Eröffnung am Montag dem 6. Juli 2020 um 19:00 Uhr in der Alten Schäferei von Gut Gödelitz
Laudatio: Prof. Dr. Wendelin Szalai
Liebe Mitglieder und liebe Freunde des ost-west-forum Gut Gödelitz, meine Damen und Herren,
im Namen des Vorstandes unseres Bürgervereins begrüße ich Sie alle zu unserer ersten Veranstaltung in Zeiten der Corona-Pandemie mit all den erforderlichen Beschränkungen.
Sie sind zu einem Abend der Künste gekommen. Im Vorprogramm geht es um Malerei, um die Kunst der Farben und Formen. Das Hauptprogramm hat mit Literatur und Schauspiel zu tun, mit der Kunst der Sprache und des Sprechens.
Im Vorprogramm eröffnet unser Bürgerverein eine neue Kunstausstellung. Es ist unsere 51. Unter dem Titel „Wahrnehmen“ sind Arbeiten von Berthold Grahl zu sehen. Der Maler ist zur Eröffnung nach Gödelitz gekommen. Darüber freuen wir uns. Lieber Herr Grahl, seien Sie in unserer Mitte ganz herzlich willkommen.
Ich möchte Ihnen den Künstler und seine Bilder kurz vorstellen, wie immer aus meiner ganz persönlichen und darum subjektiven Sicht. Fragen wir zunächst: Wer und was ist der Schöpfer dieser Bilder?
Berthold Grahl ist 1943 in Plauen geboren. Kindheit und Schulzeit hat er in Siebenlehn bei Freiberg verlebt. Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählte das Zeichnen und Malen. Seine Zeichenlehrer ermutigten ihn. Berthold Grahl machte zunächst eine Berufsausbildung als Rinderzüchter mit Abitur. Dann folgte an der Technischen Hochschule Karl-Marx-Stadt -heute wieder Chemnitz – ein Lehrerstudium für die Fächer Mathematik und Physik.
Im Jahr 1969 begann er als Lehrer in Höckendorf zu arbeiten. Das ist heute ein Ortsteil von Klingenberg im Osterzgebirge. Neben Mathematik und Physik unterrichtete er auch Astronomie und Kunsterziehung. Seit einem halben Jahrhundert lebt Berthold Grahl in Höckendorf. Ebenso lang ist er verheiratet.
In all den Jahren als Lehrer und als Rentner ist er seiner Lieblingsbeschäftigung aus der Schulzeit treu geblieben. Seine Freizeit gehörte dem Malen. Schrittweise ist dieses Hobby zu einem zweiten Beruf geworden. Auf diesem Weg waren für ihn einige Künstler und Kunstfreunde Vorbild, Förderer und Berater. So der Maler und Grafiker Johannes Zepnick. Den hatte er im Rahmen der Lehrerweiterbildung in Dresden kennengelernt. Später war er Teilnehmer mehrerer seiner Mal- und Zeichenzirkel .
Ein schöner Zufall, meine Damen und Herren: Unsere 1. Gödelitzer Kunstausstellung wurde im Dezember 2006 mit Arbeiten von Johannes und Regina Zepnick eröffnet. Genau 50 Ausstellungen später sind nun Arbeiten eines seiner „Schüler“ zu sehen. Dieser ist inzwischen autodidaktisch zu einem anerkannten und erfolgreichen Maler geworden.
Bilder von Berthold Grahl konnte man bereits auf zahlreichen Ausstellungen sehen, so in Freiberg, Siebenlehn, Hainichen, Dresden, Dippoldiswalde, Schönebeck und Zensig. Und natürlich in Höckendorf. Heute kommt Gödelitz dazu. Hier zeigt uns der Maler Landschaftsbilder, Blumenbilder und Stillleben in Aquarell und mit Ölfarben.
Im Internet ist auf seiner informativen Webseite auch Aktmalerei zu sehen. Als Überschrift für diese Webseite und damit als Hauptmotiv seines künstlerischen Schaffens hat Bertold Grahl das folgende Zitat von Leonardo da Vinci gewählt: „Wieviel Schönheit erblickt das Herz durch die Augen.“ Was verraten uns die Schlüsselbegriffe Schönheit, Herz und Augen über Berthold Grahl?
Was können wir vermuten? Berthold Grahl liebt die Schönheit und möchte sie in seinen Bildern sichtbar machen. Berthold Grahl hat für Schönheit ein besonderes „Auge“. Er nennt es „Wahrnehmen“. Und mit dem Wort „Wahrnehmen“ betitelt er seine Gödelitzer Ausstellung: Das Wort „Herz“ verweist darauf, wie wichtig für ihn das Emotionale ist, die Empfindungen, Stimmungen und Gefühle. Der ehemalige Lehrer und heutige Maler Berthold Grahl ist aber auch Lehrer geblieben, ein Kunsterzieher im besten Wortsinn: Mit Stolz hat er mir bei einem Atelierbesuch von seinen „Dienstagsmalern“ erzählt. Das sind interessierte Frauen und Männer, die sich regelmäßig in Höckendorf treffen, um unter seiner Anleitung und Beratung zu malen. Auch in seinem Geburtsort Plauen hat er Aquarellkurse gegeben. Und aus Plauen kommen Interessenten nach Höckendorf zu seinen Malkursen. Fragen wir weiter: Was und wie malt Berthold Grahl am liebsten?
Unsere Ausstellung gibt Antwort: Es ist vor allem die Natur, die dem Künstler Malanregungen und Bildmotive liefert. Den engen Zusammenhang von Kunst und Natur haben zahlreiche Künstler thematisiert. Zwei Beispiele: „Kunst ist die rechte Hand der Natur“ heißt es bei Friedrich Schiller. Und der 1941 verstorbene indische Nobelpreisträger Rabindranath Tagore, er war Dichter, Philosoph, Komponist, Musiker und Maler, formulierte so: „Der Künstler ist der Liebhaber der Natur.“
Die meisten Bildmotive findet Berthold Grahl in Höckendorf und Umgebung. Warum in die Ferne schweifen wenn es in der Nähe so viel Schönes gibt. Mit seinem Malwagen Marke Eigenbau ist er zu unterschiedlichen Jahreszeiten, bei unterschiedlichen Tageszeiten und bei unterschiedlichem Wetter unterwegs. Manche seiner Bildmotive malt er immer wieder, zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt, von einem etwas anderen Standort, bei etwas anderen Lichtverhältnissen. Er nimmt im Gewöhnlichen das Ungewöhnliche wahr, im Bekannten das jeweils Neue. Seine Eindrücke, die jeweiligen Stimmungen, hält er in Bildern fest, meist als Aquarell. Tageszeiten und Jahreszeiten beeinflussen die Stimmung. Es ist das nach Jahres- und Tageszeit sowie nach dem jeweiligen Wetter unterschiedliche Licht, das die Farben hervorruft und verändert. Farben besitzen die Eigenschaft, bestimmte Stimmungen zu erzeugen oder zu verstärken. Nach einer kurzen Vorzeichnung malt Berthold Grahl ein Aquarell meist gleich in der Natur und vor dem Motiv fertig. Das von den Wasserfarben noch feuchte Blatt trocknet oft erst zu Hause im Atelier. Für stärker strukturierte Motive und Stimmungen verwendet er bewusst Ölfarben, Da wird draußen skizziert und im Atelier gemalt. Die stimmungsvolle Freilichtmalerei ist für Berthold Grahl charakteristisch.
In der Natur ist es das Licht, das die Farben schafft und Stimmungen erzeugt. Auf seinen Bildern ist es der Künstler, der mit Farben das Licht malt. Berthold Grahl nimmt in der Natur die durch Licht, Farben und Formen erzeugten Eindrücke wahr. Er hat Auge und Herz für die jeweiligen Stimmungen. Auf seinen Bildern gibt er seinen Eindrücken einen künstlerischen Ausdruck. Er malt Stimmungen.
Ich habe Bertold Grahl gefragt, was ihm bei seiner schnellen Freilichtmalerei vor dem Motiv durch den Kopf geht, woran er dabei denkt. Seine Antwort war kurz und eindeutig:
„Das Einzige, woran ich beim Malen denke ist: Setz dich mal genau hier hin, das ist genau der richtige Moment, genau die Stimmung, die du einfangen möchtest. Und jetzt zügig! Denn ich weiß, wie rasch sich mit dem sich ständig veränderten Tageslicht die Landschaft verändert.“
Bei einem Gespräch in seinem Atelier wollte ich wissen, was er über das Betrachten und die potentiellen Betrachter seiner Bilder denkt. Ich zitiere seine Antwort: „Der Eine sieht nur einen Grashalm, der andere erkennt in ihm ein Wunder der der Natur, und für Manchen ist es ein Sinnbild und eine Metapher für sein eigenes Leben. Vielleicht lässt sich das in meinen Bildern erkennen. Aber wenn sie nur gefallen, wäre das auch schon ein Erfolg.“
Wir kennen dieses Phänomen der Bildbetrachtung ja von früheren Ausstellungen: Auf einem Bild sehen wir alle dasselbe. In dem Bild aber kann das von Betrachter zu Betrachter sehr unterschiedlich sein. Jeder von uns und jede von uns kann also dem nachspüren, was die Bilder von Berthold Grahl bei ihm oder ihr auslösen – an Empfindungen, Stimmungen und Gefühlen, vielleicht auch an Erinnerungen, Gedanken und Fragen.
Ich habe bei den Bildern mit Motiven aus Höckendorf und Umgebung ein angenehmes Gefühl, eine Mischung von Harmonie und Wohlbefinden. Berthold Grahl malt besonders gern Nahes, Bekanntes und Vertrautes. Ein Beispiel ist das Bild „Dorfkirche von Höckendorf.“ Bei einer Besichtigung dieses beeindruckenden Bauwerks, dessen romanische Teile rund 800 Jahre alt sind, kamen mir wie von selbst die Begriffe Heimat und Heimatliebe in den Sinn. Und so habe ich Berthold Grahl gefragt, was und wo für ihn Heimat ist.
So lautete seine Antwort: „Heimat lässt sich überall da finden, wo man als Mensch angenommen wird, wo man sich einbringen kann. Ich fand in Höckendorf eine liebenswerte Frau, einen mich erfüllenden Beruf. Konnte hier eine Familie gründen, ein Häuschen nach eigenen Vorstellungen und Wünschen mit der Hilfe vieler um und ausbauen. Ich war in Höckendorf angekommen und bin seit 50 Jahren gerne immer noch hier.“ In ihrem Ausstellungsbericht hatte ihn mal die Lokalzeitung liebevoll als „Picasso von Höckendorf“ bezeichnet. Er hat von sich selbst als einem „einfachen Dorfmaler“ gesprochen.
Ich sehe in Berthold Grahl einen beneidenswert glücklichen Menschen. Seine Bilder lassen gleichermaßen Heimatverbundenheit und Liebe zur Natur erkennen. Diese Liebe hat viel mit tiefer Kenntnis und viel Respekt gegenüber den großen und kleinen Schönheiten und Wundern der Natur zu tun. Beim Betrachten seiner stimmungsvollen schönen Landschafts- und Blumenbilder empfinde ich Ruhe und Freude. Aber mir gehen auch besorgte Gedanken durch den Kopf. Die drehen sich um die zunehmende Gefährdung der Natur durch uns Menschen und um den immer wichtiger werdenden Kampf um Erhalt und Schutz unserer Umwelt. Bei einigen Bildern komme ich fast ins Meditieren. So bei den Landschaftsbildern, auf denen Land, Wasser und Himmel zusammenstoßen und miteinander verschmelzen. Der Horizont bildet eine sowohl trennende wie verbindende Grenzlinie und lässt mich an die Endlichkeit des Lebens und die Unendlichkeit des Seins denken.
Und noch etwas fällt mir auf. Die Arbeits- und Malweise von Berthold Grahl hat eine gewisse Ähnlichkeit zur Philosophie unseres Bürgervereins: Der Maler nimmt das Bildmotiv – eine Landschaft, einen Weg, einen Baum, eine Blume – bei unterschiedlichem Licht und von unterschiedlichen Standorten unterschiedlich und damit vielfältiger und besser wahr.
Das ähnelt dem Perspektivwechsel, den unser Ost-West-Forum bei der Betrachtung und Beurteilung von Menschen, Ereignissen und Zuständen befördern möchten. Menschen und ihr Verhalten auch mal in einem anderen Licht und von einem anderen Standpunkt aus sehen und verstehen wollen und können. Das baut Vorurteile ab, stärkt Toleranz und bewahrt vor extremistischem Wahrheitsanspruch, vor Hetze, Hass und Gewalt.
Blumen malt Berthold Grahl besonders gern und oft. Blumen sind ein Ausdruck
von und ein Zeichen für Schönheit, Liebe und Freude. Johann Wolfgang
von Goethe hatte es so formuliert: „Blumen sind die schönen Worte und Hieroglyphen der
Natur, mit denen sie uns andeutet, wie lieb sie uns hat.“ Und der
brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho schrieb: „Menschen schenken einander Blumen,
weil Blumen den wahren Sinn der Liebe in sich tragen.“
Blumen sind für die meisten Menschen ein Ausdruck von und ein Zeichen für Schönheit, Liebe und Freude. Ganz ähnlich wirken die schönen Blumenbilder von Berthold Grahl. „Schönheit“ ist ja ein vieldeutiger Begriff. Auf meine Frage, was in seinen Augen Schönheit ist, hat er mit einem Erlebnis geantwortet: „Als ich zum ersten Male mit meinen ,, Dienstagsmalern“ raus in die Natur bin, blickten sie sich ziemlich ratlos um! ,,Was gibt es denn hier zum Malen?“. Dabei hatte ich sie nach meiner Ansicht zu einer besonders reizvollen Stelle geführt!
„Schönheit“ ist ja ein vieldeutiger Begriff. Ich habe es bei der Vorbereitung von Ausstellungen mehrfach erlebt, dass die Künstler ihre Bilder ja nicht als schön bezeichnet haben wollten. Vielleicht war schön für sie so etwas wie oberflächlich, oder kitschig. Darum habe ich Berthold Grahl danach gefragt, was in seinen Augen Schönheit ist. Er hat mit einem Erlebnis geantwortet: „Als ich zum ersten Male mit meinen ,, Dienstagsmalern“ raus in die Natur bin, blickten sie sich ziemlich ratlos um! ,,Was gibt es denn hier zum Malen?“.
Dabei hatte ich sie nach meiner Ansicht zu einer besonders reizvollen Stelle geführt! Ja, das hier war keine Postkarte mit einem klar umrissen Format, das man versucht, Eins zu Eins abzukupfern, stundenlang, bis das ,,eigene Bild“ zur Bewunderung aller wie fotografiert aussieht. Hier muss man entscheiden, was hebe ich heraus, was lass ich weg, was muss sich dem Anderen unterordnen. Wie kann ich alles zu einem Bild werden lassen, das diese Bezeichnung verdient, und das alles eher aus einem Gefühl heraus. Schönheit ist für mich nichts an der Oberfläche, nichts Aufgesetztes Mutwilliges, sondern sie muss von innen heraus kommen und wahrhaft sein!“
Soviel, meine Damen und Herren, zu einigen künstlerischen Ansichten von Berthold Grahl und zu einigen meiner Empfindungen, Gefühle und Gedanken beim Betrachten seiner Bilder. Spüren auch Sie einfach den Ihren nach. Und wenn einigen von Ihnen diese Bilder einfach nur gefallen, ist das auch in Ordnung. Wie hatte doch Berthold Grahl über das Betrachten seiner Bilder gesagt: „Aber wenn sie nur gefallen, wäre das auch schon ein Erfolg.“
Ich bin mir sicher, dass diese Ausstellung gut in unsere Alte Schäferei passt und dass den meisten Betrachtern die Bilder gefallen und ihnen wahrscheinlich auch Freude bereiten. Apropos Freude: Lassen Sie mich mit einer Formulierung von Adrian Ludwig Richter schließen, der einst Zeichenlehrer an der Porzellanmanufaktur Meißen und danach Professor an der Dresdener Kunstakademie gewesen ist: „Wenn man den Leuten mit der Kunst Freude machen kann, so tue man es von Herzen, denn das ist doch der rechte Lohn der Kunst.“
Die Bilder von Bertold Grahl werden bis Ende September zu sehen sein. Wer sich oder einem anderen lieben Menschen mit dem Kauf eines der ausgestellten Bilder eine besondere Freude machen möchte, der wende sich einfach an den Maler. Er wird auch bei unseren nächsten Veranstaltungen dabei sein.
Damit ist die 51. Kunstausstellung des ost-west-forum Gut Gödelitz eröffnet.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.