veranstaltung: mit Martin Hecht
Laudatio: Prof. Dr. Wendelin Szalai
Liebe Mitglieder und liebe Freunde des ost-west-forum Gut Gödelitz,
sehr geehrter Herr Dr. Hecht,
meine Damen und Herren,
im Namen des Vorstandes begrüße ich Sie alle zu einer neuen Veranstaltung in unserer monatlichen Samstagabendreihe. Am Beginn eröffnet unser Bürgerverein eine neue Kunstausstellung. Es ist unsere 55. Zu sehen sind Arbeiten des Malers Ulrich Pietzsch. Der Künstler ist aus diesem Anlass zusammen mit seiner Frau aus Niedersachsen nach Gödelitz gekommen. Wir freuen uns darüber.
Lieber Herr Pietzsch und liebe Frau Pietzsch, seien Sie in unserer Mitte ganz herzlich willkommen. Es ist die zweite Gödelitzer Ausstellung dieses Malers. Seine im Oktober 2015 eröffnete erste hatte er „Distanz und Sehnsucht“ genannt. Diese neue Ausstellung betitelt er mit dem ungewöhnlichen und schönen Wort „Herzensbilder“. Ich möchte Ihnen den Schöpfer dieser „Herzensbilder“ vorstellen und einige Betrachtungen zu seinen Arbeiten und deren Wirkungen anbieten. Wie bei allen bisherigen Gödelitzer Kunstausstellungen geschieht das aus der subjektiven Sicht eines kunstinteressierten Laien. Ich stütze mich auf die autobiografischen Bücher des Malers. Der ist auch Schriftsteller und Autor von 13 Büchern, zahlreichen Erzählungen und 150 Gedichten. Nähern wir uns Ulrich Pietzsch und seinem malerischen Schaffen mittels einiger Fragen.
Fangen wir ganz simpel an: „Wie alt ist denn dieser Maler“?
Die ebenso simple Antwort lautet: Als Maler ist Ulrich Pietzsch 46 Jahre alt –
Ansonsten aber hat er vor genau 5 Wochen seinen 85. Geburtstag gefeiert.
Lieber Herr Pietzsch, von uns allen herzliche Gratulation und die besten Wünsche.
Da drängt sich die nächste Frage auf: Wer und was war denn Ulrich Pietzsch, bevor er Maler wurde?
Er ist 1937 in dem kleinen Dorf Oberwartha am westlichen Stadtrand von Dresden geboren und aufgewachsen. Später wurde es nach Dresden eingemeindet. Schon als Schüler hat er sich für Musik, Oper und Theater interessiert. Nach der Schulzeit machte er eine Landwirtschaftslehre.
Bei der Zeitung „Der freie Bauer“ wurde er Hilfsredakteur. Nach einer Sonderreifeprüfung studierte er fünf Jahre an der Berliner Humboldt-Universität Philosophie mit dem Schwerpunkt Theaterwissenschaft! Er wurde Redakteur für die „Neue Berliner Illustrierte“ und nach zwei Jahren aus politischen Gründen entlassen. Danach war er neun Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Berliner Humboldt-Universität – in der Sektion Ästhetik und Kunstwissenschaft. Gleichzeitig hat er für den Berliner Rundfunk und die Zeitschrift „Theater der Zeit“ als Theaterkritiker gearbeitet.
1970 heiratete er seine große Liebe, Lydia Wolgina, erste Solotänzerin an der Berliner Staatsoper Unter den Linden.
Folgerichtig hat er sich danach verstärkt mit dem Ballett befasst – als Kritiker, Übersetzer, Autor und Herausgeber. Zusammen mit seiner Frau hat er für das Fernsehen der DDR 53 Sendungen der Reihe „Solo und Pas de Deux“ gestaltet.
Fragen wir weiter: Wann, wodurch und wie wurde aus dem Philosophen, Journalisten und Theaterkritiker Ulrich Pietzsch der Bildermaler Ulrich Pietzsch?
Dieser Auf- und Umbruch in seiner Biografie hängt mit seiner großen Liebe zusammen. Als seine Frau 1975 aus Altersgründen ihren Beruf als Tänzerin beenden musste, sank ihr Lebensmut, und sie verlor ihr Lächeln. Um sie in dieser schwierigen Situation zu trösten, aufzuheitern und zu ermutigen, malte er kleine Bildchen und stellte sie ihr auf den Frühstückstisch. Dieses Zeichen von Aufmerksamkeit, Zuneigung und Liebe machte ihr Freude – ihr Lebensmut kehrte zurück und auch ihr Lächeln. Das wiederum bereitete Ulrich Pietzsch eine große Freude. Seine Malerei kam von Herzen und erreichte das Herz seiner Frau.
Sie hat das Talent ihres Mannes erkannt, durch Bilder Leuten Freude zu machen, sie zu ermutigen, sie notfalls zu trösten. Und so riet sie ihm: „Das Malen ist deine Bestimmung. Jetzt hast du das gefunden, was du so lange gesucht hast, ohne zu wissen, was es war.“ Ulrich Pietzsch griff diese Inspiration sofort und intensiv auf. So wurde das Jahr 1976 zum Wendejahr seines Lebens. In der Rückschau darauf schreibt er. „Das war die größte Veränderung in meinem Leben…Es war wie ein Vulkanausbruch…Für mich begann jetzt das ‚richtige‘ Leben…Ich malte wie im Fieber…Als ich ins Malfieber geriet, habe ich nicht über Theorie nachgedacht. Ich war gelenkt von einem unerklärlichen inneren Drang, mich auszudrücken.“
Seine Frau wurde seine Muse, und sie ist es bis heute geblieben: Sie inspiriert, ermutigt, kritisiert und lobt ihn. Und sie unterstützt ihn praktisch und organisierend im Alltag und bei den zunehmenden Ausstellungen seiner Bilder. Im modernen Sprachgebrauch ist sie für ihn Coach und Managerin zugleich. Ulrich Pietzsch drückt das viel schöner so aus: „Meine herzensgute Frau ist bei jedem Bild Mitschöpferin.“
Kommen wir zur nächsten Frage: Wie verlief das Leben des Malers und seiner Muse ab 1976?
Ulrich Pietzsch beendete seine Arbeit als Kritiker und führte ein zurückgezogenes Leben als autodidaktischer Maler. Durch praktisches Tun vergrößerte er seine Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten im Zeichnen und Malen, im Umgang mit Zeichenstift und Zeichenfeder, mit Pinsel und Farben, mit Ölfarben, Acrylfarben, Aquarellfarben.
Er war nicht nur ein kreativer, sondern auch ein produktiver Maler. In den ersten fünf Jahren seines Malerlebens schuf er ungefähr 500 Bilder. Es gab erste Ausstellungen und eine wachsende Zahl von Liebhabern und Käufern seiner Malerei. Seine Frau gab an verschiedenen Einrichtungen Kurse im klassischen Tanz, unter anderem an der Dresdener Palucca Hochschule. Materiell ging es den beiden gut. Sie besaßen in Berlin ein Wassergrundstück mit einem Haus am See.
Dennoch waren beide irgendwie unzufrieden. Sie krankten an den politischen Verhältnissen in der DDR. Er beschreibt das so: „Ich hatte mich ‚freigedacht‘ von der Ideologie und den Ritualen der Macht. Auch meine Frau hatte sich ‚frei gedacht‘ vom System. Wir hatten erkannt, dass wir hier nicht hinein passten.“ So lebten sie gewissermaßen in einer inneren Emigration. So entstand ihr Wunsch nach Ausreise aus der DDR. Besuche von Veranstaltungen in der „Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der Deutschen Demokratischen Republik“ verstärkten diesen Wunsch. Sie vertrauten sich einem Mitarbeiter der Ständigen Vertretung an, zu dem sich ein besonderer Kontakt entwickelte. Der warnte sie zunächst vor Illusionen über das Leben im Westen. Er unterstützte sie aber, als sie 1982 einen Ausreiseantrag stellten und dieser mit seiner Vermittlung noch im gleichen Jahr genehmigt wurde. Er half ihnen auch später bei der ersten Wohnungssuche und bei der ersten Bilderausstellung in Westberlin.
Auch „im Westen“ malte Ulrich Pietzsch auf seine inzwischen unverwechselbare Art und Weise. Auch hier gab es erste Ausstellungen sowie Liebhaber und Käufer seiner Bilder. Seine Frau betrieb eine kleine private Tanzschule. Aber das schnelle und laute Großstadtleben befriedigte ihn und seine Frau nicht. Ulrich Pietzsch wollte Ruhe zum Malen. In Erinnerung an seine Kindheit sehnte er sich für sein künstlerisches Schaffen nach ländlicher Ruhe und Abgeschiedenheit.
1985 kauften sich die beiden im Ortsteil Kukate der Gemeinde Waddeweitz in Niedersachsen ein altes Bauernhaus und bauten es schrittweise aus, meistens an den Wochenenden. 1988 wurden sie damit fertig und zogen um. Eine große Sehnsucht des Ulrich Pietzsch hatte sich erfüllt: Ab jetzt kann er mitten in der Natur leben. Jetzt kann er ganz für sich und seine Frau da sein. Jetzt kann er Bilder malen, so wie es ihn drängt und er es kann. Er ist von niemandem abhängig.
Fragen wir also, was Ulrich Pietzsch malt, fragen wir nach seinen beliebtesten Bildmotiven.
Schauen wir dazu auf seine Bilder. Wir sehen friedliche und meist fröhliche Menschen in einer friedlichen und schönen Umgebung. Zusammen mit Freunden und Nachbarn gehen sie friedlichem Tun nach. Sie spielen, sie feiern, sie essen und trinken, sie gehen spazieren.
Ulrich Pietzsch malt mit Vorliebe skurrile Typen – Dicke und Dünne, Leute mit großen Hüten, Gaukler und Marktschreier, Clowns und Artisten. Die Figur des Don Quijote taucht mehrfach auf. Auf einem Bild sitzt dieser Ritter von der traurigen Gestalt auf einem Schaukelpferd. Ich sehe in dieser Figur den tiefen Hintersinn des Philosophen im Maler. Ähnlich friedlich wie die Menschen sind auf seinen Bildern die Tiere, meist Haustiere, Hunde, Katzen, Kühe, Pferde – und Schafe . Extra für diese Ausstellung in der „Alten Schäferei“ von Gut Gödelitz hat Ulrich Pietzsch ein Bild mit Schäfer und vielen Schafen gemalt. In der rechten unteren Ecke sehen wir wieder den Don Quichote. Die Bilder machen insgesamt den Eindruck von ländlicher Idylle. Der Maler erklärt das so: „Das Idyll der Kinderzeit, meine heimatliche Umgebung kam auf mich mit Macht wieder zugelaufen und wurde mit offenen Armen empfangen.“
Auf vielen Bildern ist der Maler selbst zu sehen, oft zusammen mit seiner Muse. Das Bild „Der Bilderkarren“ ist dafür ein schönes Beispiel. Wenn wir auf einem seiner Bilder einen älteren Herrn mit Rauschebart sehen, könnte es sich um den Maler handeln. Was auf seinen Bildern nie zu sehen ist, das sind Szenen von Hetze, von Hass, von Gewalt, von Krieg. Er begründet das so: „Es gibt so viel Schreckliches auf der Welt, das zu malen, käme mir nicht in den Sinn…Ich male auch keine politischen Bilder.“
Nach Betrachtungen darüber, was Ulrich Pietzsch malt, fragen wir jetzt, wie er malt.
Bereits auf den ersten Blick erkennt man, dass er gegenständlich und figürlich malt und nicht abstrakt. Seine Bildmotive sind leicht zu erkennen und bei aller Vielfalt klar zu unterscheiden. Ulrich Pietzsch malt gegenständlich, aber er malt nicht naturalistisch ab. Bäume und Häuser, Menschen und Tiere malt er vereinfacht, flächenhaft, meist ohne Perspektive und ohne Schatten, mit glatten intensiven Farbflächen und klaren Konturen.
Kinder malen so ähnlich. Die Malerei von Ulric h Pietzsch wirkt kindlich und naiv. Wenn ihm das gelegentlich von akademischen Malern vorgehalten wird, ficht ihn das nicht an. Er sagt „Ich kann nur wie ich es kann, anders geht es nicht.“ Ich halte Ulrich Pietzsch für einen ganz großartigen modernen naiven Maler. „Naiv“ in diesem Sinne ist in meinen Augen keine Abwertung, eher das Gegenteil.
Der frühromantische Maler Philipp Otto Runge (1777-1810) hat es so formuliert: „Kinder müssen wir werden, wenn wir das Beste erreichen wollen.“
Die naive Malweise von Ulrich Pietzsch ist durch eine wundervolle Dreieinheit gekennzeichnet. Die verbindet den unverstellten Blick des Kindes mit der Gedankentiefe des Philosophen und der Lebensweisheit des Alters.
Bisher hat er etwa 3500 Bilder geschaffen. Sie sind eine bildgewordene eigene Welt. Sie erzählen, so sagt er selbst „von unserer kleinen bescheidenen Menschenexistenz in diesem Wirrwarr, der uns Menschen umgibt und gemeinhin gesellschaftliches Leben genannt wird…Sie beinhalten einen romantischen Aspekt…Mein Bewusstsein speicherte die Eindrücke meiner Kindheit als paradiesisches Idyll…Ich war quasi zum Romantiker geworden.“
Fragen wir darum: Ist der philosophierende Maler Ulrich Pietzsch auch ein Romantiker?
Die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik umfasst etwa die Zeit von der französischen Revolution bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Das war eine unsichere und die Menschen verunsichernde Zeit. Darum flüchtete man sehnsuchtsvoll, träumend und tröstend in die Vergangenheit, in die Natur, in die Privatheit. Wir leben heute in einer extrem unsicheren und die Menschen stark verunsichernden Zeit. Da wäre eine sehnsuchtsvoll träumende Flucht in Vergangenheit, Natur und Privatheit verständlich, aber nicht hilfreich.
Ulrich Pietzsch ist sich dieser Sehnsucht bewusst, aber er erliegt dieser Gefahr nicht. Er sagt das so: „Romantiker wollten in Traumwelten fliehen…Relikte davon sind in meinen Bildwelten enthalten, nicht als Rückfall in die Romantik, sondern als aktuelles Gestalten, den heutigen Zwängen entgegenzustehen.“ Zu den „heutigen Zwängen“ gehören Lüge, Verleumdung, Hetze, Hass und Gewalt. Ihnen müssen wir entgegenstehen. Die Bildwelten des Ulrich Pietzsch wollen uns dazu durch Freude und freundliches Nachdenken ermutigen und uns dafür stärken.
Lassen Sie es mich im Sprachgebrauch der Coronazeit so formulieren: Die Bilder von Ulrich Pietzsch können mithelfen, unser Immunsystem zu stärken – unser psychisches, unser moralisches, unser ethisches Immunsystem! Sie können mithelfen, uns gegen das Virus von Lüge, Verleumdung, Hetze, Hass und Gewalt zu schützen. Darum passen diese Bilder gut in unseren Bürgerverein!
Die 55. Bilderausstellung des ost-west-forum Gut Gödelitz weist drei Besonderheiten auf:
Sie ist erstens eine Rückkehr des Ulrich Pietzsch und seiner Bilder in die Heimat seiner Kindheit:
Mit diesen Bildern kommt er aus seiner neuen Heimat Niedersachsen in seine alte Heimat Sachsen zu Besuch. Mit diesen Bildern kommt er aus der Idylle des alten ausgebauten Bauernhauses in Kukate zu Besuch in die Idylle der ausgebauten „Alten Schäferei“ von Gut Gödelitz.
Die zweite Besonderheit diese Ausstellung besteht darin, dass sie den Dank des Malers an einen Helfer und Freund ausdrückt.
Einige unserer Stammteilnehmer haben wahrscheinlich in dem erwähnten Helfer bei der Ausreise aus der DDR und dem ersten Ankommen in Westberlin Herrn Axel Schmidt-Gödelitz erkannt. Ulrich Pietzsch schreibt vor allem in seinem dritten autobiografischen Buch „Der Atelierhocker“ über den Gründer und Vorsitzenden unseres Bürgervereins an zahlreichen Stellen sehr warmherzig.
Nun zur dritten Besonderheit:
Nur Ulrich Pietzsch und seine Muse sind auf Besuch hier. Noch heute fahren sie nach Kukate zurück. Die Bilder aber bleiben hier. Und das nicht, wie bei den bisherigen 54 Ausstellungen für drei Monate. Die „Herzensbilder“ bleiben als Dauerausstellung an den Wänden unserer Alten Schäferei. Die heiter-nachdenklichen Arbeiten passen mit ihrer ermutigenden Freude in jede Veranstaltung unseres Bürgervereins. Sie passen zu jedem Thema.
Unser Bürgerverein betreibt ja Bildung im weiten Sinne – politische, ökonomische, ökologische. Bildung erfolgt nicht nur rational. Sie hat auch eine kulturell- ästhetische Komponente. Daher gibt es in Gödelitz Kunstausstellungen, Lesungen, literarische Programme und Konzerte.
Bildung zielt nicht nur auf den Verstand, nicht nur auf den Kopf. Bildung zielt auch auf die Gefühle, auch auf das Herz. Sie will auch „Herzensbildung“ sein. Zu den Merkmalen von Herzensbildung gehören Empathie, Toleranz und Mitmenschlichkeit. Dies sind zugleich wichtige Bildungsziele unseres Bürgervereins. Die „Herzensbilder“ von Ulrich Pietzsch können und wollen auf eine ganz eigene und unverwechselbare Weise zur „Herzensbildung“ ihrer Betrachter beitragen.
Lassen Sie mich mit einem Zitat des spätromantischen Malers Adrian Ludwig Richter schließen, das sehr gut zum malerischen Lebenswerk von Ulrich Pietzsch passt.
Es geht so:
„Wenn man den Leuten mit der Kunst Freude machen kann, so tue man es von Herzen, denn das ist doch der rechte Lohn der Kunst.“