Vortrag und Gespräch mit Prof. Dr. Hansjörg Geiger: Erfahrungen mit drei deutschen Nachrichtendiensten

Veranstaltung am 16. Februar 2008
Der war IM, war bei der Stasi …
In der Nachwendezeit brachte ein solcher Vorwurf, öffentlich geäußert, Menschen mit einiger Sicherheit um Reputation und Arbeitsplatz. Sie hatten kaum eine Chance, sich dagegen zu wehren. Angeblich logen die Akten nicht.

Heute ist man vorsichtiger geworden. Dennoch: Schon der Verdacht, zur “Firma” gehört zu haben, gilt nach wie vor als schlimmer Makel und kann in Ausnahmefällen auch heute noch im Öffentlichen Dienst zur Entlassung führen.

Dabei wird zwischen der Bespitzelung von Mitbürgern und der Auslandsarbeit des DDR-Staatssicherheitsdienstes in der öffentlichen Diskussion kaum unterschieden. Stasi ist Stasi. Und die Stasi hat einen schrecklichen Ruf.

Nun leistet sich auch die Bundesrepublik Deutschland, wie jedes andere Land, Nachrichtendienste. Angst verbreiten sie nicht. Sie gelten – auch im Vergleich zur Stasi – als nicht sonderlich effizient. Ein bisschen Verachtung schwingt da mit, in die eine Spur von Misstrauen eingeflochten ist: Was fangen die eigentlich mit den gesammelten Informationen an?

Die Angst vor Terroranschlägen hat die “Dienste” in jüngerer Zeit ein wenig aufgewertet. Die breite Bevölkerung anerkennt die Notwendigkeit vorbeugender Aufklärung. Die jeweiligen Bundesinnenminister nehmen dies zum Anlass, die Befugnisse von Polizei und Nachrichtendiensten erheblich auszuweiten. Nur die wenigen politisch Wachen warnen vor dem schleichenden Übergang zum Präventionsstaat. Für den Normalbürger aber rangiert Sicherheit vor Freiheit. Auf das kollektive Gedächtnis der Deutschen ist wenig Verlass.

Welche Rolle spielen die Nachrichtendienste in unserem demokratischen Rechtsstaat? Wie unterscheiden sie sich von der Stasi oder den Geheimdiensten nicht-demokratischer Staaten? Welche Zielsetzungen haben sie? Wie rekrutieren sie ihr Personal? Wie werden sie kontrolliert? Wie effizient sind sie angesichts solcher Kontrollen?

Warum legen sie einen solchen Wert darauf, nicht als Geheimdienste, sondern als Nachrichtendienste bezeichnet zu werden? Ist das eine bewusst betriebene Verharmlosung?

Kaum jemand ist geeigneter, uns darauf Antworten zu geben, als Professor Hansjörg Geiger.

Ob “Gauck-Behörde”, Verfassungsschutz oder Bundesnachrichtendienst – in allen drei Organisationen war er an führender Stelle tätig. Die Gründe sind nachvollziehbar: Demokratische Grundüberzeugung, Führungsstärke, wissenschaftlich-analytische Fähigkeiten und persönliche Bescheidenheit sind wichtige Voraussetzungen, überzogenes Misstrauen abzubauen, ein Mindestmaß an Transparenz herzustellen und deutlich zu machen, dass Nachrichtendienste wichtige Bestandteile der Sicherheitsarchitektur eines demokratischen Rechtsstaates sein können.


 

Zur Person:

Prof. Dr. Hansjörg Geiger

Direktor beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdiensts der ehemaligen DDR a.d.
Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz a.d.
Präsident des Bundesnachrichtendienstes a.d.
Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz a.d.

Geboren 1942 in Brünn (Mähren). Aufgewachsen in Süddeutschland. Abitur 1962, danach Studium der Rechtswissenschaften und Politik in Hamburg und München.

Eintritt ins Berufsleben bei der Firma Siemens, wo er als freier Wissenschaftler in der Datenverarbeitung arbeitete. 1971 Promotion an der Universität München, Thema: Zur verfassungsrechtlichen Problematik des Einflusses der politischen Parteien auf die obersten Bundesorgane.

Anschließend Tätigkeit in der bayerischen Staatskanzlei, als Staatsanwalt und Richter in München

Von 1977 bis 1980 Referent im bayerischen Staatsministerium der Justiz, anschließend Referatsleiter beim bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz

Nach dem Zusammenbruch der DDR wurde er 1990 Direktor beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR. 1995 löste er Eckart Werthebach als Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln ab. Ein Jahr später wurde er zum Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes in Pullach ernannt. Ab 1998 arbeitete Hansjörg Geiger als Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz in Berlin. Wegen der Regierungsneubildung wurde er im Jahre 2005 in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Am 12. Dezember 2003 wurde ihm von der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main die akademische Würde eines Honorarprofessors verliehen. Dort lehrt er seither Verfassungsrecht, europäisches Recht sowie internationales Recht.